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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Volksdialects, um dessen Pflege sich niemand kümmerte, ja auf den die römisch-
gebildeten Noriker wahrscheinlich selbst mit ähnlicher Geringschätzung herabsahen,
wie früher etwa der französirte Straßburger auf das treuherzige Alemannisch
des elsässer Bauern; doch behauptet hat er sich jedenfalls während der ganzen
römischen Kaiserzeit, so gut wie die gallische Sprache in ihrer Heimat.

Auch die norische Götterwelt wurde von der römisch-orientalischen nicht
völlig verdrängt. Selbst in und um Virunum genossen die Göttin Belestis und
Belinus, der Schutzgott der norischen Eisenminen, der in apollinischer Jugend-
schöne prangend die Gaben des Feldes als Opfer sich gefallen ließ, eifriger
Verehrung, neben ihnen Norcia, die Stammesgottheit der Noriker, die später
gelegentlich mit der ägyptischen Isis vermischt wurde^

Aber gerade auf diesem Gebiete tritt vielleicht stärker als sonstwo der
Charakter der Mischmltur hervor. Den mehr äußerlichen Einflüssen gegenüber,
wie sie das römische Staatswesen direct oder indirect, mit mehr oder weniger
Berechnung in Anwendung bringen konnte, hat das keltische Wesen eine gewisse
Zähigkeit bewiesen; den rein cultureller Einwirkungen der Mittelmeereivilisativn
hat es nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen vermocht.

Römisch mußte die ganze Bildung sein. Wer in Virunum vorwärts wollte,
der schickte seinen Sohn zu einem römischen Schulmeister. Dort lernte er neben
correcten Gebrauche des Latein wohl auch Verse machen, wie einem Gebildeten
gebührte. Von solchen Leistungen virnnensischer Poesie ist selbst die späte Nach¬
welt nicht ganz verschont geblieben. Ein inschriftlich erhaltenes Distichon feiert
ein junges Mädchen, dessen Grab es bezeichnet, als den "Liebling der Musen"
und die "Lust der Grazien", wenngleich die römischen Musen an dieser poeti¬
schen Leistung manches auszusetzen finden mußten. Weiter drang der ganze
Strom römisch-griechischer Mythen in die empfängliche Seele des Norikers, und
selbst die einheimischen Götter verblaßten hinter den glänzenden Gestalten der
fremden. Auch der Viruuenser lernte zu Juppiter und Mercur, zu Victoria
und Fortuna beten, mit besonderer Andacht aber zu Mithras, dessen strenge und
düstere Religion zunächst die militärischen, dann auch die bürgerlichen Kreise des
sinkenden Reiches mit zauberischer Gewalt fesselte. In Virunum selbst gab es
ein Mithrasheiligthum, dessen Trümmer beim Schlosse Töltschach noch erhalten
zu sein scheinen; zweimal ist es von andächtigen Verehrern des Gottes wieder¬
hergestellt worden, im Jahre 238 von ein paar kaiserlichen Finanzbeamten orien¬
talischer Abkunft und dann wieder 311 vom Statthalter des binnenländischen
Noricum Aurelius Hermodorus, nur ein Jahr zuvor, ehe der Sieg Constantins
über Maxentius an den Lax", rudrs. auch den Triumph des Christenthums im
Westen entschied. Zahlreiche Steine sind in Virunum dem fremden Gotte ge¬
widmet worden, darunter einer vom kaiserlichen Postmeister Ulvius Gaianus


Volksdialects, um dessen Pflege sich niemand kümmerte, ja auf den die römisch-
gebildeten Noriker wahrscheinlich selbst mit ähnlicher Geringschätzung herabsahen,
wie früher etwa der französirte Straßburger auf das treuherzige Alemannisch
des elsässer Bauern; doch behauptet hat er sich jedenfalls während der ganzen
römischen Kaiserzeit, so gut wie die gallische Sprache in ihrer Heimat.

Auch die norische Götterwelt wurde von der römisch-orientalischen nicht
völlig verdrängt. Selbst in und um Virunum genossen die Göttin Belestis und
Belinus, der Schutzgott der norischen Eisenminen, der in apollinischer Jugend-
schöne prangend die Gaben des Feldes als Opfer sich gefallen ließ, eifriger
Verehrung, neben ihnen Norcia, die Stammesgottheit der Noriker, die später
gelegentlich mit der ägyptischen Isis vermischt wurde^

Aber gerade auf diesem Gebiete tritt vielleicht stärker als sonstwo der
Charakter der Mischmltur hervor. Den mehr äußerlichen Einflüssen gegenüber,
wie sie das römische Staatswesen direct oder indirect, mit mehr oder weniger
Berechnung in Anwendung bringen konnte, hat das keltische Wesen eine gewisse
Zähigkeit bewiesen; den rein cultureller Einwirkungen der Mittelmeereivilisativn
hat es nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen vermocht.

Römisch mußte die ganze Bildung sein. Wer in Virunum vorwärts wollte,
der schickte seinen Sohn zu einem römischen Schulmeister. Dort lernte er neben
correcten Gebrauche des Latein wohl auch Verse machen, wie einem Gebildeten
gebührte. Von solchen Leistungen virnnensischer Poesie ist selbst die späte Nach¬
welt nicht ganz verschont geblieben. Ein inschriftlich erhaltenes Distichon feiert
ein junges Mädchen, dessen Grab es bezeichnet, als den „Liebling der Musen"
und die „Lust der Grazien", wenngleich die römischen Musen an dieser poeti¬
schen Leistung manches auszusetzen finden mußten. Weiter drang der ganze
Strom römisch-griechischer Mythen in die empfängliche Seele des Norikers, und
selbst die einheimischen Götter verblaßten hinter den glänzenden Gestalten der
fremden. Auch der Viruuenser lernte zu Juppiter und Mercur, zu Victoria
und Fortuna beten, mit besonderer Andacht aber zu Mithras, dessen strenge und
düstere Religion zunächst die militärischen, dann auch die bürgerlichen Kreise des
sinkenden Reiches mit zauberischer Gewalt fesselte. In Virunum selbst gab es
ein Mithrasheiligthum, dessen Trümmer beim Schlosse Töltschach noch erhalten
zu sein scheinen; zweimal ist es von andächtigen Verehrern des Gottes wieder¬
hergestellt worden, im Jahre 238 von ein paar kaiserlichen Finanzbeamten orien¬
talischer Abkunft und dann wieder 311 vom Statthalter des binnenländischen
Noricum Aurelius Hermodorus, nur ein Jahr zuvor, ehe der Sieg Constantins
über Maxentius an den Lax«, rudrs. auch den Triumph des Christenthums im
Westen entschied. Zahlreiche Steine sind in Virunum dem fremden Gotte ge¬
widmet worden, darunter einer vom kaiserlichen Postmeister Ulvius Gaianus


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[0441] Volksdialects, um dessen Pflege sich niemand kümmerte, ja auf den die römisch- gebildeten Noriker wahrscheinlich selbst mit ähnlicher Geringschätzung herabsahen, wie früher etwa der französirte Straßburger auf das treuherzige Alemannisch des elsässer Bauern; doch behauptet hat er sich jedenfalls während der ganzen römischen Kaiserzeit, so gut wie die gallische Sprache in ihrer Heimat. Auch die norische Götterwelt wurde von der römisch-orientalischen nicht völlig verdrängt. Selbst in und um Virunum genossen die Göttin Belestis und Belinus, der Schutzgott der norischen Eisenminen, der in apollinischer Jugend- schöne prangend die Gaben des Feldes als Opfer sich gefallen ließ, eifriger Verehrung, neben ihnen Norcia, die Stammesgottheit der Noriker, die später gelegentlich mit der ägyptischen Isis vermischt wurde^ Aber gerade auf diesem Gebiete tritt vielleicht stärker als sonstwo der Charakter der Mischmltur hervor. Den mehr äußerlichen Einflüssen gegenüber, wie sie das römische Staatswesen direct oder indirect, mit mehr oder weniger Berechnung in Anwendung bringen konnte, hat das keltische Wesen eine gewisse Zähigkeit bewiesen; den rein cultureller Einwirkungen der Mittelmeereivilisativn hat es nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen vermocht. Römisch mußte die ganze Bildung sein. Wer in Virunum vorwärts wollte, der schickte seinen Sohn zu einem römischen Schulmeister. Dort lernte er neben correcten Gebrauche des Latein wohl auch Verse machen, wie einem Gebildeten gebührte. Von solchen Leistungen virnnensischer Poesie ist selbst die späte Nach¬ welt nicht ganz verschont geblieben. Ein inschriftlich erhaltenes Distichon feiert ein junges Mädchen, dessen Grab es bezeichnet, als den „Liebling der Musen" und die „Lust der Grazien", wenngleich die römischen Musen an dieser poeti¬ schen Leistung manches auszusetzen finden mußten. Weiter drang der ganze Strom römisch-griechischer Mythen in die empfängliche Seele des Norikers, und selbst die einheimischen Götter verblaßten hinter den glänzenden Gestalten der fremden. Auch der Viruuenser lernte zu Juppiter und Mercur, zu Victoria und Fortuna beten, mit besonderer Andacht aber zu Mithras, dessen strenge und düstere Religion zunächst die militärischen, dann auch die bürgerlichen Kreise des sinkenden Reiches mit zauberischer Gewalt fesselte. In Virunum selbst gab es ein Mithrasheiligthum, dessen Trümmer beim Schlosse Töltschach noch erhalten zu sein scheinen; zweimal ist es von andächtigen Verehrern des Gottes wieder¬ hergestellt worden, im Jahre 238 von ein paar kaiserlichen Finanzbeamten orien¬ talischer Abkunft und dann wieder 311 vom Statthalter des binnenländischen Noricum Aurelius Hermodorus, nur ein Jahr zuvor, ehe der Sieg Constantins über Maxentius an den Lax«, rudrs. auch den Triumph des Christenthums im Westen entschied. Zahlreiche Steine sind in Virunum dem fremden Gotte ge¬ widmet worden, darunter einer vom kaiserlichen Postmeister Ulvius Gaianus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/441>, abgerufen am 23.07.2024.