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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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derliche Freude gemacht und daß er dagegen, wiewohl vergeblich, remonstrirt
habe. Man sollte demnach annehmen, daß ihm die Fresco- oder Caseinmalerei
nicht genügt, um jene coloristischen Effecte zu erzielen, an welche er uns durch
seine früheren Arbeiten gewohnt hat. Ein Blick auf die große Leinwand für
Saarbrücken zeigt uns jedoch, daß die coloristische Frische, welche uns vor zehn
Jahren für den mit jugendlicher Kraft aufstrebenden Künstler lebhaft einge¬
nommen hat, einer nüchternen, ich möchte fast sagen griesgrämlicher Farben¬
stimmung gewichen ist. Werner führt uns den Moment vor, wie General von
Frau^vis, der bekanntlich während des Sturmes fiel, ein ihm folgendes Häuf¬
lein Soldaten (die 9. Compagnie des 39. Infanterie-Regiments) gegen den
Feind führt, also einen verhältnißmäßig kleinen Ausschnitt aus dem großen
Drama, der, wie leicht begreiflich, die Bedeutsamkeit der ganzen Action nicht
einmal andeuten, geschweige denn erschöpfen kann. Es ist eine Gefechtsscene
wie tausend andere, welche kaum ein individuelles Gepräge hat. An eine nach
irgend welcher Richtung abgerundete oder abgeschlossene Composition hat Werner
auch nicht gedacht. Man könnte beliebig rechts oder links ein Stück ansetzen,
ohne daß der Schwerpunkt der Composition irgendwie verschoben würde. Der
Ernst des Moments Hütte selbst bei einer so specifisch realistischen Scene stärker
betont werden können, als es geschehen ist.

Man vergleiche mit diesem großen Historienbilde das kleine Gemälde der
Schlacht von Gravelotte, welches Georg Bleib treu für den König von Sachsen
gemalt hat und dessen kleine Figuren in viel höherem Grade von historischem
Charakter erfüllt sind als die lebensgroßen Wernerschem. Vor unseren Augen
vollzieht sich der Abschluß des Riesenkampfes um Metz, der concentrirte Angriff
der sächsischen Truppen und des preußischen Gardecorps auf Se. Privat, dessen
Wegnahme das Schicksal des Tages von Gravelotte besiegelte. Auf einem er¬
höhten Terrain im Mittelgrunde hält der damalige Kronprinz von Sachsen mit
seinem Stäbe. Prinz Georg reitet -- links vom Beschauer -- zu seinem Bruder
heran, um seine Dispositionen entgegenzunehmen, während von rechts her der
Hauptmann von der Planitz, der jetzige sächsische Militärbevollmächtigte in Berlin,
mit einer Meldung herangesprengt ist, mit energischem Zügeldruck sein Pferd in
vollster Carriere parirend. Im Vordergrunde sieht man gefangene Franzosen
in den buntesten Uniformen, auf welche das warme Licht der sich dem Unter¬
gange zuneigenden Sonne füllt. Die Reitergrnppe des Mittelgrundes ist von
kalten Lichtern umspielt, während der Hintergrund, in welchem die Schlacht
tobt, wieder Würmer behandelt ist. Durch diese geschickte coloristische Manipu¬
lation wird die Hauptaufmerksamkeit des Beschauers an die Mittelgrnppe ge¬
fesselt, in welcher der geistige Schwerpunkt der Composition ruht. Auch aus
dem Getümmel des Hintergrundes, den das brennende Se. Privat abschließt,


Grenzboten III. 1880. 69

derliche Freude gemacht und daß er dagegen, wiewohl vergeblich, remonstrirt
habe. Man sollte demnach annehmen, daß ihm die Fresco- oder Caseinmalerei
nicht genügt, um jene coloristischen Effecte zu erzielen, an welche er uns durch
seine früheren Arbeiten gewohnt hat. Ein Blick auf die große Leinwand für
Saarbrücken zeigt uns jedoch, daß die coloristische Frische, welche uns vor zehn
Jahren für den mit jugendlicher Kraft aufstrebenden Künstler lebhaft einge¬
nommen hat, einer nüchternen, ich möchte fast sagen griesgrämlicher Farben¬
stimmung gewichen ist. Werner führt uns den Moment vor, wie General von
Frau^vis, der bekanntlich während des Sturmes fiel, ein ihm folgendes Häuf¬
lein Soldaten (die 9. Compagnie des 39. Infanterie-Regiments) gegen den
Feind führt, also einen verhältnißmäßig kleinen Ausschnitt aus dem großen
Drama, der, wie leicht begreiflich, die Bedeutsamkeit der ganzen Action nicht
einmal andeuten, geschweige denn erschöpfen kann. Es ist eine Gefechtsscene
wie tausend andere, welche kaum ein individuelles Gepräge hat. An eine nach
irgend welcher Richtung abgerundete oder abgeschlossene Composition hat Werner
auch nicht gedacht. Man könnte beliebig rechts oder links ein Stück ansetzen,
ohne daß der Schwerpunkt der Composition irgendwie verschoben würde. Der
Ernst des Moments Hütte selbst bei einer so specifisch realistischen Scene stärker
betont werden können, als es geschehen ist.

Man vergleiche mit diesem großen Historienbilde das kleine Gemälde der
Schlacht von Gravelotte, welches Georg Bleib treu für den König von Sachsen
gemalt hat und dessen kleine Figuren in viel höherem Grade von historischem
Charakter erfüllt sind als die lebensgroßen Wernerschem. Vor unseren Augen
vollzieht sich der Abschluß des Riesenkampfes um Metz, der concentrirte Angriff
der sächsischen Truppen und des preußischen Gardecorps auf Se. Privat, dessen
Wegnahme das Schicksal des Tages von Gravelotte besiegelte. Auf einem er¬
höhten Terrain im Mittelgrunde hält der damalige Kronprinz von Sachsen mit
seinem Stäbe. Prinz Georg reitet — links vom Beschauer — zu seinem Bruder
heran, um seine Dispositionen entgegenzunehmen, während von rechts her der
Hauptmann von der Planitz, der jetzige sächsische Militärbevollmächtigte in Berlin,
mit einer Meldung herangesprengt ist, mit energischem Zügeldruck sein Pferd in
vollster Carriere parirend. Im Vordergrunde sieht man gefangene Franzosen
in den buntesten Uniformen, auf welche das warme Licht der sich dem Unter¬
gange zuneigenden Sonne füllt. Die Reitergrnppe des Mittelgrundes ist von
kalten Lichtern umspielt, während der Hintergrund, in welchem die Schlacht
tobt, wieder Würmer behandelt ist. Durch diese geschickte coloristische Manipu¬
lation wird die Hauptaufmerksamkeit des Beschauers an die Mittelgrnppe ge¬
fesselt, in welcher der geistige Schwerpunkt der Composition ruht. Auch aus
dem Getümmel des Hintergrundes, den das brennende Se. Privat abschließt,


Grenzboten III. 1880. 69
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[0538] derliche Freude gemacht und daß er dagegen, wiewohl vergeblich, remonstrirt habe. Man sollte demnach annehmen, daß ihm die Fresco- oder Caseinmalerei nicht genügt, um jene coloristischen Effecte zu erzielen, an welche er uns durch seine früheren Arbeiten gewohnt hat. Ein Blick auf die große Leinwand für Saarbrücken zeigt uns jedoch, daß die coloristische Frische, welche uns vor zehn Jahren für den mit jugendlicher Kraft aufstrebenden Künstler lebhaft einge¬ nommen hat, einer nüchternen, ich möchte fast sagen griesgrämlicher Farben¬ stimmung gewichen ist. Werner führt uns den Moment vor, wie General von Frau^vis, der bekanntlich während des Sturmes fiel, ein ihm folgendes Häuf¬ lein Soldaten (die 9. Compagnie des 39. Infanterie-Regiments) gegen den Feind führt, also einen verhältnißmäßig kleinen Ausschnitt aus dem großen Drama, der, wie leicht begreiflich, die Bedeutsamkeit der ganzen Action nicht einmal andeuten, geschweige denn erschöpfen kann. Es ist eine Gefechtsscene wie tausend andere, welche kaum ein individuelles Gepräge hat. An eine nach irgend welcher Richtung abgerundete oder abgeschlossene Composition hat Werner auch nicht gedacht. Man könnte beliebig rechts oder links ein Stück ansetzen, ohne daß der Schwerpunkt der Composition irgendwie verschoben würde. Der Ernst des Moments Hütte selbst bei einer so specifisch realistischen Scene stärker betont werden können, als es geschehen ist. Man vergleiche mit diesem großen Historienbilde das kleine Gemälde der Schlacht von Gravelotte, welches Georg Bleib treu für den König von Sachsen gemalt hat und dessen kleine Figuren in viel höherem Grade von historischem Charakter erfüllt sind als die lebensgroßen Wernerschem. Vor unseren Augen vollzieht sich der Abschluß des Riesenkampfes um Metz, der concentrirte Angriff der sächsischen Truppen und des preußischen Gardecorps auf Se. Privat, dessen Wegnahme das Schicksal des Tages von Gravelotte besiegelte. Auf einem er¬ höhten Terrain im Mittelgrunde hält der damalige Kronprinz von Sachsen mit seinem Stäbe. Prinz Georg reitet — links vom Beschauer — zu seinem Bruder heran, um seine Dispositionen entgegenzunehmen, während von rechts her der Hauptmann von der Planitz, der jetzige sächsische Militärbevollmächtigte in Berlin, mit einer Meldung herangesprengt ist, mit energischem Zügeldruck sein Pferd in vollster Carriere parirend. Im Vordergrunde sieht man gefangene Franzosen in den buntesten Uniformen, auf welche das warme Licht der sich dem Unter¬ gange zuneigenden Sonne füllt. Die Reitergrnppe des Mittelgrundes ist von kalten Lichtern umspielt, während der Hintergrund, in welchem die Schlacht tobt, wieder Würmer behandelt ist. Durch diese geschickte coloristische Manipu¬ lation wird die Hauptaufmerksamkeit des Beschauers an die Mittelgrnppe ge¬ fesselt, in welcher der geistige Schwerpunkt der Composition ruht. Auch aus dem Getümmel des Hintergrundes, den das brennende Se. Privat abschließt, Grenzboten III. 1880. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/538>, abgerufen am 25.08.2024.