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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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eine der Marien. Hinter dieser Hauptgruppe stehen weitere sechs Personen,
darunter der zu äußerst rechts befindliche Johannes und namentlich zwei
trauernde Frauen von vorzüglicher Schönheit. Ein reicher landschaftlicher Hin¬
tergrund von liebevollster Durchführung bildet den Abschluß der großartigen
Composition, die auch in technischer Hinsicht den bedeutendsten Leistungen des
Meisters beizuzählen ist. Die besondere Begabung der umbrischen Schule für
lebendige Wiedergabe tiefen Gemüthslebens findet sich hier mit den epoche¬
machenden Errungenschaften der Florentiner in Beherrschung figurenreicher
Gruppen, wofür namentlich Masaccio und Ghirlandajo in ihren großen Cyclen
mnstergilte Beispiele aufgestellt hatten, aufs glücklichste vereinigt. So erklärt
es sich, daß dieses Werk innerhalb des toscanischen Kreises mächtigen Einfluß
auf einen hochstrebenden Künstler ausübte, der sich nicht lange darauf an dein
gleichen Stoffe versuchte. Dies ist Fr a Bartolommeo mit jenem Gemälde,
welches ebenfalls in der Pitti-Galerie aufbewahrt*), jeden Besucher der Samm¬
lung zum Vergleiche mit Perugino herausfordert. Aus vier Figuren setzt sich
die streng geschlossene Gruppe zusammen, drei darunter fast völlig mit den ent¬
sprechenden bei Perugin übereinstimmend, nämlich der todte Christus, der genau
wie dort, nur mit größerer künstlerischer Freiheit behandelt, in halb sitzender
Stellung von einer knieenden männlichen Figur -- hier Johannes -- gehalten
wird, der, wie dort Joseph von Arimathia, wehmüthigen Blickes aus dem Bilde
herausschaue. Ganz frappante Aehnlichkeit mit Peruginos Composition zeigt
endlich die Madonna, die hinter dem Leichnam kniet und seinen linken Arm
fast genau wie dort, doch nur mit einer Hand, emporhält, während sie mit der
Rechten sein Haupt stützt, zu dem sie sich mit dem edelsten Ausdruck des Schmerzes
herabneigt. Nur in der vierten Gestalt, der Magdalena, die sich in leidenschaft¬
licher Erregung zu Boden geworfen hat und die Beine des Todten mit den
Armen umschlingt, liegt eine wesentliche Abweichung von Perugiuos Muster vor.
Auch hier möge die Würdigung Platz finden, die Crowe und Cavalcaselle dein
Werke angedeihen lassen: "Die Gruppe, in der Composition aufs Eingehendste
durchgeführt, stellt gleichsam einen Auszug aller malerische" Bestrebungen des
16. Jahrhunderts dar: sie ist eine Abwandlung und Vollendung von Peruginos
gleichartigem Bilde und adelt die Empfindsamkeit der Umbrier durch edleren
Formensinn, erstaunliche Ausprägung der Persönlichkeiten und ungeschminkte
Wiedergabe der Natur. Ebenso unübertroffen wie die anatomische Richtigkeit
und der keusche Geschmack in der Behandlung des nackten Körpers ist die kühne
Verkürzung der Gestalt Magdalenas." Angesichts der krankhaften Originalitäts-



*) Ur. 64; abgebildet z. B. bei Liibke, Grundr. der Knnstgcsch. (6. Unflg,) II, 206.
Ueber den Antheil des Giuliano Bngiardini an dem Werke "gi. Crowe und Cavaleaselle
IV, 47" fg.

eine der Marien. Hinter dieser Hauptgruppe stehen weitere sechs Personen,
darunter der zu äußerst rechts befindliche Johannes und namentlich zwei
trauernde Frauen von vorzüglicher Schönheit. Ein reicher landschaftlicher Hin¬
tergrund von liebevollster Durchführung bildet den Abschluß der großartigen
Composition, die auch in technischer Hinsicht den bedeutendsten Leistungen des
Meisters beizuzählen ist. Die besondere Begabung der umbrischen Schule für
lebendige Wiedergabe tiefen Gemüthslebens findet sich hier mit den epoche¬
machenden Errungenschaften der Florentiner in Beherrschung figurenreicher
Gruppen, wofür namentlich Masaccio und Ghirlandajo in ihren großen Cyclen
mnstergilte Beispiele aufgestellt hatten, aufs glücklichste vereinigt. So erklärt
es sich, daß dieses Werk innerhalb des toscanischen Kreises mächtigen Einfluß
auf einen hochstrebenden Künstler ausübte, der sich nicht lange darauf an dein
gleichen Stoffe versuchte. Dies ist Fr a Bartolommeo mit jenem Gemälde,
welches ebenfalls in der Pitti-Galerie aufbewahrt*), jeden Besucher der Samm¬
lung zum Vergleiche mit Perugino herausfordert. Aus vier Figuren setzt sich
die streng geschlossene Gruppe zusammen, drei darunter fast völlig mit den ent¬
sprechenden bei Perugin übereinstimmend, nämlich der todte Christus, der genau
wie dort, nur mit größerer künstlerischer Freiheit behandelt, in halb sitzender
Stellung von einer knieenden männlichen Figur — hier Johannes — gehalten
wird, der, wie dort Joseph von Arimathia, wehmüthigen Blickes aus dem Bilde
herausschaue. Ganz frappante Aehnlichkeit mit Peruginos Composition zeigt
endlich die Madonna, die hinter dem Leichnam kniet und seinen linken Arm
fast genau wie dort, doch nur mit einer Hand, emporhält, während sie mit der
Rechten sein Haupt stützt, zu dem sie sich mit dem edelsten Ausdruck des Schmerzes
herabneigt. Nur in der vierten Gestalt, der Magdalena, die sich in leidenschaft¬
licher Erregung zu Boden geworfen hat und die Beine des Todten mit den
Armen umschlingt, liegt eine wesentliche Abweichung von Perugiuos Muster vor.
Auch hier möge die Würdigung Platz finden, die Crowe und Cavalcaselle dein
Werke angedeihen lassen: „Die Gruppe, in der Composition aufs Eingehendste
durchgeführt, stellt gleichsam einen Auszug aller malerische» Bestrebungen des
16. Jahrhunderts dar: sie ist eine Abwandlung und Vollendung von Peruginos
gleichartigem Bilde und adelt die Empfindsamkeit der Umbrier durch edleren
Formensinn, erstaunliche Ausprägung der Persönlichkeiten und ungeschminkte
Wiedergabe der Natur. Ebenso unübertroffen wie die anatomische Richtigkeit
und der keusche Geschmack in der Behandlung des nackten Körpers ist die kühne
Verkürzung der Gestalt Magdalenas." Angesichts der krankhaften Originalitäts-



*) Ur. 64; abgebildet z. B. bei Liibke, Grundr. der Knnstgcsch. (6. Unflg,) II, 206.
Ueber den Antheil des Giuliano Bngiardini an dem Werke »gi. Crowe und Cavaleaselle
IV, 47» fg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/39>, abgerufen am 23.07.2024.