Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.lands und Frankreichs Stellung zum Judenthum die Regeln zu gründen, welchen In ganz anderer Lage befand und befindet sich Deutschland. Auch hier, lands und Frankreichs Stellung zum Judenthum die Regeln zu gründen, welchen In ganz anderer Lage befand und befindet sich Deutschland. Auch hier, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147837"/> <p xml:id="ID_533" prev="#ID_532"> lands und Frankreichs Stellung zum Judenthum die Regeln zu gründen, welchen<lb/> man Deutschland zu unterwerfen wünscht. Denn polnische Juden sind nicht<lb/> spanische Marannen, und bisher ist das Judenthum Westeuropas noch immer<lb/> vorwiegend spanischer Herkunft oder spanisch-jüdischen Geistes.</p><lb/> <p xml:id="ID_534" next="#ID_535"> In ganz anderer Lage befand und befindet sich Deutschland. Auch hier,<lb/> im Weste» und Süden, kamen spanische Juden herein. Aber sie allein vermochten<lb/> heilte niemand zu veranlassen, die Judenfrage aufzuwerfen. Eben aus diesem<lb/> Umstände, wie gering der Judenhaß in Süddeutschland im ganzen ist, sieht man,<lb/> wie wenig die spanischen Juden mit der modernen Judenfrage zu schaffen haben<lb/> und wie ungehörig es ist, die Stellung Deutschlands zum Judenthum mit dem¬<lb/> selben Maße zu messen, das man an England oder Frankreich legt. Für<lb/> Deutschland liegt das Judenthum im Osten, in den ehemals polnischen Grenz-<lb/> ländern. Der polnische Jude ist mit dem spanischen ungefähr so verwandt wie<lb/> der Deutsche mit dein Engländer oder Schweden. Aber sie haben sich so ver¬<lb/> schieden entwickelt, und der polnische Jude spielt in Deutschland eine so andere<lb/> Rolle als der spanische und der später aus Deutschland eigewanderte Jude<lb/> in Holland oder England, daß man mit einigem Rechte sagen kann, unter den<lb/> Völkern des alten Europa bestehe außer für Polen und Ungarn nur für die<lb/> Deutschen eine Judenfrage. Die Statistik giebt für die Verbreitung der Juden<lb/> folgende Zahlen an (Physiealisch-statistischer Atlas von Andree und Peschel):<lb/> Gesammtzahl 6 bis 7 Millionen; in Europa 5 Millionen; England 46000,<lb/> Frankreich 46 000, Italien 36000, Spanien 6000, Dänemark 5000, die Schweiz<lb/> 7000, Griechenland 5000. Die Niederlande haben 69000, Deutschland 51 l 000.<lb/> Dann kommen die Länder mit slawischen Gebieten, welche mit ihrer jüdischen Be¬<lb/> völkerung zunächst der deutscheu Rasse benachbart siud, und zwar Oesterreich-<lb/> Ungarn mit 1376 000, Rußland-Polen mit 2j162 000, endlich weiter ab Rumänien<lb/> mit 150000, die Türkei mit 100000 Juden. In Deutschland zählt Preußen allein<lb/> 325000 Juden, welche mit sehr wenig Ausnahme» den östlichen, polnische»<lb/> Juden angehören. Das deutsche Volk hat demnach eine geschlossene Masse von<lb/> vier Millionen, d. h. zwei Dritteln aller Jude» der Welt z» unmittelbaren<lb/> Nachbarn, und zwar diejenige Masse dieses Stammes, in welcher die alte Kraft<lb/> der Nasse, die tadellose Reinheit des Blutes, der fanatische Eifer des Glaubens,<lb/> der starke Geist des Talmud in unvergleichlicher Macht herrschen. Man darf<lb/> daher wohl sagen, daß, von den Slawen und Ungarn abgesehen, für kein Volk<lb/> die Erforschung des Judenthums und seine Zukunft von so hoher praktischer<lb/> Bedeutung ist wie für das deutsche Volk. Es ist indessen sonderbar, wie wenig<lb/> man in Deutschland seine Aufmerksamkeit auf dieses polnische Judenthum bisher<lb/> gerichtet hat, während man so viel von der Judenfrage redet. Man kämpft<lb/> in manchen Lagern heftig gegen das Judenthum, ohne sich um das große Heer-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
lands und Frankreichs Stellung zum Judenthum die Regeln zu gründen, welchen
man Deutschland zu unterwerfen wünscht. Denn polnische Juden sind nicht
spanische Marannen, und bisher ist das Judenthum Westeuropas noch immer
vorwiegend spanischer Herkunft oder spanisch-jüdischen Geistes.
In ganz anderer Lage befand und befindet sich Deutschland. Auch hier,
im Weste» und Süden, kamen spanische Juden herein. Aber sie allein vermochten
heilte niemand zu veranlassen, die Judenfrage aufzuwerfen. Eben aus diesem
Umstände, wie gering der Judenhaß in Süddeutschland im ganzen ist, sieht man,
wie wenig die spanischen Juden mit der modernen Judenfrage zu schaffen haben
und wie ungehörig es ist, die Stellung Deutschlands zum Judenthum mit dem¬
selben Maße zu messen, das man an England oder Frankreich legt. Für
Deutschland liegt das Judenthum im Osten, in den ehemals polnischen Grenz-
ländern. Der polnische Jude ist mit dem spanischen ungefähr so verwandt wie
der Deutsche mit dein Engländer oder Schweden. Aber sie haben sich so ver¬
schieden entwickelt, und der polnische Jude spielt in Deutschland eine so andere
Rolle als der spanische und der später aus Deutschland eigewanderte Jude
in Holland oder England, daß man mit einigem Rechte sagen kann, unter den
Völkern des alten Europa bestehe außer für Polen und Ungarn nur für die
Deutschen eine Judenfrage. Die Statistik giebt für die Verbreitung der Juden
folgende Zahlen an (Physiealisch-statistischer Atlas von Andree und Peschel):
Gesammtzahl 6 bis 7 Millionen; in Europa 5 Millionen; England 46000,
Frankreich 46 000, Italien 36000, Spanien 6000, Dänemark 5000, die Schweiz
7000, Griechenland 5000. Die Niederlande haben 69000, Deutschland 51 l 000.
Dann kommen die Länder mit slawischen Gebieten, welche mit ihrer jüdischen Be¬
völkerung zunächst der deutscheu Rasse benachbart siud, und zwar Oesterreich-
Ungarn mit 1376 000, Rußland-Polen mit 2j162 000, endlich weiter ab Rumänien
mit 150000, die Türkei mit 100000 Juden. In Deutschland zählt Preußen allein
325000 Juden, welche mit sehr wenig Ausnahme» den östlichen, polnische»
Juden angehören. Das deutsche Volk hat demnach eine geschlossene Masse von
vier Millionen, d. h. zwei Dritteln aller Jude» der Welt z» unmittelbaren
Nachbarn, und zwar diejenige Masse dieses Stammes, in welcher die alte Kraft
der Nasse, die tadellose Reinheit des Blutes, der fanatische Eifer des Glaubens,
der starke Geist des Talmud in unvergleichlicher Macht herrschen. Man darf
daher wohl sagen, daß, von den Slawen und Ungarn abgesehen, für kein Volk
die Erforschung des Judenthums und seine Zukunft von so hoher praktischer
Bedeutung ist wie für das deutsche Volk. Es ist indessen sonderbar, wie wenig
man in Deutschland seine Aufmerksamkeit auf dieses polnische Judenthum bisher
gerichtet hat, während man so viel von der Judenfrage redet. Man kämpft
in manchen Lagern heftig gegen das Judenthum, ohne sich um das große Heer-
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