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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ob er der Fahne des Genies treu bleiben soll. Da er sich aber sagen muß,
daß der Mammon nicht so rasch zu erwerben ist, so verzichtet er einstweilen auf
ihn und wird darin von seinem weisen Vater bestärkt. "Intelligenz ist Macht,"
sagt er sich, "aber wir müssen uns in die Heerde mischen, in ihre Gefühle ein¬
gehen, ihren Schwächen schmeicheln, mit ihren Schmerzen, die wir nicht fühlen,
sympathisiren und die Vergnüglichkeit der Narren theilen; unsere Weisheit muß
sich unter Thorheit verstecken. Der mächtige Vornehme braucht nur Verstand
zu haben, um Minister zu werden; ich aber brauche den Einfluß dieses Vor-
nehmen." Goldene Worte des jungen Polonius, die den Schlüssel zu seinem
ganzen Leben enthalten. In launiger Anwandlung vergleicht er sich mit dem
gestiefelten Kater, und das Glück ist ihm so hold, ihm einen Marquis von
Carabas entgegenzuführen, der als ein Ausbund des verkommenden Jnnkerthums
gut charakterisirt wird. Er war als jüngerer Sohn für das Unterhaus erzogen,
durch Servilität, Rührigkeit und pomphaftes Wesen einflußreich, dann durch den
Tod seines älteren Bruders Parr geworden, durch die Reformacte seines Ein¬
flusses auf ein Dutzend Wahlflecken beraubt, von den Männern des Tages bei
Seite geschoben und mit einem Ehrenamt abgefunden. Die Erzählung, wie
Vivian ihn in seinem Garn fängt, ist ein kleines Meisterstück und des Nachlesens
werth. Der Marquis beißt ebenso gierig auf Viviaus Schmeicheleien an wie auf
seine Skandalgeschichten, auf feine Projecte zur Rache für die erduldete Zurück¬
setzung wie auf feine Recepte für feine Getränke. Seinem Vorgange folgen
andere mit gleicher fischmäßiger Dummheit.

Das Project, dem Marquis und seinen Genossen wieder einen Antheil an
den guten Gaben und Genüssen des Reichsregiments zu verschaffen, besteht ein¬
fach darin, daß sie, die bisher aus persönlichen Interessen gegen einander ge¬
wirkt hatten, sich mit Beiseitesetzung derselben zu einer gleichgesinnten, festen
Partei unter einem erprobten Führer verbinden, um so die Regierung zu zwingen,
mit ihnen zu pactiren und sie zu kaufen. Indem Vivian diesen Plan auf ge-
scheidte Weise, je nach Umständen dreist oder schüchtern auftretend, betreibt,
ist er zugleich bei allen alten und jungen Damen der in VIMsNi vösir
versammelten aristokratischen Gesellschaft Hahn im Korbe, so daß er, kühl bis
ans Herz hinan, sich selbst mit den Schönsten der Schönen einigen sultanischer
Spaß erlaubt. Um die jüngeren Männer und ihre Bestrebungen kümmert er
sich nicht, da er weiß, wie gefährlich eine überflüssige Intimität ist; seine Devise
ist: Ein freundliches Lächeln für einen Freund und ein verächtliches für die
Welt. Er fühlt sich zu jung, um Gelage und Spiel im Dienste der Intrigue
zu gebrauchen, aber er horcht die Männer aus durch ihre Frauen. Das Ge¬
mälde dieser Gesellschaft ohne Treue, Scham und Gewissen, der Beute dieses


ob er der Fahne des Genies treu bleiben soll. Da er sich aber sagen muß,
daß der Mammon nicht so rasch zu erwerben ist, so verzichtet er einstweilen auf
ihn und wird darin von seinem weisen Vater bestärkt. „Intelligenz ist Macht,"
sagt er sich, „aber wir müssen uns in die Heerde mischen, in ihre Gefühle ein¬
gehen, ihren Schwächen schmeicheln, mit ihren Schmerzen, die wir nicht fühlen,
sympathisiren und die Vergnüglichkeit der Narren theilen; unsere Weisheit muß
sich unter Thorheit verstecken. Der mächtige Vornehme braucht nur Verstand
zu haben, um Minister zu werden; ich aber brauche den Einfluß dieses Vor-
nehmen." Goldene Worte des jungen Polonius, die den Schlüssel zu seinem
ganzen Leben enthalten. In launiger Anwandlung vergleicht er sich mit dem
gestiefelten Kater, und das Glück ist ihm so hold, ihm einen Marquis von
Carabas entgegenzuführen, der als ein Ausbund des verkommenden Jnnkerthums
gut charakterisirt wird. Er war als jüngerer Sohn für das Unterhaus erzogen,
durch Servilität, Rührigkeit und pomphaftes Wesen einflußreich, dann durch den
Tod seines älteren Bruders Parr geworden, durch die Reformacte seines Ein¬
flusses auf ein Dutzend Wahlflecken beraubt, von den Männern des Tages bei
Seite geschoben und mit einem Ehrenamt abgefunden. Die Erzählung, wie
Vivian ihn in seinem Garn fängt, ist ein kleines Meisterstück und des Nachlesens
werth. Der Marquis beißt ebenso gierig auf Viviaus Schmeicheleien an wie auf
seine Skandalgeschichten, auf feine Projecte zur Rache für die erduldete Zurück¬
setzung wie auf feine Recepte für feine Getränke. Seinem Vorgange folgen
andere mit gleicher fischmäßiger Dummheit.

Das Project, dem Marquis und seinen Genossen wieder einen Antheil an
den guten Gaben und Genüssen des Reichsregiments zu verschaffen, besteht ein¬
fach darin, daß sie, die bisher aus persönlichen Interessen gegen einander ge¬
wirkt hatten, sich mit Beiseitesetzung derselben zu einer gleichgesinnten, festen
Partei unter einem erprobten Führer verbinden, um so die Regierung zu zwingen,
mit ihnen zu pactiren und sie zu kaufen. Indem Vivian diesen Plan auf ge-
scheidte Weise, je nach Umständen dreist oder schüchtern auftretend, betreibt,
ist er zugleich bei allen alten und jungen Damen der in VIMsNi vösir
versammelten aristokratischen Gesellschaft Hahn im Korbe, so daß er, kühl bis
ans Herz hinan, sich selbst mit den Schönsten der Schönen einigen sultanischer
Spaß erlaubt. Um die jüngeren Männer und ihre Bestrebungen kümmert er
sich nicht, da er weiß, wie gefährlich eine überflüssige Intimität ist; seine Devise
ist: Ein freundliches Lächeln für einen Freund und ein verächtliches für die
Welt. Er fühlt sich zu jung, um Gelage und Spiel im Dienste der Intrigue
zu gebrauchen, aber er horcht die Männer aus durch ihre Frauen. Das Ge¬
mälde dieser Gesellschaft ohne Treue, Scham und Gewissen, der Beute dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/480>, abgerufen am 23.07.2024.