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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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heute ein Wort gebraucht wird, welches in dieser Bedeutung nachweislich schon
seit Jahrhunderten aus der Sprache verschwunden ist, so erklärt sich dies nur
aus der Alliteration, welche die Wendung so ins Ohr fallen ließ; sie ist schuld
daran, daß die Formel so fest wurde und blieb und der lebendigen Sprache
zum Trotz noch heute fortbesteht. So heißt ferner noch heute in manchen
Gegenden (z. B. in Westfalen) derjenige, welchem im Orte die amtliche Ver¬
kaufsstelle des besteuerten Salzes übertragen ist, der "Salzseller". Hier hat sich,
durch die Alliteration geschützt, das sonst in unserer Sprache verloren gegangene,
z. B. in der ebenfalls alliterirenden Verbindung "sellen und setzen" geläufige
"selten" (zunächst -- übergeben) erhalten. Wer denkt sich ferner heute noch etwas
Klares bei der Redensart "Kappe und Kugel verspielen?" Daß der Ausdruck
zur Bezeichnung eines leidenschaftlichen Spielers dient, der alles, auch das Noth¬
wendigste verspielt, fühlt man wohl beim Gebrauche des Wortes heraus, aber
was soll gerade Kappe und Kugel? In der älteren Sprache bezeichnen diese
beiden Wörter die Hauptbestandtheile des Mönchsgewandes, das Oberkleid mit
der Kapuze, und unsere Redensart läßt uns auf das gemüthliche Klosterleben
in der guten alten Zeit einen Rückschluß machen, mit dem ja auch manche son¬
stige Nachricht nicht im Widerspruch steht. Auch in diesem Ausdruck hat die
Alliteration die im Laufe der Zeit unverständlich gewordene Formel geschützt.
Ueber die ursprüngliche Bedeutung des so geläufigen "in Bausch und Bogen"*)
müssen wir uns ebenfalls, wenn wir nicht Männer von Fach sind, im Wörter¬
buche Auskunft suchen. Ein schützender Einfluß der Alliteration scheint endlich
bemerkbar in der Redensart "zu Kreuze kriechen", welche zur Bezeichnung tiefster
Demüthigung im Gebrauch geblieben ist, obwohl die darin angedeutete Kirchen-
strafe längst aus der Mode gekommen.

Schließlich sei noch eine kurze Bemerkung gestattet, welche sich auf etwas
mit dem soeben besprochenen in nahem Zusammenhange stehendes bezieht. Sicher¬
lich ist es nicht bloßer Zufall, daß gewisse z. B. auf historische Daten und ähn¬
liches bezügliche Ausdrücke und Redensarten, die fester und geläufiger sind als
andere, ja die oft geradezu als "geflügelte Worte" bezeichnet werden können, Alli¬
teration zeigen. Auch hier hat diese vielmehr offenbar dazu beigetragen, der
betreffenden Wendung gerade in dieser Form so allgemeine Verbreitung zu schaffen.
Dies gilt beispielsweise von dein schon oben erwähnten "Hie Wels, hie Waldung",
ferner von dem bekannten "Finkenfang" bei Maxen im 7 jährigen Kriege (Ge¬
fangennahme des General Fink mit seinem Corps), wo freilich das Wortspiel



Grimm: "bei grenzen heißt danses die auswärts, bogen die einwärts gehende flache,
danses das schwellende, bogen das einbiegende, daher die redensart "in barsch und bogen",
......so daß, was auf der einen Seite abgeht, die andere wieder einbringt."

heute ein Wort gebraucht wird, welches in dieser Bedeutung nachweislich schon
seit Jahrhunderten aus der Sprache verschwunden ist, so erklärt sich dies nur
aus der Alliteration, welche die Wendung so ins Ohr fallen ließ; sie ist schuld
daran, daß die Formel so fest wurde und blieb und der lebendigen Sprache
zum Trotz noch heute fortbesteht. So heißt ferner noch heute in manchen
Gegenden (z. B. in Westfalen) derjenige, welchem im Orte die amtliche Ver¬
kaufsstelle des besteuerten Salzes übertragen ist, der „Salzseller". Hier hat sich,
durch die Alliteration geschützt, das sonst in unserer Sprache verloren gegangene,
z. B. in der ebenfalls alliterirenden Verbindung „sellen und setzen" geläufige
„selten" (zunächst — übergeben) erhalten. Wer denkt sich ferner heute noch etwas
Klares bei der Redensart „Kappe und Kugel verspielen?" Daß der Ausdruck
zur Bezeichnung eines leidenschaftlichen Spielers dient, der alles, auch das Noth¬
wendigste verspielt, fühlt man wohl beim Gebrauche des Wortes heraus, aber
was soll gerade Kappe und Kugel? In der älteren Sprache bezeichnen diese
beiden Wörter die Hauptbestandtheile des Mönchsgewandes, das Oberkleid mit
der Kapuze, und unsere Redensart läßt uns auf das gemüthliche Klosterleben
in der guten alten Zeit einen Rückschluß machen, mit dem ja auch manche son¬
stige Nachricht nicht im Widerspruch steht. Auch in diesem Ausdruck hat die
Alliteration die im Laufe der Zeit unverständlich gewordene Formel geschützt.
Ueber die ursprüngliche Bedeutung des so geläufigen „in Bausch und Bogen"*)
müssen wir uns ebenfalls, wenn wir nicht Männer von Fach sind, im Wörter¬
buche Auskunft suchen. Ein schützender Einfluß der Alliteration scheint endlich
bemerkbar in der Redensart „zu Kreuze kriechen", welche zur Bezeichnung tiefster
Demüthigung im Gebrauch geblieben ist, obwohl die darin angedeutete Kirchen-
strafe längst aus der Mode gekommen.

Schließlich sei noch eine kurze Bemerkung gestattet, welche sich auf etwas
mit dem soeben besprochenen in nahem Zusammenhange stehendes bezieht. Sicher¬
lich ist es nicht bloßer Zufall, daß gewisse z. B. auf historische Daten und ähn¬
liches bezügliche Ausdrücke und Redensarten, die fester und geläufiger sind als
andere, ja die oft geradezu als „geflügelte Worte" bezeichnet werden können, Alli¬
teration zeigen. Auch hier hat diese vielmehr offenbar dazu beigetragen, der
betreffenden Wendung gerade in dieser Form so allgemeine Verbreitung zu schaffen.
Dies gilt beispielsweise von dein schon oben erwähnten „Hie Wels, hie Waldung",
ferner von dem bekannten „Finkenfang" bei Maxen im 7 jährigen Kriege (Ge¬
fangennahme des General Fink mit seinem Corps), wo freilich das Wortspiel



Grimm: „bei grenzen heißt danses die auswärts, bogen die einwärts gehende flache,
danses das schwellende, bogen das einbiegende, daher die redensart „in barsch und bogen",
......so daß, was auf der einen Seite abgeht, die andere wieder einbringt."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/536>, abgerufen am 23.07.2024.