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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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cipe beigetreten. In Deutschland, Oesterreich und Frankreich dagegen ist man
der Meinung, daß die Umstände, die zu der Flottenkundgebung geführt haben,
sich durch die Zusage unbedingter Uebergabe Dulcignos anders als bisher ge¬
staltet haben, und daß die vom Ministerium Gladstone vorgeschlagene Maßregel
nicht ohne weiteres adoptiert werden könne, sondern zum Gegenstande neuer
Unterhandlungen zwischen den Mächten gemacht werden müsse. Darüber dürfte
aber bis zu einer Verständigung geraume Zeit verfließen.

Diese Mittheilungen erscheinen uns glaubwürdig. Montenegro mußte auf
Grund einer Clausel des Vertrags befriedigt werden, der auf dem Berliner
Kongresse unter Einwilligung der Pforte zu Stande gekommen war und als
europäisches Recht zu gelten hatte. Die Türkei hatte hier eine ganz bestimmte
Verpflichtung übernommen, an deren Stelle, als sie sich als unerfüllbar erwies,
die Abtretung Düleignos und seiner Umgebung als Aequivalent trat. Die
Greuzberichtignng im Süden Albaniens und in Thessalien, welche die Berliner
Conferenz empfahl, trägt einen wesentlich anderen Charakter. Sie war eben
eine Empfehlung, ein Rath, kein Verlangen, das auf einer bestimmten
beim Berliner Vertrage von der Pforte eingegangenen Verpflichtung basierte,
denn die Pforte hatte bei der Conferenz keine Stimme gehabt. Die gewünschten
Reformen in Armenien endlich, die Gladstone und die mit ihm gehenden Mächte
durch weitere Pression beschleunigen wollen, lassen sich, wie jeder Sachkenner
zugeben wird, nicht im Handumdrehen durchführen.

Dazu kommt uoch die Berücksichtigung der Gefahren, welche eine Fortsetzung
der Flottenkundgebnng im Aegeischen Meere begleiten würden. Dieselbe ist viel
wichtiger als das Interesse, welches Deutschland, Oesterreich- Ungarn und
Frankreich an der Lösung der griechischen und armenischen Frage haben. Mau
wird deshalb von Seiten der letzteren Mächte zwar alles aufbieten, um das
europäische Einvernehmen gegenüber der Pforte nach Möglichkeit zu bewahren,
aber gewiß nicht ohne Vorbehalte, wahrscheinlich aber überhaupt nicht mit nach
Smyrna gehen oder sich sonstigen Zwangsmaßregeln anschließen, sondern sich
ans eine Umstimmung der Pforte zu weiterer Nachgiebigkeit auf diplomatischem
Wege beschränken. Was wäre zu thun, wenn die Türken sich in Smyrna ebenso
verhielten wie bisher in Nordalbanien, und wenn etwa während der Blockade
und des Embargo ein hitziger türkischer Kanonier oder auch der Zufall auf
das von England geführte Geschwader feuerte? Würde der Schuß wie unge¬
fähr bei Navarino mit einem Bombardement der Stadt erwiedert werden?
Sollte man es für menschenmöglich ansehen, daß eine große türkische Handels¬
stadt, wo überdies Massen von Gütern lagern, die europäische" Handelshäusern
gehören, in Asche gelegt werden dürfte, weil der Sultan es für unvereinbar
mit seinem Interesse hält, Larissa und Janina an die Griechen zu verschenken,


cipe beigetreten. In Deutschland, Oesterreich und Frankreich dagegen ist man
der Meinung, daß die Umstände, die zu der Flottenkundgebung geführt haben,
sich durch die Zusage unbedingter Uebergabe Dulcignos anders als bisher ge¬
staltet haben, und daß die vom Ministerium Gladstone vorgeschlagene Maßregel
nicht ohne weiteres adoptiert werden könne, sondern zum Gegenstande neuer
Unterhandlungen zwischen den Mächten gemacht werden müsse. Darüber dürfte
aber bis zu einer Verständigung geraume Zeit verfließen.

Diese Mittheilungen erscheinen uns glaubwürdig. Montenegro mußte auf
Grund einer Clausel des Vertrags befriedigt werden, der auf dem Berliner
Kongresse unter Einwilligung der Pforte zu Stande gekommen war und als
europäisches Recht zu gelten hatte. Die Türkei hatte hier eine ganz bestimmte
Verpflichtung übernommen, an deren Stelle, als sie sich als unerfüllbar erwies,
die Abtretung Düleignos und seiner Umgebung als Aequivalent trat. Die
Greuzberichtignng im Süden Albaniens und in Thessalien, welche die Berliner
Conferenz empfahl, trägt einen wesentlich anderen Charakter. Sie war eben
eine Empfehlung, ein Rath, kein Verlangen, das auf einer bestimmten
beim Berliner Vertrage von der Pforte eingegangenen Verpflichtung basierte,
denn die Pforte hatte bei der Conferenz keine Stimme gehabt. Die gewünschten
Reformen in Armenien endlich, die Gladstone und die mit ihm gehenden Mächte
durch weitere Pression beschleunigen wollen, lassen sich, wie jeder Sachkenner
zugeben wird, nicht im Handumdrehen durchführen.

Dazu kommt uoch die Berücksichtigung der Gefahren, welche eine Fortsetzung
der Flottenkundgebnng im Aegeischen Meere begleiten würden. Dieselbe ist viel
wichtiger als das Interesse, welches Deutschland, Oesterreich- Ungarn und
Frankreich an der Lösung der griechischen und armenischen Frage haben. Mau
wird deshalb von Seiten der letzteren Mächte zwar alles aufbieten, um das
europäische Einvernehmen gegenüber der Pforte nach Möglichkeit zu bewahren,
aber gewiß nicht ohne Vorbehalte, wahrscheinlich aber überhaupt nicht mit nach
Smyrna gehen oder sich sonstigen Zwangsmaßregeln anschließen, sondern sich
ans eine Umstimmung der Pforte zu weiterer Nachgiebigkeit auf diplomatischem
Wege beschränken. Was wäre zu thun, wenn die Türken sich in Smyrna ebenso
verhielten wie bisher in Nordalbanien, und wenn etwa während der Blockade
und des Embargo ein hitziger türkischer Kanonier oder auch der Zufall auf
das von England geführte Geschwader feuerte? Würde der Schuß wie unge¬
fähr bei Navarino mit einem Bombardement der Stadt erwiedert werden?
Sollte man es für menschenmöglich ansehen, daß eine große türkische Handels¬
stadt, wo überdies Massen von Gütern lagern, die europäische» Handelshäusern
gehören, in Asche gelegt werden dürfte, weil der Sultan es für unvereinbar
mit seinem Interesse hält, Larissa und Janina an die Griechen zu verschenken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/160>, abgerufen am 28.12.2024.