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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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mit denen er im Beginne seiner Laufbahn die Scrovegnikapelle zu Padua
schmückte, gerade die Pieta als eine der schönsten und ergreifendsten Composi-
tionen dasteht. Nur ein geringer zeitlicher Zwischenraum liegt zwischen dieser
und der Darstellung, die sich unter den von Vasari (I, 224) dem Cimabue, von
der neueren Forschung verschiedenen Florentiner Künstlern zugeschriebenen Fres¬
ken der Oberkirche zu Assise befindet. Aber ein gewaltiger Schritt ist über jene
Darstellung hinaus gethan. Zeigte sich dort die Situation gewissermaßen nur
in ihrer äußeren Erscheinung fixirt, so findet sich hier ein Eingehen auf die
psychologische Seite der Scene, wie es dort kaum angestrebt, geschweige erreicht
war. In der Anordnung der Figuren geht Giotto im Allgemeinen denselben
Weg wie der Maler zu Assise und vor ihm der Urheber des kleinen Pisaner
Bildes; der Christusleichnam ruht auf dem Schoße der Mutter, die von einem
Kreise trauernder Frauen umgeben ist und Kopf und Schultern des Sohnes
unterstützt, während Magdalena schmerzerfüllt seine Füße umfaßt und zwei andere
Frauen zu seinen Seiten ihm die Hände küssen; in einiger Entfernung steht
Johannes, in tiefer Verzweiflung sich vornüber neigend und mit den Augen an
der Leiche des geliebten Meisters hangend. Außerdem umfaßt die Composition
noch zwei männliche Gestalten, Nikodemus und Joseph von Arimathia, welche
die Hauptgruppe theilnahmsvoll betrachten, und zehn in der Luft schwebende
Engel, in denen die Empfindungen des Schmerzes und Schreckens sich fortsetzen.
Es ist eine reiche Scala von Seelenstimmungen, die sich kaum kürzer und besser
schildern läßt als es Schnaase gethan hat mit den Worten*): "Der Ausdruck
des Schmerzes ist in allen Tonarten mit einer Energie und Tiefe der Empfin¬
dung durgeftthrt, wie kaum ein zweites Mal. Bei den älteren Männern, Niko¬
demus und Joseph von Arimathia, äußert sich das Gefühl mit Gebet und Er¬
gebung, bei Johannes und einer der jüngeren Frauen mit heftigster, fast ver¬
zweifelnder Bewegung, bei Maria aber in dem Ausdrucke wärmster, über das
Grab hinausreichender Liebe. Von höchster Eigenthümlichkeit ist Magdalena,
welche ruhig, aber mit starrem Blicke sitzend, den Fuß des Herrn in den Händen
hält, wie ganz in Erinnerung und Betrachtung ihres Verlustes versunken. Be¬
merkenswerth ist auch eine Frau, welche die eine Hand Christi hält und die,
obgleich man von ihr nur den breiten Rücken, nicht das Antlitz sieht, doch vor¬
trefflich wirkt und die Schwere des Momentes und die rücksichtslose Hingebung
aller an den eigenen Schmerz lebendig versinnlicht. Selbst die Luft ist voller
Klage, indem kleine Engel mit den heftigsten Bewegungen des Schmerzes wie
geängstete Vogel beim herauncchenden Gewitter durcheinander flattern, und auch



*) Gesch. d. bild, Künste (2, Aust.) VII. S. 3V6.

mit denen er im Beginne seiner Laufbahn die Scrovegnikapelle zu Padua
schmückte, gerade die Pieta als eine der schönsten und ergreifendsten Composi-
tionen dasteht. Nur ein geringer zeitlicher Zwischenraum liegt zwischen dieser
und der Darstellung, die sich unter den von Vasari (I, 224) dem Cimabue, von
der neueren Forschung verschiedenen Florentiner Künstlern zugeschriebenen Fres¬
ken der Oberkirche zu Assise befindet. Aber ein gewaltiger Schritt ist über jene
Darstellung hinaus gethan. Zeigte sich dort die Situation gewissermaßen nur
in ihrer äußeren Erscheinung fixirt, so findet sich hier ein Eingehen auf die
psychologische Seite der Scene, wie es dort kaum angestrebt, geschweige erreicht
war. In der Anordnung der Figuren geht Giotto im Allgemeinen denselben
Weg wie der Maler zu Assise und vor ihm der Urheber des kleinen Pisaner
Bildes; der Christusleichnam ruht auf dem Schoße der Mutter, die von einem
Kreise trauernder Frauen umgeben ist und Kopf und Schultern des Sohnes
unterstützt, während Magdalena schmerzerfüllt seine Füße umfaßt und zwei andere
Frauen zu seinen Seiten ihm die Hände küssen; in einiger Entfernung steht
Johannes, in tiefer Verzweiflung sich vornüber neigend und mit den Augen an
der Leiche des geliebten Meisters hangend. Außerdem umfaßt die Composition
noch zwei männliche Gestalten, Nikodemus und Joseph von Arimathia, welche
die Hauptgruppe theilnahmsvoll betrachten, und zehn in der Luft schwebende
Engel, in denen die Empfindungen des Schmerzes und Schreckens sich fortsetzen.
Es ist eine reiche Scala von Seelenstimmungen, die sich kaum kürzer und besser
schildern läßt als es Schnaase gethan hat mit den Worten*): „Der Ausdruck
des Schmerzes ist in allen Tonarten mit einer Energie und Tiefe der Empfin¬
dung durgeftthrt, wie kaum ein zweites Mal. Bei den älteren Männern, Niko¬
demus und Joseph von Arimathia, äußert sich das Gefühl mit Gebet und Er¬
gebung, bei Johannes und einer der jüngeren Frauen mit heftigster, fast ver¬
zweifelnder Bewegung, bei Maria aber in dem Ausdrucke wärmster, über das
Grab hinausreichender Liebe. Von höchster Eigenthümlichkeit ist Magdalena,
welche ruhig, aber mit starrem Blicke sitzend, den Fuß des Herrn in den Händen
hält, wie ganz in Erinnerung und Betrachtung ihres Verlustes versunken. Be¬
merkenswerth ist auch eine Frau, welche die eine Hand Christi hält und die,
obgleich man von ihr nur den breiten Rücken, nicht das Antlitz sieht, doch vor¬
trefflich wirkt und die Schwere des Momentes und die rücksichtslose Hingebung
aller an den eigenen Schmerz lebendig versinnlicht. Selbst die Luft ist voller
Klage, indem kleine Engel mit den heftigsten Bewegungen des Schmerzes wie
geängstete Vogel beim herauncchenden Gewitter durcheinander flattern, und auch



*) Gesch. d. bild, Künste (2, Aust.) VII. S. 3V6.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/34>, abgerufen am 23.07.2024.