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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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des Handels der norddeutschen Seeplätze kann nur die innigste Verbindung mit der
Industrie Deutschlands sein. Es ist nichts als ein alter Wahn, nichts als ein merkan¬
tiler Aberglaube, zu meinen, die Ausbreitung und Macht und Kraft des Handels
hänge vom Freihandel oder gar von den Freihafen ab; der Handel sinkt und
fällt in dem Grade, in welchem die binnenländische Production und Consumtion
sinken und fallen. Darum haben alle Emporien des Handels, besonders die am
Meere gelegenen, von den Tagen der Aegypter und Phönizier an bis auf unsere
Zeit dahin getrachtet, innerhalb ihres eigenen Gebietes eine dem Handel dieser
Städte verwandte Industrie zu schaffen. Dieses Gegenseitigkeitsverhültniß hat
die zwingende Gewalt eines Naturgesetzes, und wo dagegen gesündigt wird,
da rächt sich diese Sünde an den Lebensbedingungen eines Staates. Die Hanse¬
städte haben die auf reichem Boden wucherisch emporschießenden Keime einer
naturwüchsigen Industrie nie gepflegt; bildete sich durch die Gunst der Umstände
eine Industrie, so dauerte es nicht lange und man trieb sie hinaus mit ihren
laufenden von Arbeitern aus den heimatlichen Thoren.

Sollen wir endlich, um das große Interesse des Reiches an der Aushebung
der hanseatischen Freihafen nachzuweisen, noch an die Erleichterungen des inneren
Verkehrs erinnern, an die Ersparung von Capital und Arbeitskraft binnenländi-
fcher Händler und Producenten, die der Zollbeitritt zur Folge haben wird? Sollen
wir darauf aufmerksam machen, daß für das Reich selbst dadurch Ersparnisse
in der Verwaltung des Zoll - und Staatswesens und eine gleichmäßigere Bei¬
tragsquote an den Zolleinnahmen seitens seiner Bürger ermöglicht werden? Ist
es nöthig, nach alle dem Gesagten noch im Einzelnen zu begründen, daß der
Handel der Hansestädte durch ihren Einschluß in die allgemeine Zollgrenze auf
die Dauer nicht geschädigt werden, daß ihre Kraft und Wohlhabenheit nicht ab¬
nehmen wird? daß vielmehr bei kühler, von Gehässigkeit und Leidenschaft un¬
getrübter Betrachtung die Identität der allgemeinen Reichs- und der besonderen
hansestädtischen Interessen von Niemandem geleugnet werden kann? Da die
Städte schon zu lange gesäumt haben und die elfte Stunde längst für sie ge¬
schlagen hat, so sind ihnen kleine Opfer nicht mehr zu ersparen, Opfer, die nicht
das Reich, sondern ihr Starrsinn verschuldet hat. Aber das Reich wird mächtig
genug sein, ihnen dasjenige reichlich zu ersetzen, was sie vielleicht verlieren. Und
wenn die Dinge sich entwickelt und die hanseatischen Bürger sich mit den That¬
sachen abzufinden haben, dann wird anch das Eine wieder geisterversöhnend und
arbeitbelebend in ihrer Seele mächtig hervorbrechen, was in dem Gemüthe
keines ehrlichen Deutschen ganz ersterben kann: die heilige Liebe zum gemein¬
samen Vaterlande.

Allen denen aber, welche das Gift liberaler Phrasen noch nicht angekränkelt
und unfähig gemacht hat zum eigenen Denken, möge es ernstlich und feierlich


des Handels der norddeutschen Seeplätze kann nur die innigste Verbindung mit der
Industrie Deutschlands sein. Es ist nichts als ein alter Wahn, nichts als ein merkan¬
tiler Aberglaube, zu meinen, die Ausbreitung und Macht und Kraft des Handels
hänge vom Freihandel oder gar von den Freihafen ab; der Handel sinkt und
fällt in dem Grade, in welchem die binnenländische Production und Consumtion
sinken und fallen. Darum haben alle Emporien des Handels, besonders die am
Meere gelegenen, von den Tagen der Aegypter und Phönizier an bis auf unsere
Zeit dahin getrachtet, innerhalb ihres eigenen Gebietes eine dem Handel dieser
Städte verwandte Industrie zu schaffen. Dieses Gegenseitigkeitsverhültniß hat
die zwingende Gewalt eines Naturgesetzes, und wo dagegen gesündigt wird,
da rächt sich diese Sünde an den Lebensbedingungen eines Staates. Die Hanse¬
städte haben die auf reichem Boden wucherisch emporschießenden Keime einer
naturwüchsigen Industrie nie gepflegt; bildete sich durch die Gunst der Umstände
eine Industrie, so dauerte es nicht lange und man trieb sie hinaus mit ihren
laufenden von Arbeitern aus den heimatlichen Thoren.

Sollen wir endlich, um das große Interesse des Reiches an der Aushebung
der hanseatischen Freihafen nachzuweisen, noch an die Erleichterungen des inneren
Verkehrs erinnern, an die Ersparung von Capital und Arbeitskraft binnenländi-
fcher Händler und Producenten, die der Zollbeitritt zur Folge haben wird? Sollen
wir darauf aufmerksam machen, daß für das Reich selbst dadurch Ersparnisse
in der Verwaltung des Zoll - und Staatswesens und eine gleichmäßigere Bei¬
tragsquote an den Zolleinnahmen seitens seiner Bürger ermöglicht werden? Ist
es nöthig, nach alle dem Gesagten noch im Einzelnen zu begründen, daß der
Handel der Hansestädte durch ihren Einschluß in die allgemeine Zollgrenze auf
die Dauer nicht geschädigt werden, daß ihre Kraft und Wohlhabenheit nicht ab¬
nehmen wird? daß vielmehr bei kühler, von Gehässigkeit und Leidenschaft un¬
getrübter Betrachtung die Identität der allgemeinen Reichs- und der besonderen
hansestädtischen Interessen von Niemandem geleugnet werden kann? Da die
Städte schon zu lange gesäumt haben und die elfte Stunde längst für sie ge¬
schlagen hat, so sind ihnen kleine Opfer nicht mehr zu ersparen, Opfer, die nicht
das Reich, sondern ihr Starrsinn verschuldet hat. Aber das Reich wird mächtig
genug sein, ihnen dasjenige reichlich zu ersetzen, was sie vielleicht verlieren. Und
wenn die Dinge sich entwickelt und die hanseatischen Bürger sich mit den That¬
sachen abzufinden haben, dann wird anch das Eine wieder geisterversöhnend und
arbeitbelebend in ihrer Seele mächtig hervorbrechen, was in dem Gemüthe
keines ehrlichen Deutschen ganz ersterben kann: die heilige Liebe zum gemein¬
samen Vaterlande.

Allen denen aber, welche das Gift liberaler Phrasen noch nicht angekränkelt
und unfähig gemacht hat zum eigenen Denken, möge es ernstlich und feierlich


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[0066] des Handels der norddeutschen Seeplätze kann nur die innigste Verbindung mit der Industrie Deutschlands sein. Es ist nichts als ein alter Wahn, nichts als ein merkan¬ tiler Aberglaube, zu meinen, die Ausbreitung und Macht und Kraft des Handels hänge vom Freihandel oder gar von den Freihafen ab; der Handel sinkt und fällt in dem Grade, in welchem die binnenländische Production und Consumtion sinken und fallen. Darum haben alle Emporien des Handels, besonders die am Meere gelegenen, von den Tagen der Aegypter und Phönizier an bis auf unsere Zeit dahin getrachtet, innerhalb ihres eigenen Gebietes eine dem Handel dieser Städte verwandte Industrie zu schaffen. Dieses Gegenseitigkeitsverhültniß hat die zwingende Gewalt eines Naturgesetzes, und wo dagegen gesündigt wird, da rächt sich diese Sünde an den Lebensbedingungen eines Staates. Die Hanse¬ städte haben die auf reichem Boden wucherisch emporschießenden Keime einer naturwüchsigen Industrie nie gepflegt; bildete sich durch die Gunst der Umstände eine Industrie, so dauerte es nicht lange und man trieb sie hinaus mit ihren laufenden von Arbeitern aus den heimatlichen Thoren. Sollen wir endlich, um das große Interesse des Reiches an der Aushebung der hanseatischen Freihafen nachzuweisen, noch an die Erleichterungen des inneren Verkehrs erinnern, an die Ersparung von Capital und Arbeitskraft binnenländi- fcher Händler und Producenten, die der Zollbeitritt zur Folge haben wird? Sollen wir darauf aufmerksam machen, daß für das Reich selbst dadurch Ersparnisse in der Verwaltung des Zoll - und Staatswesens und eine gleichmäßigere Bei¬ tragsquote an den Zolleinnahmen seitens seiner Bürger ermöglicht werden? Ist es nöthig, nach alle dem Gesagten noch im Einzelnen zu begründen, daß der Handel der Hansestädte durch ihren Einschluß in die allgemeine Zollgrenze auf die Dauer nicht geschädigt werden, daß ihre Kraft und Wohlhabenheit nicht ab¬ nehmen wird? daß vielmehr bei kühler, von Gehässigkeit und Leidenschaft un¬ getrübter Betrachtung die Identität der allgemeinen Reichs- und der besonderen hansestädtischen Interessen von Niemandem geleugnet werden kann? Da die Städte schon zu lange gesäumt haben und die elfte Stunde längst für sie ge¬ schlagen hat, so sind ihnen kleine Opfer nicht mehr zu ersparen, Opfer, die nicht das Reich, sondern ihr Starrsinn verschuldet hat. Aber das Reich wird mächtig genug sein, ihnen dasjenige reichlich zu ersetzen, was sie vielleicht verlieren. Und wenn die Dinge sich entwickelt und die hanseatischen Bürger sich mit den That¬ sachen abzufinden haben, dann wird anch das Eine wieder geisterversöhnend und arbeitbelebend in ihrer Seele mächtig hervorbrechen, was in dem Gemüthe keines ehrlichen Deutschen ganz ersterben kann: die heilige Liebe zum gemein¬ samen Vaterlande. Allen denen aber, welche das Gift liberaler Phrasen noch nicht angekränkelt und unfähig gemacht hat zum eigenen Denken, möge es ernstlich und feierlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/66>, abgerufen am 23.07.2024.