Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Poesie empfohlen worden sind, scheint jetzt Herr von Dyherrn als der Dichter, Neuerdings erscheint, erst in der Schweiz, jetzt in Dresden, eine eigens der Und so könnten wir, in den Bücher- und Blätterhaufen, der uns umgiebt, Sicher ist es ein uraltes Uebel in der deutschen Literatur und Kunst, daß Poesie empfohlen worden sind, scheint jetzt Herr von Dyherrn als der Dichter, Neuerdings erscheint, erst in der Schweiz, jetzt in Dresden, eine eigens der Und so könnten wir, in den Bücher- und Blätterhaufen, der uns umgiebt, Sicher ist es ein uraltes Uebel in der deutschen Literatur und Kunst, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147894"/> <p xml:id="ID_672" prev="#ID_671"> Poesie empfohlen worden sind, scheint jetzt Herr von Dyherrn als der Dichter,<lb/> welcher das Ideal vertrete, in Scene gesetzt werden zu sollen. Kein Mensch<lb/> würde dem, wenn auch kraftlosen, doch offenbar liebenswürdige Talente dieses<lb/> Lyrikers und Novellisten eine herzliche Erinnerung seiner Freunde mißgönnen.<lb/> Aber wenn dieser Art Leistungen als die wahren, reinen, befreienden verkündet<lb/> werden, so müssen wir doch alle Ernstes dagegen protestieren. „Eines rein ge¬<lb/> stimmten Busens innerste Musik", um mit Platen zu sprechen, ist gute, starke,<lb/> klangvolle, nicht schwächliche und Nimprige Musik!</p><lb/> <p xml:id="ID_673"> Neuerdings erscheint, erst in der Schweiz, jetzt in Dresden, eine eigens der<lb/> jüngern idealistischen Dichtung und ihren Interessen gewidmete Zeitschrift, die sich<lb/> „D i es t er h el in" nennt. Sie schlägt in der Kritik einen gewaltig hohen und ernsthaften<lb/> Ton an, will die^Herzen zur Liebe und Begeisterung sür das Gute und Edle wecken,<lb/> ruft die Welt zur Liebe und empfindet heiße Sehnsucht nach dem verrathenen<lb/> Ideal. Und doch füllt sie sich daneben mit Gedichten, unter denen ja einzelne<lb/> recht hübsch und klangvoll sind, selbst einer gewissen Stimmung nicht entbehren,<lb/> die meisten aber kaum ein besseres und oft ein schlimmeres Prädicat als „harm¬<lb/> los" verdienen und alle (selbst die wenigen Beiträge wirklich productiver und<lb/> leistungsfähiger Dichter nicht ausgenommen) mit den großen Anforderungen von<lb/> innerster Gewalt und poetischer Eigenart, welche in den Kritiken des Blattes<lb/> scheinbar gestellt sind, gar wundersam contrastieren. Mit Redensarten schlägt<lb/> man keinen Gegner, und wenn man der verlotterten Feuilletonistik und pikanten<lb/> Leihbibliothekenliteratur nichts Besseres entgegenzustellen hat als diese stümpernde<lb/> Versmusik, so thäte man jedenfalls besser den Gegensatz nicht erst zu betonen.</p><lb/> <p xml:id="ID_674"> Und so könnten wir, in den Bücher- und Blätterhaufen, der uns umgiebt,<lb/> frisch hineingreifend, Beispiel auf Beispiel beibringen, wie verhängnißvoll wir<lb/> uns in den letzten Jahren gewöhnt haben, das Programm für die Arbeit zu<lb/> nehmen und die Versicherung für die Thatsache. Die begeisterungslose Specu-<lb/> lation lacht sich ins Fäustchen, so oft sie Erscheinungen wie den oben charak¬<lb/> terisierten begegnet. Denn sie weiß wohl, daß ihr von diesen keine Gefahr<lb/> droht, aus der Gunst des Publikums verdrängt zu werden, auch des Publi¬<lb/> kums, welches der Sensationsnovellen, Criminalgeschichten und Demimondelust¬<lb/> spiele müde genug ist, aber doch den eigentlichen Lebensgehalt und die Dar¬<lb/> stellungsfähigkeit nicht für wohlgemeinte Redensarten und allgemeine Begeiste-<lb/> ruugsversicherungen vertauschen will und wird. Es lechzt nach bessern: Inhalt,<lb/> aber nach Inhalt, nach edlerer Darstellung, aber nach Darstellung, nach höherer<lb/> Gesinnung, aber nach Gesinnung, die fähig ist, sich in Gestalten und Hand¬<lb/> lungen auszusprechen. Schlimm genug, daß es Anlässe giebt, so abgedroschene<lb/> Gemeinplätze immer und immer wiederholen zu müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_675" next="#ID_676"> Sicher ist es ein uraltes Uebel in der deutschen Literatur und Kunst, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
Poesie empfohlen worden sind, scheint jetzt Herr von Dyherrn als der Dichter,
welcher das Ideal vertrete, in Scene gesetzt werden zu sollen. Kein Mensch
würde dem, wenn auch kraftlosen, doch offenbar liebenswürdige Talente dieses
Lyrikers und Novellisten eine herzliche Erinnerung seiner Freunde mißgönnen.
Aber wenn dieser Art Leistungen als die wahren, reinen, befreienden verkündet
werden, so müssen wir doch alle Ernstes dagegen protestieren. „Eines rein ge¬
stimmten Busens innerste Musik", um mit Platen zu sprechen, ist gute, starke,
klangvolle, nicht schwächliche und Nimprige Musik!
Neuerdings erscheint, erst in der Schweiz, jetzt in Dresden, eine eigens der
jüngern idealistischen Dichtung und ihren Interessen gewidmete Zeitschrift, die sich
„D i es t er h el in" nennt. Sie schlägt in der Kritik einen gewaltig hohen und ernsthaften
Ton an, will die^Herzen zur Liebe und Begeisterung sür das Gute und Edle wecken,
ruft die Welt zur Liebe und empfindet heiße Sehnsucht nach dem verrathenen
Ideal. Und doch füllt sie sich daneben mit Gedichten, unter denen ja einzelne
recht hübsch und klangvoll sind, selbst einer gewissen Stimmung nicht entbehren,
die meisten aber kaum ein besseres und oft ein schlimmeres Prädicat als „harm¬
los" verdienen und alle (selbst die wenigen Beiträge wirklich productiver und
leistungsfähiger Dichter nicht ausgenommen) mit den großen Anforderungen von
innerster Gewalt und poetischer Eigenart, welche in den Kritiken des Blattes
scheinbar gestellt sind, gar wundersam contrastieren. Mit Redensarten schlägt
man keinen Gegner, und wenn man der verlotterten Feuilletonistik und pikanten
Leihbibliothekenliteratur nichts Besseres entgegenzustellen hat als diese stümpernde
Versmusik, so thäte man jedenfalls besser den Gegensatz nicht erst zu betonen.
Und so könnten wir, in den Bücher- und Blätterhaufen, der uns umgiebt,
frisch hineingreifend, Beispiel auf Beispiel beibringen, wie verhängnißvoll wir
uns in den letzten Jahren gewöhnt haben, das Programm für die Arbeit zu
nehmen und die Versicherung für die Thatsache. Die begeisterungslose Specu-
lation lacht sich ins Fäustchen, so oft sie Erscheinungen wie den oben charak¬
terisierten begegnet. Denn sie weiß wohl, daß ihr von diesen keine Gefahr
droht, aus der Gunst des Publikums verdrängt zu werden, auch des Publi¬
kums, welches der Sensationsnovellen, Criminalgeschichten und Demimondelust¬
spiele müde genug ist, aber doch den eigentlichen Lebensgehalt und die Dar¬
stellungsfähigkeit nicht für wohlgemeinte Redensarten und allgemeine Begeiste-
ruugsversicherungen vertauschen will und wird. Es lechzt nach bessern: Inhalt,
aber nach Inhalt, nach edlerer Darstellung, aber nach Darstellung, nach höherer
Gesinnung, aber nach Gesinnung, die fähig ist, sich in Gestalten und Hand¬
lungen auszusprechen. Schlimm genug, daß es Anlässe giebt, so abgedroschene
Gemeinplätze immer und immer wiederholen zu müssen.
Sicher ist es ein uraltes Uebel in der deutschen Literatur und Kunst, daß
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