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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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so ist das Vorhandene, wie es zum großen Theile in jenem Museum aufbewahrt
wird und, was die inschriftlichen Zeugnisse betrifft, nunmehr im (üorpus insori-
ptioQuin latwarurn (III, 1) sich vereinigt findet, bedeutend genug, um zu dem
Versuche zu reizen, sich aus diesen zahllosen, an sich unscheinbaren Einzelheiten
das Bild der verschwundenen Stadt wiederherzustellend)

Wer heute von Klagenfurt aus nordwärts fährt durch das weite grüne
Thal der Glan, dessen üppige Maisfelder einen milderen Himmelsstrich ver¬
rathen, der sieht nach etwa einer halben Stunde das Thurmpaar einer statt¬
lichen Kirche zu seiner Rechten auftauchen. Auf mäßigem Hügel, von den an¬
sehnlichen Häusern eines Dorfes umgeben, ragt der große Bau, auf Stunden
hinaus nach allen Richtungen hin sichtbar, inmitten eines kleinen Friedhofs, den
eine hohe, aber jetzt theilweise überbaute Mauer entschließt. Das ist die Kirche
zu Maria-Saal, das älteste Gotteshaus der Gegend, ja ganz Kärntens. Denn
auf diesen: Hügel baute Bischof Motesens, von Salzburg auf die Bitten des
Slovenenherzogs Cheitmar gesendet, zur Zeit König Pippins des Kleinen (752
bis 76L) die erste Kirche in der Nähe der Herzogsburg. Längst ist der alte
Bau zerfallen; der heutige gehört sogar mit Ausnahme des südlichen Thurmes,
dessen massige Wände nur kleine romanische Fenster durchbrechen, der gothischen
Zeit an, eine hochgewölbte, dreischiffige Kreuzkirche. An ihrer Südwand aber
treten uns die ersten Zeugnisse des alten Viruunm entgegen, mehrere kleine
Reliefs, darunter ein Genius des Todes und die so häufig auf römischem Boden
vorkommende Darstellung der die Zwillinge säugenden Wölfin, während Jnschrif-
tensteine in die Wand des Pfarrhofes eingemauert sind, und etwa eine Viertel¬
stunde Wegs führt uns von hier zur wüsten Stätte des alten Virunum selbst.
Nichts verräth dem flüchtigen Wanderer die Spuren der untergegangenen Stadt.
Vor sich sieht er ein hügeliges Terrain, im Osten waldige Höhenzüge, den Tölt-
schacher Berg; von da aus dehnt sich nach Westen eine wellige Hochfläche, mit
Wald und Feld bedeckt, einzelne Häusergruppen darauf, um dann in raschem,
ziemlich steilem und hohem, größtentheils bewaldeten Abfall nach dem Glan-
thale und der großen Straße sich zu senken. Wo heute der Pflug des kärnti¬
schen Bauern geht, da haben sich einst die Straßen und Plätze Virunums ge¬
breitet in einem Umfange von etwa anderthalb Stunden. Aber nur niedriges
Mauerwerk, das hier und da im Walde hervortritt, verräth das Dasein alter
Wohnstätten, und wenn im Frühjahr die Saat aufsprießt, dann deuten gelblich
gefärbte und weniger dicht bewachsene Streifen in ihnen die Stellen an, wo
römisches Gemäuer unter dem Ackerboden liegt. Oder Pflug und Hacke stoßen



*) Für die monumentalen Reste vgl. außerdem Jabornegg-Altenfcls, Kärntens Rom.
Alterthümer.

so ist das Vorhandene, wie es zum großen Theile in jenem Museum aufbewahrt
wird und, was die inschriftlichen Zeugnisse betrifft, nunmehr im (üorpus insori-
ptioQuin latwarurn (III, 1) sich vereinigt findet, bedeutend genug, um zu dem
Versuche zu reizen, sich aus diesen zahllosen, an sich unscheinbaren Einzelheiten
das Bild der verschwundenen Stadt wiederherzustellend)

Wer heute von Klagenfurt aus nordwärts fährt durch das weite grüne
Thal der Glan, dessen üppige Maisfelder einen milderen Himmelsstrich ver¬
rathen, der sieht nach etwa einer halben Stunde das Thurmpaar einer statt¬
lichen Kirche zu seiner Rechten auftauchen. Auf mäßigem Hügel, von den an¬
sehnlichen Häusern eines Dorfes umgeben, ragt der große Bau, auf Stunden
hinaus nach allen Richtungen hin sichtbar, inmitten eines kleinen Friedhofs, den
eine hohe, aber jetzt theilweise überbaute Mauer entschließt. Das ist die Kirche
zu Maria-Saal, das älteste Gotteshaus der Gegend, ja ganz Kärntens. Denn
auf diesen: Hügel baute Bischof Motesens, von Salzburg auf die Bitten des
Slovenenherzogs Cheitmar gesendet, zur Zeit König Pippins des Kleinen (752
bis 76L) die erste Kirche in der Nähe der Herzogsburg. Längst ist der alte
Bau zerfallen; der heutige gehört sogar mit Ausnahme des südlichen Thurmes,
dessen massige Wände nur kleine romanische Fenster durchbrechen, der gothischen
Zeit an, eine hochgewölbte, dreischiffige Kreuzkirche. An ihrer Südwand aber
treten uns die ersten Zeugnisse des alten Viruunm entgegen, mehrere kleine
Reliefs, darunter ein Genius des Todes und die so häufig auf römischem Boden
vorkommende Darstellung der die Zwillinge säugenden Wölfin, während Jnschrif-
tensteine in die Wand des Pfarrhofes eingemauert sind, und etwa eine Viertel¬
stunde Wegs führt uns von hier zur wüsten Stätte des alten Virunum selbst.
Nichts verräth dem flüchtigen Wanderer die Spuren der untergegangenen Stadt.
Vor sich sieht er ein hügeliges Terrain, im Osten waldige Höhenzüge, den Tölt-
schacher Berg; von da aus dehnt sich nach Westen eine wellige Hochfläche, mit
Wald und Feld bedeckt, einzelne Häusergruppen darauf, um dann in raschem,
ziemlich steilem und hohem, größtentheils bewaldeten Abfall nach dem Glan-
thale und der großen Straße sich zu senken. Wo heute der Pflug des kärnti¬
schen Bauern geht, da haben sich einst die Straßen und Plätze Virunums ge¬
breitet in einem Umfange von etwa anderthalb Stunden. Aber nur niedriges
Mauerwerk, das hier und da im Walde hervortritt, verräth das Dasein alter
Wohnstätten, und wenn im Frühjahr die Saat aufsprießt, dann deuten gelblich
gefärbte und weniger dicht bewachsene Streifen in ihnen die Stellen an, wo
römisches Gemäuer unter dem Ackerboden liegt. Oder Pflug und Hacke stoßen



*) Für die monumentalen Reste vgl. außerdem Jabornegg-Altenfcls, Kärntens Rom.
Alterthümer.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/435>, abgerufen am 25.08.2024.