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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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derer Stelle -- "ist durch ihre Mißgriffe und Schlechtigkeiten fo sehr in der
Meinung der Welt gesunken und so sehr mit Verachtung belastet, daß ich meinen
Sohn enterbe" würde, wenn er in diese Laufbahn eintreten wollte." Napoleon
-- darin stimmte er durchaus mit Blücher überein -- sollte auf demselben
Flecke hingerichtet werden, wo der Herzog von Enghien erschossen worden war.
Als Werkzeuge der Gerechtigkeit, meinte er, müßten sich die Sieger betrachten,
die ewige Gerechtigkeit zu üben sei ihre Pflicht. Wellington war anderer An¬
sicht. Wenn es das Wohl von Europa fordere, so wollte er sich nicht bedenken,
Napoleon erschießen zu lassen, allein es sei dies nicht der Fall, und so würde
eine solche Hinrichtung in der Geschichte immer als eine action oclisuss er¬
scheinen, auch wenn die gegenwärtig lebenden Generationen es nicht tadelten.
Mit Zorn gab Gneisenau "ach. "Es sei indessen! Will man theatralische
Großmuth üben, so will ick mich dem nicht widersetzen. Es geschieht dies aus
Achtung gegen den Herzog und -- aus Schwäche."

Ebenso wenig gelang es dem General einen anderen Wunsch durchzusetzen:
die Sprengung der Brücken von Austerlitz und Jena. Wir mögen heute über
eine solche Absicht kühler urtheilen und die Zerstörung eines Kunstwerkes eine
Barbarei nennen; damals war die Sprengung der Jena-Brücke eine National¬
angelegenheit. Das durch die langen Kämpfe gesteigerte Nationalgefühl forderte
eine Sühne. Bitter schreibt Gneisenau an Wellington, den er anch hierin als
Gegner sah: "Daß Euer Durchlaucht selbst in Ihrem desfallsigen an mich ge¬
richteten Schreiben den Namen der Brücke von Jena, wahrscheinlich aus Scho¬
nung für uns Preußen nicht aussprechen, obgleich er Ihnen bekannt sein muß,
könnte für mich schon allein einen Grund abgeben, die Zerstörung dieser Brücke
zu beschließen. Wenn im letzten amerikanischen Kriege die britischen Truppen
zu Washington eine Brücke daselbst mit dem Namen Saratoga gefunden und
sie nicht zerstört hätten, würden sie nicht die Vorwürfe der britischen Nation
verdient haben?" Der erste Sprengungsversuch mißglückte. Ehe ein zweiter
Versuch gemacht wurde, waren mittlerweile auch die Monarchen in Paris ein¬
getroffen, und nun konnte Gneisenau nichts der Art mehr durchsetze:?. Immer
mehr stieg seine Erbitterung, als er sah, wie Wellington die Bourbonen sofort
wieder in ihre Gewalt einsetzte und, um ihre Macht zu stärken, Frankreich vor
jeder Demüthigung zu bewahren suchte. Der Mann, der die Franzosen aufs
bitterste haßte und verachtete, der in Frankreich selbst nie etwas unentgeltlich
annahm, um niemand zu Danke verpflichtet zu sein, der die bourbonischen
Prinzen ignorierte und ihre allmächtigen Minister mit Behagen warten ließ, er
wußte es erleben, daß die Diplomaten wiederum Frankreich ohne wesentliche
Schädigung an Gebiet ausgehen ließen. "Deutschland" -- so grollt er in einem
Briefe an Reimer vom 18. September 1815 -- "soll also der Gefahr steter


Grenzboten IV. 1380. 14

derer Stelle — „ist durch ihre Mißgriffe und Schlechtigkeiten fo sehr in der
Meinung der Welt gesunken und so sehr mit Verachtung belastet, daß ich meinen
Sohn enterbe» würde, wenn er in diese Laufbahn eintreten wollte." Napoleon
— darin stimmte er durchaus mit Blücher überein — sollte auf demselben
Flecke hingerichtet werden, wo der Herzog von Enghien erschossen worden war.
Als Werkzeuge der Gerechtigkeit, meinte er, müßten sich die Sieger betrachten,
die ewige Gerechtigkeit zu üben sei ihre Pflicht. Wellington war anderer An¬
sicht. Wenn es das Wohl von Europa fordere, so wollte er sich nicht bedenken,
Napoleon erschießen zu lassen, allein es sei dies nicht der Fall, und so würde
eine solche Hinrichtung in der Geschichte immer als eine action oclisuss er¬
scheinen, auch wenn die gegenwärtig lebenden Generationen es nicht tadelten.
Mit Zorn gab Gneisenau »ach. „Es sei indessen! Will man theatralische
Großmuth üben, so will ick mich dem nicht widersetzen. Es geschieht dies aus
Achtung gegen den Herzog und — aus Schwäche."

Ebenso wenig gelang es dem General einen anderen Wunsch durchzusetzen:
die Sprengung der Brücken von Austerlitz und Jena. Wir mögen heute über
eine solche Absicht kühler urtheilen und die Zerstörung eines Kunstwerkes eine
Barbarei nennen; damals war die Sprengung der Jena-Brücke eine National¬
angelegenheit. Das durch die langen Kämpfe gesteigerte Nationalgefühl forderte
eine Sühne. Bitter schreibt Gneisenau an Wellington, den er anch hierin als
Gegner sah: „Daß Euer Durchlaucht selbst in Ihrem desfallsigen an mich ge¬
richteten Schreiben den Namen der Brücke von Jena, wahrscheinlich aus Scho¬
nung für uns Preußen nicht aussprechen, obgleich er Ihnen bekannt sein muß,
könnte für mich schon allein einen Grund abgeben, die Zerstörung dieser Brücke
zu beschließen. Wenn im letzten amerikanischen Kriege die britischen Truppen
zu Washington eine Brücke daselbst mit dem Namen Saratoga gefunden und
sie nicht zerstört hätten, würden sie nicht die Vorwürfe der britischen Nation
verdient haben?" Der erste Sprengungsversuch mißglückte. Ehe ein zweiter
Versuch gemacht wurde, waren mittlerweile auch die Monarchen in Paris ein¬
getroffen, und nun konnte Gneisenau nichts der Art mehr durchsetze:?. Immer
mehr stieg seine Erbitterung, als er sah, wie Wellington die Bourbonen sofort
wieder in ihre Gewalt einsetzte und, um ihre Macht zu stärken, Frankreich vor
jeder Demüthigung zu bewahren suchte. Der Mann, der die Franzosen aufs
bitterste haßte und verachtete, der in Frankreich selbst nie etwas unentgeltlich
annahm, um niemand zu Danke verpflichtet zu sein, der die bourbonischen
Prinzen ignorierte und ihre allmächtigen Minister mit Behagen warten ließ, er
wußte es erleben, daß die Diplomaten wiederum Frankreich ohne wesentliche
Schädigung an Gebiet ausgehen ließen. „Deutschland" — so grollt er in einem
Briefe an Reimer vom 18. September 1815 — „soll also der Gefahr steter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/105>, abgerufen am 28.12.2024.