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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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stand. Auf dem neuen Bilde athmet alles Farbe und Leben: das mit höchstem
Luxus ausgestattete Speisezimmer, der mit kostbarem Tafelgeräth und mit den
Resten der Mahlzeit bedeckte Tisch, an welchem die Herrin des Hauses sitzt und
mit glücklichem Lächeln ihren Kindern zuschaut, die sich mit einer Mopsfamilie
beschäftigen, das bunte Glasfenster, durch welches ein freundliches Licht in den
Raum fällt, die exotischen Pflanzen und die weichen Teppiche. Nirgends fällt
ein mißvergnügtes Schwarz oder Grau in die fröhliche Gesammtstimmung hin¬
ein. Nur darf man leider nicht einen näheren Genuß am Einzelnen erwarten.
Die Figuren sind mit derselben nur andeutenden Skizzenhaftigkeit behandelt wie
die leblosen Gegenstände. Man muß schon ein großes Wohlwollen für Mun-
kacst) mitbringen, um aus weißen, rothen und grünen Klecksen ein bemaltes
Glasfenster Herauszubuchstabiren. Ja, es giebt Stellen auf dem ziemlich um¬
fangreichen Gemälde, welche uns an jenen Impressionisten erinnern, der seine
sämmtlichen Farben in eine Pistole lud und selbige auf die Leinwand abfeuerte.
Es ist begreiflich, daß bei einer so flüchtigen, nur auf sinnliche Wirkung berech¬
neter Coloristik von jenem unwiderstehlich fesselnden Eindruck großartiger Har¬
monie, welche das Miltonbild erfüllte, nicht die Rede sein kann. Die "beiden
Familien" sind kein Bild, sondern ein Farbencapriecio, das viele bedenkliche
Eigenschaften der modernsten Pariser Schule mAsich trägt. Hoffe" wir, daß
Munkacsys originelle Individualität in diesem wüsten Trubel nicht untergeht.

Mit dem vorstehenden haben wir den Ueberblick über die hervorragensten
Werke fremder Meister, welche unsere diesjährige Ausstellung zieren, erschöpft.
Schade, daß unsere heimischen Künstler, wenigstens auf dem Gebiete der Malerei
großen Stils, nichts zu Wege gebracht haben, was die Fremden in den Schatten
stellen könnte. Streng genommen ist wohl nur Bruno Piglheims "Noriwr
w oso", eine tief ergreifende Schöpfung, welche den jungen Diezschüler zuerst
auf der Münchener internationalen Ausstellung weiteren Kreisen bekannt machte,
technisch und geistig so hochstehend, daß sie auch mit genialer angelegten Künstler¬
naturen als Brozik und Munkacsy erfolgreich rivalisiren könnte. Ich habe diesen
sterbenden Christus, auf den sich ein Seraph trostbringend herabsenkt, schon bei
einer früheren Besprechung der Diezschen Schule in diesem Blatte näher ge¬
würdigt und begnüge mich daher hier zu constatiren, daß die stimmungsvolle
Composition auch unter dem kalten, auch die kleinste Schwäche erbarmungslos
enthüllenden Lichte unseres akademischen Pfahlbaus zu vollster Geltung kommt.
Die wenigen biblischen Bilder, welche unsere Ausstellung sonst noch bietet,
können sich, was die Tiefe der Empfindung anlangt, mit Piglheims Gemälde
nicht messen, am wenigsten Adolf Piasters "Tod Jacobs", ein Bild von un¬
geheuerem Umfange mit zahlreichen überlebensgroßen Figuren, welche in ihren
Schmerzesäußerungen nicht über die Schablone des conventionellen akademischen


stand. Auf dem neuen Bilde athmet alles Farbe und Leben: das mit höchstem
Luxus ausgestattete Speisezimmer, der mit kostbarem Tafelgeräth und mit den
Resten der Mahlzeit bedeckte Tisch, an welchem die Herrin des Hauses sitzt und
mit glücklichem Lächeln ihren Kindern zuschaut, die sich mit einer Mopsfamilie
beschäftigen, das bunte Glasfenster, durch welches ein freundliches Licht in den
Raum fällt, die exotischen Pflanzen und die weichen Teppiche. Nirgends fällt
ein mißvergnügtes Schwarz oder Grau in die fröhliche Gesammtstimmung hin¬
ein. Nur darf man leider nicht einen näheren Genuß am Einzelnen erwarten.
Die Figuren sind mit derselben nur andeutenden Skizzenhaftigkeit behandelt wie
die leblosen Gegenstände. Man muß schon ein großes Wohlwollen für Mun-
kacst) mitbringen, um aus weißen, rothen und grünen Klecksen ein bemaltes
Glasfenster Herauszubuchstabiren. Ja, es giebt Stellen auf dem ziemlich um¬
fangreichen Gemälde, welche uns an jenen Impressionisten erinnern, der seine
sämmtlichen Farben in eine Pistole lud und selbige auf die Leinwand abfeuerte.
Es ist begreiflich, daß bei einer so flüchtigen, nur auf sinnliche Wirkung berech¬
neter Coloristik von jenem unwiderstehlich fesselnden Eindruck großartiger Har¬
monie, welche das Miltonbild erfüllte, nicht die Rede sein kann. Die „beiden
Familien" sind kein Bild, sondern ein Farbencapriecio, das viele bedenkliche
Eigenschaften der modernsten Pariser Schule mAsich trägt. Hoffe» wir, daß
Munkacsys originelle Individualität in diesem wüsten Trubel nicht untergeht.

Mit dem vorstehenden haben wir den Ueberblick über die hervorragensten
Werke fremder Meister, welche unsere diesjährige Ausstellung zieren, erschöpft.
Schade, daß unsere heimischen Künstler, wenigstens auf dem Gebiete der Malerei
großen Stils, nichts zu Wege gebracht haben, was die Fremden in den Schatten
stellen könnte. Streng genommen ist wohl nur Bruno Piglheims „Noriwr
w oso", eine tief ergreifende Schöpfung, welche den jungen Diezschüler zuerst
auf der Münchener internationalen Ausstellung weiteren Kreisen bekannt machte,
technisch und geistig so hochstehend, daß sie auch mit genialer angelegten Künstler¬
naturen als Brozik und Munkacsy erfolgreich rivalisiren könnte. Ich habe diesen
sterbenden Christus, auf den sich ein Seraph trostbringend herabsenkt, schon bei
einer früheren Besprechung der Diezschen Schule in diesem Blatte näher ge¬
würdigt und begnüge mich daher hier zu constatiren, daß die stimmungsvolle
Composition auch unter dem kalten, auch die kleinste Schwäche erbarmungslos
enthüllenden Lichte unseres akademischen Pfahlbaus zu vollster Geltung kommt.
Die wenigen biblischen Bilder, welche unsere Ausstellung sonst noch bietet,
können sich, was die Tiefe der Empfindung anlangt, mit Piglheims Gemälde
nicht messen, am wenigsten Adolf Piasters „Tod Jacobs", ein Bild von un¬
geheuerem Umfange mit zahlreichen überlebensgroßen Figuren, welche in ihren
Schmerzesäußerungen nicht über die Schablone des conventionellen akademischen


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[0504] stand. Auf dem neuen Bilde athmet alles Farbe und Leben: das mit höchstem Luxus ausgestattete Speisezimmer, der mit kostbarem Tafelgeräth und mit den Resten der Mahlzeit bedeckte Tisch, an welchem die Herrin des Hauses sitzt und mit glücklichem Lächeln ihren Kindern zuschaut, die sich mit einer Mopsfamilie beschäftigen, das bunte Glasfenster, durch welches ein freundliches Licht in den Raum fällt, die exotischen Pflanzen und die weichen Teppiche. Nirgends fällt ein mißvergnügtes Schwarz oder Grau in die fröhliche Gesammtstimmung hin¬ ein. Nur darf man leider nicht einen näheren Genuß am Einzelnen erwarten. Die Figuren sind mit derselben nur andeutenden Skizzenhaftigkeit behandelt wie die leblosen Gegenstände. Man muß schon ein großes Wohlwollen für Mun- kacst) mitbringen, um aus weißen, rothen und grünen Klecksen ein bemaltes Glasfenster Herauszubuchstabiren. Ja, es giebt Stellen auf dem ziemlich um¬ fangreichen Gemälde, welche uns an jenen Impressionisten erinnern, der seine sämmtlichen Farben in eine Pistole lud und selbige auf die Leinwand abfeuerte. Es ist begreiflich, daß bei einer so flüchtigen, nur auf sinnliche Wirkung berech¬ neter Coloristik von jenem unwiderstehlich fesselnden Eindruck großartiger Har¬ monie, welche das Miltonbild erfüllte, nicht die Rede sein kann. Die „beiden Familien" sind kein Bild, sondern ein Farbencapriecio, das viele bedenkliche Eigenschaften der modernsten Pariser Schule mAsich trägt. Hoffe» wir, daß Munkacsys originelle Individualität in diesem wüsten Trubel nicht untergeht. Mit dem vorstehenden haben wir den Ueberblick über die hervorragensten Werke fremder Meister, welche unsere diesjährige Ausstellung zieren, erschöpft. Schade, daß unsere heimischen Künstler, wenigstens auf dem Gebiete der Malerei großen Stils, nichts zu Wege gebracht haben, was die Fremden in den Schatten stellen könnte. Streng genommen ist wohl nur Bruno Piglheims „Noriwr w oso", eine tief ergreifende Schöpfung, welche den jungen Diezschüler zuerst auf der Münchener internationalen Ausstellung weiteren Kreisen bekannt machte, technisch und geistig so hochstehend, daß sie auch mit genialer angelegten Künstler¬ naturen als Brozik und Munkacsy erfolgreich rivalisiren könnte. Ich habe diesen sterbenden Christus, auf den sich ein Seraph trostbringend herabsenkt, schon bei einer früheren Besprechung der Diezschen Schule in diesem Blatte näher ge¬ würdigt und begnüge mich daher hier zu constatiren, daß die stimmungsvolle Composition auch unter dem kalten, auch die kleinste Schwäche erbarmungslos enthüllenden Lichte unseres akademischen Pfahlbaus zu vollster Geltung kommt. Die wenigen biblischen Bilder, welche unsere Ausstellung sonst noch bietet, können sich, was die Tiefe der Empfindung anlangt, mit Piglheims Gemälde nicht messen, am wenigsten Adolf Piasters „Tod Jacobs", ein Bild von un¬ geheuerem Umfange mit zahlreichen überlebensgroßen Figuren, welche in ihren Schmerzesäußerungen nicht über die Schablone des conventionellen akademischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/504>, abgerufen am 23.07.2024.