Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.Reichseinheit, ein schöner, Jahrhunderte langer Traum des deutschen Volkes! Man verweise uns nicht auf § 34 der Reichsverfassung. Wir wissen so Reichseinheit, ein schöner, Jahrhunderte langer Traum des deutschen Volkes! Man verweise uns nicht auf § 34 der Reichsverfassung. Wir wissen so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147150"/> <p xml:id="ID_158"> Reichseinheit, ein schöner, Jahrhunderte langer Traum des deutschen Volkes!<lb/> Reichseinheit, für die wir in unserer Jugend geschwärmt, in den Parlamenten<lb/> gerungen und aus den Schlachtfeldern geblutet haben! Und nun, da wir dieses<lb/> kostbare, höchste Volksgut besitzen können, da es uns feierlich verbrieft ist in<lb/> unserer Reichsverfassung, dein großen Vertrage, den die Regierungen mit dem<lb/> Volke geschlossen, nun trotzen zwei Städte dem Gebote und wagen es, die wirth¬<lb/> schaftliche Zerstückelung verewigen zu wollen. Noch immer nicht sollen die<lb/> wirthschaftlichen Grenzen des Reiches mit den politischen Grenzen zusammen¬<lb/> fallen ; Zollgebiet und Freihafengebiet, politische Einheit und wirthschaftliche Zer¬<lb/> splitterung sollen ferner neben einander bestehen. Der unselige Dualismus soll<lb/> ewige Dauer haben. Die beiden norddeutschen Seestädte wollen auch in Zu¬<lb/> kunft Ausland spielen im eigenen Lande. Und warum sind sie rennend? Nicht<lb/> weil durch den Eintritt in das Zollgebiet ihre Welthandelstellnng gefährdet<lb/> werden würde, nicht weil dadurch ihrem Gemeinwesen unheilbare Wunden ge¬<lb/> schlagen werden, sondern nur deshalb perhorresciren sie den Gedanken eines<lb/> einheitlichen Zoll- und Handelsgebietes, weil sie neben der Furcht, das Bischen<lb/> Herrschaft, das ihre Magistrate und Handelskümmerer mit ihrem Anhang noch<lb/> ausüben, ganz zu verlieren, sich scheuen vor den Unbequemlichkeiten und Kosten,<lb/> die jeder Uebergangszustand nothwendig mit sich führt, weil der sogenannte<lb/> freie hanseatische Bürger nicht aufhören kann, trotz eines den Hcmdelsbednrf-<lb/> nissen schon längst angepaßten und ferner zu verbessernden Abfertigungsver¬<lb/> fahrens, in jedem Zollbeamten nicht einen Mitbürger, sondern einen Quäl- und<lb/> Plagegeist zu argwöhnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_159" next="#ID_160"> Man verweise uns nicht auf § 34 der Reichsverfassung. Wir wissen so<lb/> gut wie Andere, daß dieser Paragraph den Hansestädten gestattet, außerhalb<lb/> der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben. Was Andere aber nicht wissen,<lb/> oder nicht wissen wollen, ist dies: daß gerade dieser Paragraph den im Z 33<lb/> ausgesprochenen Grundsatz eines einheitlichen Zoll- und Handelsgebietes be¬<lb/> stätigt. Denn da die Hansestädte berechtigt sind, den Zeitpunkt für ihren Ein¬<lb/> schluß zu bestimmen, so folgt daraus mit logischer Gewißheit, daß dieser Einschluß<lb/> selbst keine streitige Frage, sondern eine völlig ausgemachte Sache ist. Vor¬<lb/> läufig, fo beschlossen die Reichsgewalten, können die Hansestädte Freihafen bleiben,<lb/> weil sie gewisse Einrichtungen zu treffen haben, bevor sie dem allgemeinen Zoll-<lb/> und Handelsgebiet einverleibt werden. Aber aus dieser freundschaftlichen und<lb/> buudestreuen Gesinnung, welche das Reich gegen die beiden Städte geübt, das<lb/> Recht für sie herzuleiten, dem Verfassnngsgebote ganz nach Belieben Folge zu<lb/> geben oder Trotz zu bieten, wäre doch nichts anderes, als ihnen zu erlauben,<lb/> sich willkürlich und eigensinnig der Erfüllung der großen Bestimmung des großen<lb/> deutschen Staatsvertrages zu widersetzen. Wahrlich, nicht Fürst Bismarck will</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Reichseinheit, ein schöner, Jahrhunderte langer Traum des deutschen Volkes!
Reichseinheit, für die wir in unserer Jugend geschwärmt, in den Parlamenten
gerungen und aus den Schlachtfeldern geblutet haben! Und nun, da wir dieses
kostbare, höchste Volksgut besitzen können, da es uns feierlich verbrieft ist in
unserer Reichsverfassung, dein großen Vertrage, den die Regierungen mit dem
Volke geschlossen, nun trotzen zwei Städte dem Gebote und wagen es, die wirth¬
schaftliche Zerstückelung verewigen zu wollen. Noch immer nicht sollen die
wirthschaftlichen Grenzen des Reiches mit den politischen Grenzen zusammen¬
fallen ; Zollgebiet und Freihafengebiet, politische Einheit und wirthschaftliche Zer¬
splitterung sollen ferner neben einander bestehen. Der unselige Dualismus soll
ewige Dauer haben. Die beiden norddeutschen Seestädte wollen auch in Zu¬
kunft Ausland spielen im eigenen Lande. Und warum sind sie rennend? Nicht
weil durch den Eintritt in das Zollgebiet ihre Welthandelstellnng gefährdet
werden würde, nicht weil dadurch ihrem Gemeinwesen unheilbare Wunden ge¬
schlagen werden, sondern nur deshalb perhorresciren sie den Gedanken eines
einheitlichen Zoll- und Handelsgebietes, weil sie neben der Furcht, das Bischen
Herrschaft, das ihre Magistrate und Handelskümmerer mit ihrem Anhang noch
ausüben, ganz zu verlieren, sich scheuen vor den Unbequemlichkeiten und Kosten,
die jeder Uebergangszustand nothwendig mit sich führt, weil der sogenannte
freie hanseatische Bürger nicht aufhören kann, trotz eines den Hcmdelsbednrf-
nissen schon längst angepaßten und ferner zu verbessernden Abfertigungsver¬
fahrens, in jedem Zollbeamten nicht einen Mitbürger, sondern einen Quäl- und
Plagegeist zu argwöhnen.
Man verweise uns nicht auf § 34 der Reichsverfassung. Wir wissen so
gut wie Andere, daß dieser Paragraph den Hansestädten gestattet, außerhalb
der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben. Was Andere aber nicht wissen,
oder nicht wissen wollen, ist dies: daß gerade dieser Paragraph den im Z 33
ausgesprochenen Grundsatz eines einheitlichen Zoll- und Handelsgebietes be¬
stätigt. Denn da die Hansestädte berechtigt sind, den Zeitpunkt für ihren Ein¬
schluß zu bestimmen, so folgt daraus mit logischer Gewißheit, daß dieser Einschluß
selbst keine streitige Frage, sondern eine völlig ausgemachte Sache ist. Vor¬
läufig, fo beschlossen die Reichsgewalten, können die Hansestädte Freihafen bleiben,
weil sie gewisse Einrichtungen zu treffen haben, bevor sie dem allgemeinen Zoll-
und Handelsgebiet einverleibt werden. Aber aus dieser freundschaftlichen und
buudestreuen Gesinnung, welche das Reich gegen die beiden Städte geübt, das
Recht für sie herzuleiten, dem Verfassnngsgebote ganz nach Belieben Folge zu
geben oder Trotz zu bieten, wäre doch nichts anderes, als ihnen zu erlauben,
sich willkürlich und eigensinnig der Erfüllung der großen Bestimmung des großen
deutschen Staatsvertrages zu widersetzen. Wahrlich, nicht Fürst Bismarck will
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