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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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man hat nicht bloß in Köln gefeiert; irren wir uns nicht, so feierten die Herzen
in ganz Deutschland mit, auch die Herzen derjenigen Deutschen, die nicht im
Reiche wohnen. Und diese allgemeine, tief ergriffene Festfreude bei dem Ge¬
lingen eines Werkes, dessen Wiederaufnahme vor achtunddreißig Jahren einen
fast ebenso allgemeinen Widerspruch herausforderte! Denn dies muß man sich
gestehen: vor achtunddreißig Jahren zählte die Vollendung des Domes ihre
Anhänger nur im officiellen Deutschland und bei der kleinen Gemeinde, welche
sich den Anregungen eines Görres, Boisseree u. s. w. hingegeben hatte. Das
lebende, strebende Deutschland wandte sich ab von einem Unternehmen, das dem
Mittelalter und dem Ultramontanismus dienen sollte.

Die Rede, welche Friedrich Wilhelm IV. bei der Grundsteinlegung am 4.
September 1842 hielt, ist eine seiner schwungvollsten. Man hat sich der Rede
in diesen Tagen nicht genug erinnern können, sie immer wieder angeführt und
ihre" wahrhaft königlichen Schwung bewundert. Die Pietät des Kaisers Wil¬
helm hat dem Vollendungsfeste den Charakter einer Erinnerungsfeier für den
Bruder zu geben gewünscht. Aber niemand hat wohl das Gefühl, daß die merk¬
würdigen Tage des 15. und 16. October 1880 eine kleine Aussöhnung mit
dem Andenken Friedrich Wilhelms IV. dargestellt haben, des Königs, der mit
seiner Zeit einen für beide Theile so schmerzlichen Kampf gekämpft hat, einen
Kampf, dessen historisches Verständniß noch eine Aufgabe der Zukunft bleibt.

In der That, wenn wir heute die Rede vom 4. September 1842 mit
ruhigem Blick auf den Zusammenhang und nicht bloß mit der Freude an den
glänzenden Worten lesen, so gewahren wir doch den weiten Abstand, welcher
den Redner von seiner Zeit getrennt hat, und ebenso, daß die außerordentliche
Geschichte der achtunddreißig Jahre, welche seitdem gekommen, diesen Abstand
nicht überbrückt hat. Dem König genügte der damalige officielle europäische
Zustand und namentlich der deutsche Zustand, er wollte nur, daß die Völker
und alle amtlichen Träger dieses Zustandes sich für denselben auch erwärmen
und innerhalb desselben sich zu echten Christen und echten Deutschen machen
sollten. Der König, den die historische Mannichfaltigkeit freute, nahm dabei an,
jeder, ob Fürst oder Unterthan, ob katholisch oder evangelisch, ob er die Sutane
oder den schwarzen Priesterrock trage, könne zugleich die Einseitigkeit seiner
menschlichen Lage ohne deren Leidenschaft besitzen und könne, mitten in der Ein¬
seitigkeit steckend, sich für die Pracht des universellen Blickes auf die Mannich¬
faltigkeit dieser Einseitigkeiten begeistern. Dies war des Königs Sinn. Deutsch¬
land aber fing damals an, seinen Zustand zu hassen und lernte auch diejenigen
hassen, die diesen Zustand halten wollten. Das deutsche Volk sah in diesem
Zustande mit Recht seine moralische und materielle Verkümmerung und ahnte
mit schwerem Herzen, daß dieser Zustand sogar das Dasein seiner immer schwerer


man hat nicht bloß in Köln gefeiert; irren wir uns nicht, so feierten die Herzen
in ganz Deutschland mit, auch die Herzen derjenigen Deutschen, die nicht im
Reiche wohnen. Und diese allgemeine, tief ergriffene Festfreude bei dem Ge¬
lingen eines Werkes, dessen Wiederaufnahme vor achtunddreißig Jahren einen
fast ebenso allgemeinen Widerspruch herausforderte! Denn dies muß man sich
gestehen: vor achtunddreißig Jahren zählte die Vollendung des Domes ihre
Anhänger nur im officiellen Deutschland und bei der kleinen Gemeinde, welche
sich den Anregungen eines Görres, Boisseree u. s. w. hingegeben hatte. Das
lebende, strebende Deutschland wandte sich ab von einem Unternehmen, das dem
Mittelalter und dem Ultramontanismus dienen sollte.

Die Rede, welche Friedrich Wilhelm IV. bei der Grundsteinlegung am 4.
September 1842 hielt, ist eine seiner schwungvollsten. Man hat sich der Rede
in diesen Tagen nicht genug erinnern können, sie immer wieder angeführt und
ihre» wahrhaft königlichen Schwung bewundert. Die Pietät des Kaisers Wil¬
helm hat dem Vollendungsfeste den Charakter einer Erinnerungsfeier für den
Bruder zu geben gewünscht. Aber niemand hat wohl das Gefühl, daß die merk¬
würdigen Tage des 15. und 16. October 1880 eine kleine Aussöhnung mit
dem Andenken Friedrich Wilhelms IV. dargestellt haben, des Königs, der mit
seiner Zeit einen für beide Theile so schmerzlichen Kampf gekämpft hat, einen
Kampf, dessen historisches Verständniß noch eine Aufgabe der Zukunft bleibt.

In der That, wenn wir heute die Rede vom 4. September 1842 mit
ruhigem Blick auf den Zusammenhang und nicht bloß mit der Freude an den
glänzenden Worten lesen, so gewahren wir doch den weiten Abstand, welcher
den Redner von seiner Zeit getrennt hat, und ebenso, daß die außerordentliche
Geschichte der achtunddreißig Jahre, welche seitdem gekommen, diesen Abstand
nicht überbrückt hat. Dem König genügte der damalige officielle europäische
Zustand und namentlich der deutsche Zustand, er wollte nur, daß die Völker
und alle amtlichen Träger dieses Zustandes sich für denselben auch erwärmen
und innerhalb desselben sich zu echten Christen und echten Deutschen machen
sollten. Der König, den die historische Mannichfaltigkeit freute, nahm dabei an,
jeder, ob Fürst oder Unterthan, ob katholisch oder evangelisch, ob er die Sutane
oder den schwarzen Priesterrock trage, könne zugleich die Einseitigkeit seiner
menschlichen Lage ohne deren Leidenschaft besitzen und könne, mitten in der Ein¬
seitigkeit steckend, sich für die Pracht des universellen Blickes auf die Mannich¬
faltigkeit dieser Einseitigkeiten begeistern. Dies war des Königs Sinn. Deutsch¬
land aber fing damals an, seinen Zustand zu hassen und lernte auch diejenigen
hassen, die diesen Zustand halten wollten. Das deutsche Volk sah in diesem
Zustande mit Recht seine moralische und materielle Verkümmerung und ahnte
mit schwerem Herzen, daß dieser Zustand sogar das Dasein seiner immer schwerer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/162>, abgerufen am 28.12.2024.