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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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krisis hervorrief und Ferry an die Spitze des neuen Cabinets brachte, Jules
Ferry, der den Kampf und den Ultramontanen und deren Niederwerflmg zu
seiner Specialität gemacht hat. Das neugebildete Cabinet hat ganz unzweifel¬
haft den Zweck, eine Maschine zu strengster Vollstreckung der gegen die reli¬
giösen Genossenschaften ergangenen Decrete zu sein.

In Bezug auf das Nähere des Rücktritts Freycinets und die Stellung, die
Gambetta dabei zu ihn: eingenommen, hat Rana, der Vertraute des Kammer¬
präsideuten, im Voltairv einige Aufschlüsse ertheilt, die uns im Ganzen plau¬
sibel vorkommen. Am 17. August hielt Freycinet in Montauban eine Rede, in
der er gewissermaßen sein politisches Programm verkündete, und die er dann
officiell durch den Druck veröffentlichte. Nur das Cabinet und ein einziger
Senator (Hebrard vom Isnixs) wurden vorher von der Absicht des Conseil-
prüsidenten, diese Kundgebung zu veranstalten, in Kenntniß gesetzt. Gambetta
erfuhr durch den Minister davon nichts. Jener Senator widerriet!) Freycinet,
die Rede während der parlamentarischen Ferien zu halten, indem er hinzufügte,
ein solches Programm werde bedauerliche Händel zur Folge haben. Die Rede
von Montauban bestand aus zwei Theilen. Der eine bezog sich auf die äußere
Politik Frankreichs, vou der behauptet wurde, daß sie eine vollständig fried¬
liche sei und sein müsse. Hier stimmten alle, welche vorher darüber befragt
wurden, mit dem Premier überein, nur verstimmte es einige seiner College"
(und vermuthlich auch Gambetta), daß er bei seinen Maßregeln zur Sicherung
des Friedens sie nicht vorher in Kenntuiß von seiner Absicht gesetzt hatte. So
bei der Entsendung der französischen Schiffe zum europäischen Geschwader vor
Ragusa, und so in der tunesischen Angelegenheit. Der zweite Abschnitt der Rede
war der inneren Politik gewidmet und vorzüglich der Ausführung der Mürz-
Decrete gegen die Cvngregationen. Freycinet wollte hierdurch die öffentliche
Meinung auf ein von ihm beabsichtigtes Abkommen mit den vom Gesetze nicht
erlaubten Ordensgesellschasten vorbereiten. Er hatte vorher mit gewissen Prä¬
laten zu diesem Zwecke Unterhandlungen angeknüpft und war dabei zu eiuer
Verständigung mit denselben gelangt, die ihm genügte, aber ganz und gar den
Absichten Gambettns und Ferrys widersprach. Dies trat sehr bald an den
Tag. Schon am 19. August, also zwei Tage nach der Rede von Montauban,
richteten die Erzbischöfe vou Paris und Rouen an die französischen Bischöfe
das bekannte Schreiben. Freycinet wollte die Regierung bestimmen, die Aus¬
führung des zweiten März-Decrets aufzugeben, und er hoffte, es werde ihm
gelingen, seine College" durch seiue Rede zu binden. Er ließ durch deu Erz-
bischof von Algier, Herrn de Lavigerie, Unterhandlungen mit dem Vatican an¬
knüpfe", der diesem Kirchenfürsten deu Cardinalshut versprach, falls die Sache
in Frankreich glückte. Die Rede machte nach dieser Seite hin einen sehr üblen


krisis hervorrief und Ferry an die Spitze des neuen Cabinets brachte, Jules
Ferry, der den Kampf und den Ultramontanen und deren Niederwerflmg zu
seiner Specialität gemacht hat. Das neugebildete Cabinet hat ganz unzweifel¬
haft den Zweck, eine Maschine zu strengster Vollstreckung der gegen die reli¬
giösen Genossenschaften ergangenen Decrete zu sein.

In Bezug auf das Nähere des Rücktritts Freycinets und die Stellung, die
Gambetta dabei zu ihn: eingenommen, hat Rana, der Vertraute des Kammer¬
präsideuten, im Voltairv einige Aufschlüsse ertheilt, die uns im Ganzen plau¬
sibel vorkommen. Am 17. August hielt Freycinet in Montauban eine Rede, in
der er gewissermaßen sein politisches Programm verkündete, und die er dann
officiell durch den Druck veröffentlichte. Nur das Cabinet und ein einziger
Senator (Hebrard vom Isnixs) wurden vorher von der Absicht des Conseil-
prüsidenten, diese Kundgebung zu veranstalten, in Kenntniß gesetzt. Gambetta
erfuhr durch den Minister davon nichts. Jener Senator widerriet!) Freycinet,
die Rede während der parlamentarischen Ferien zu halten, indem er hinzufügte,
ein solches Programm werde bedauerliche Händel zur Folge haben. Die Rede
von Montauban bestand aus zwei Theilen. Der eine bezog sich auf die äußere
Politik Frankreichs, vou der behauptet wurde, daß sie eine vollständig fried¬
liche sei und sein müsse. Hier stimmten alle, welche vorher darüber befragt
wurden, mit dem Premier überein, nur verstimmte es einige seiner College»
(und vermuthlich auch Gambetta), daß er bei seinen Maßregeln zur Sicherung
des Friedens sie nicht vorher in Kenntuiß von seiner Absicht gesetzt hatte. So
bei der Entsendung der französischen Schiffe zum europäischen Geschwader vor
Ragusa, und so in der tunesischen Angelegenheit. Der zweite Abschnitt der Rede
war der inneren Politik gewidmet und vorzüglich der Ausführung der Mürz-
Decrete gegen die Cvngregationen. Freycinet wollte hierdurch die öffentliche
Meinung auf ein von ihm beabsichtigtes Abkommen mit den vom Gesetze nicht
erlaubten Ordensgesellschasten vorbereiten. Er hatte vorher mit gewissen Prä¬
laten zu diesem Zwecke Unterhandlungen angeknüpft und war dabei zu eiuer
Verständigung mit denselben gelangt, die ihm genügte, aber ganz und gar den
Absichten Gambettns und Ferrys widersprach. Dies trat sehr bald an den
Tag. Schon am 19. August, also zwei Tage nach der Rede von Montauban,
richteten die Erzbischöfe vou Paris und Rouen an die französischen Bischöfe
das bekannte Schreiben. Freycinet wollte die Regierung bestimmen, die Aus¬
führung des zweiten März-Decrets aufzugeben, und er hoffte, es werde ihm
gelingen, seine College» durch seiue Rede zu binden. Er ließ durch deu Erz-
bischof von Algier, Herrn de Lavigerie, Unterhandlungen mit dem Vatican an¬
knüpfe«, der diesem Kirchenfürsten deu Cardinalshut versprach, falls die Sache
in Frankreich glückte. Die Rede machte nach dieser Seite hin einen sehr üblen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/138>, abgerufen am 28.12.2024.