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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Zuge erreichten. Wir traten ein und baten um Kartoffeln, mit dem Erbieten,
einen Louisd'or dafür zu zahlen, wir wurden aber mit den Worten abgewiesen,
es seien weder Kartoffeln noch andre Lebensmittel vorhanden. Das war ein
untröstliches Wort, das uns nicht sättigen konnte. Die Noth machte aber er¬
finderisch. Wir erblickten einen Scheunen-Bansen; es wurde davon geklopft,
und es klang hohl. Sollte uicht hier etwas verborgen sein, wodurch unserer
Noth abgeholfen werden konnte? Ein Bret wurde abgerissen, und siehe da:
Norräthe in Menge und von verschiedener Art -- Schinken, Speck, Würste,
Butter, Honig, Kartoffeln ;e. Hiervon nahmen wir, was zu einem Abendbrode
nöthig war. Nun gingen wir noch einmal hinein und baten, uns für zwei
Louisd'or Kartoffeln zukommen zu lassen. Da uus wiederholt die Antwort
gegeben wurde, daß nichts da sei, sagte ich zu dem Herrn des Hauses: "Nun
so müssen wir uns von unser" Vorräthen holen". Gesagt, gethan. Die soeben
aus dem Verstecke hervorgeholter und auf den Wagen gelegten Victualien
wurden zum Vorscheine gebracht, es wurde daraus ein herrliches Abendbrot"
bereitet und der Gutsherr init seiner Familie dazu eingeladen. Da er bemerkte,
daß das Vorhandene von dem Seinigen war, gaben wir ihm die wohlgemeinte
Lehre, er möge künftig menschlicher und vorsichtiger sein, er werde wohl mehr¬
mals noch von hungernden Militär besucht werden und dürfte sich wohl nicht
von allen einer so rücksichtsvollen Behandlung zu erfreuen haben wie von
uns. Nur was wir zu unserer Sättigung bedurften, hatten wir ihm genommen,
das übrige ließen wir ihm, damit er uicht selbst mit seiner Familie Hunger
leide, und Zimmerleute, die wir bei uns hatten, verwahrten den Bansen so gut
als möglich gegen weitere Eingriffe.

Dergleichen Vorfälle erheiterten uns in unserer betrübenden Lage und
machten uns auch das Schwerste erträglich, so daß ich bekennen muß: bis jetzt,
nämlich bis zur Erreichung der Brücke vou Kowno, war es uns noch leidlich
ergangen; wir hatten doch noch einige vergnügte Stunden verlebt.

Bei unserer Ankunft in Kowno kamen uns retirirende Franzosen mit
ihren Verbündeten, die wenigsten rüstig, die meisten Reconvalescenten, in Lumpen
gehüllt, elend, schwarz, schwärzer und häßlicher als Schlotfeger, mit schrecklich
contrastirenden Eiszacken auf dem Schwarz, theils auf der Straße, theils in
der Stadt schaarenweise entgegen*). Hier würde ein Maler die beste Gelegenheit
gesunden haben, das menschliche Elend mit größter Treue bildlich darzustellen.



*) Es sei daran erinnert, daß inzwischen am 7. September 1812 die Schlacht an der
Moskwa geschlagen wurden, am 14. September Napoleon in Moskau eingerückt war, am
19. October aber dasselbe wieder geräumt und den Rückzug angetreten hatte, auf welchen"
er Smolensk am 12. November erreichte und am 27. November den furchtbaren Uebergang
über die Berezina bewerkstelligte. Vgl. übrigens Theuß in der oben erwähnten Schrift S. 12.

Zuge erreichten. Wir traten ein und baten um Kartoffeln, mit dem Erbieten,
einen Louisd'or dafür zu zahlen, wir wurden aber mit den Worten abgewiesen,
es seien weder Kartoffeln noch andre Lebensmittel vorhanden. Das war ein
untröstliches Wort, das uns nicht sättigen konnte. Die Noth machte aber er¬
finderisch. Wir erblickten einen Scheunen-Bansen; es wurde davon geklopft,
und es klang hohl. Sollte uicht hier etwas verborgen sein, wodurch unserer
Noth abgeholfen werden konnte? Ein Bret wurde abgerissen, und siehe da:
Norräthe in Menge und von verschiedener Art — Schinken, Speck, Würste,
Butter, Honig, Kartoffeln ;e. Hiervon nahmen wir, was zu einem Abendbrode
nöthig war. Nun gingen wir noch einmal hinein und baten, uns für zwei
Louisd'or Kartoffeln zukommen zu lassen. Da uus wiederholt die Antwort
gegeben wurde, daß nichts da sei, sagte ich zu dem Herrn des Hauses: „Nun
so müssen wir uns von unser» Vorräthen holen". Gesagt, gethan. Die soeben
aus dem Verstecke hervorgeholter und auf den Wagen gelegten Victualien
wurden zum Vorscheine gebracht, es wurde daraus ein herrliches Abendbrot»
bereitet und der Gutsherr init seiner Familie dazu eingeladen. Da er bemerkte,
daß das Vorhandene von dem Seinigen war, gaben wir ihm die wohlgemeinte
Lehre, er möge künftig menschlicher und vorsichtiger sein, er werde wohl mehr¬
mals noch von hungernden Militär besucht werden und dürfte sich wohl nicht
von allen einer so rücksichtsvollen Behandlung zu erfreuen haben wie von
uns. Nur was wir zu unserer Sättigung bedurften, hatten wir ihm genommen,
das übrige ließen wir ihm, damit er uicht selbst mit seiner Familie Hunger
leide, und Zimmerleute, die wir bei uns hatten, verwahrten den Bansen so gut
als möglich gegen weitere Eingriffe.

Dergleichen Vorfälle erheiterten uns in unserer betrübenden Lage und
machten uns auch das Schwerste erträglich, so daß ich bekennen muß: bis jetzt,
nämlich bis zur Erreichung der Brücke vou Kowno, war es uns noch leidlich
ergangen; wir hatten doch noch einige vergnügte Stunden verlebt.

Bei unserer Ankunft in Kowno kamen uns retirirende Franzosen mit
ihren Verbündeten, die wenigsten rüstig, die meisten Reconvalescenten, in Lumpen
gehüllt, elend, schwarz, schwärzer und häßlicher als Schlotfeger, mit schrecklich
contrastirenden Eiszacken auf dem Schwarz, theils auf der Straße, theils in
der Stadt schaarenweise entgegen*). Hier würde ein Maler die beste Gelegenheit
gesunden haben, das menschliche Elend mit größter Treue bildlich darzustellen.



*) Es sei daran erinnert, daß inzwischen am 7. September 1812 die Schlacht an der
Moskwa geschlagen wurden, am 14. September Napoleon in Moskau eingerückt war, am
19. October aber dasselbe wieder geräumt und den Rückzug angetreten hatte, auf welchen«
er Smolensk am 12. November erreichte und am 27. November den furchtbaren Uebergang
über die Berezina bewerkstelligte. Vgl. übrigens Theuß in der oben erwähnten Schrift S. 12.
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[0321] Zuge erreichten. Wir traten ein und baten um Kartoffeln, mit dem Erbieten, einen Louisd'or dafür zu zahlen, wir wurden aber mit den Worten abgewiesen, es seien weder Kartoffeln noch andre Lebensmittel vorhanden. Das war ein untröstliches Wort, das uns nicht sättigen konnte. Die Noth machte aber er¬ finderisch. Wir erblickten einen Scheunen-Bansen; es wurde davon geklopft, und es klang hohl. Sollte uicht hier etwas verborgen sein, wodurch unserer Noth abgeholfen werden konnte? Ein Bret wurde abgerissen, und siehe da: Norräthe in Menge und von verschiedener Art — Schinken, Speck, Würste, Butter, Honig, Kartoffeln ;e. Hiervon nahmen wir, was zu einem Abendbrode nöthig war. Nun gingen wir noch einmal hinein und baten, uns für zwei Louisd'or Kartoffeln zukommen zu lassen. Da uus wiederholt die Antwort gegeben wurde, daß nichts da sei, sagte ich zu dem Herrn des Hauses: „Nun so müssen wir uns von unser» Vorräthen holen". Gesagt, gethan. Die soeben aus dem Verstecke hervorgeholter und auf den Wagen gelegten Victualien wurden zum Vorscheine gebracht, es wurde daraus ein herrliches Abendbrot» bereitet und der Gutsherr init seiner Familie dazu eingeladen. Da er bemerkte, daß das Vorhandene von dem Seinigen war, gaben wir ihm die wohlgemeinte Lehre, er möge künftig menschlicher und vorsichtiger sein, er werde wohl mehr¬ mals noch von hungernden Militär besucht werden und dürfte sich wohl nicht von allen einer so rücksichtsvollen Behandlung zu erfreuen haben wie von uns. Nur was wir zu unserer Sättigung bedurften, hatten wir ihm genommen, das übrige ließen wir ihm, damit er uicht selbst mit seiner Familie Hunger leide, und Zimmerleute, die wir bei uns hatten, verwahrten den Bansen so gut als möglich gegen weitere Eingriffe. Dergleichen Vorfälle erheiterten uns in unserer betrübenden Lage und machten uns auch das Schwerste erträglich, so daß ich bekennen muß: bis jetzt, nämlich bis zur Erreichung der Brücke vou Kowno, war es uns noch leidlich ergangen; wir hatten doch noch einige vergnügte Stunden verlebt. Bei unserer Ankunft in Kowno kamen uns retirirende Franzosen mit ihren Verbündeten, die wenigsten rüstig, die meisten Reconvalescenten, in Lumpen gehüllt, elend, schwarz, schwärzer und häßlicher als Schlotfeger, mit schrecklich contrastirenden Eiszacken auf dem Schwarz, theils auf der Straße, theils in der Stadt schaarenweise entgegen*). Hier würde ein Maler die beste Gelegenheit gesunden haben, das menschliche Elend mit größter Treue bildlich darzustellen. *) Es sei daran erinnert, daß inzwischen am 7. September 1812 die Schlacht an der Moskwa geschlagen wurden, am 14. September Napoleon in Moskau eingerückt war, am 19. October aber dasselbe wieder geräumt und den Rückzug angetreten hatte, auf welchen« er Smolensk am 12. November erreichte und am 27. November den furchtbaren Uebergang über die Berezina bewerkstelligte. Vgl. übrigens Theuß in der oben erwähnten Schrift S. 12.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/321>, abgerufen am 23.07.2024.