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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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eine Hofcharge". Das Stück hatte das Schicksal des Genius. Es wurde nicht
verstanden. Es befremdete, es mißfiel. Eine Aufführung desselben unterblieb,
es kam nicht einmal in die Hände der hohen Gönnerin Kleists, der Königin
Luise; erst nach Kleists Tode ist das Stück gedruckt worden. Stumme Ver¬
zweiflung scheint den Dichter damals erfaßt zu haben. Durch den Strom der
eigenen Schuld hatte er sich muthig hindurchgerungen, an das Ufer der Frei¬
heit, der Harmonie und der Verklärung; da empfingen den Ermatteten drüben
die Schergen des unverschuldeten Unglücks, Nichtachtung, Unwissenheit, Lauheit
und kleinliche Wirklichkeit, und stießen ihn wieder zurück in Noth und Jrrsal.
Um das Maß voll zu machen, starb seine hohe Gönnerin, die Königin Luise.
Eine dumpfe Lethargie bemächtigte sich des Dichters, der er nur noch einmal
in dem "Letzten Liede" einen erschütternden Ausdruck geliehen:


Und du, o Lied voll unnennbarer Wonnen,
Das das Gefühl so wunderbar erhebt . . .
Dich trifft der Todespfeil; die Parzen winken,
Und stumm ins Grab mußt du darniedcrsinken.
Ein Gvttcrkind bekränzt im Jugendreigen
Wirst du nicht mehr von Land zu Lande ziehn,
Nicht mehr in unsre Tänze niedersteigen.
Nicht hochroth mehr bei unserm Mahl erglühn.
Und nur wo einsam unter Tannenzweigen
Zu Leichensteinen stille Pfade ziehn,
Wird Wanderern, die bei den Todten leben,
Ein Schatten deiner Schon' entgegenschweben.
Und stärker rauscht der Sänger in die Saiten,
Der Töne ganze Macht lockt er hervor,
Er singt die Lust, fürs Vaterland zu streiten.
Und machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich näher pflanzen sieht, von Thor zu Thor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier thränend aus den Händen.

Aehnlich wie sich die Zeitgenossen den Symphonien Beethovens gegenüber
verhielten, so verhielt sich die große Masse gegen das Kunstwerk Kleists. Nur
sehr wenige, geradezu nur einzelne hochgebildete und hochstehende Zeitgenossen
vermochten das Stück zu würdigen. So spricht sich der wegen seiner eminenten
Urtheilskraft berühmte Staatsmann Gentz sehr erfreut darüber aus, daß Kleist
mit dem Stücke endlich auf deu seit den "Schroffensteinern" verlassenen Weg
des nationalen Dramas zurückgekehrt sei, und Solger sagt: "Alles, was mir
in Kleists Anlagen vorher einzeln und abgerissen erschien, vereinigt sich, vor¬
züglich im Prinzen von Homburg, zum schönsten Ganzen. Auch^ hier liegt Alles


eine Hofcharge". Das Stück hatte das Schicksal des Genius. Es wurde nicht
verstanden. Es befremdete, es mißfiel. Eine Aufführung desselben unterblieb,
es kam nicht einmal in die Hände der hohen Gönnerin Kleists, der Königin
Luise; erst nach Kleists Tode ist das Stück gedruckt worden. Stumme Ver¬
zweiflung scheint den Dichter damals erfaßt zu haben. Durch den Strom der
eigenen Schuld hatte er sich muthig hindurchgerungen, an das Ufer der Frei¬
heit, der Harmonie und der Verklärung; da empfingen den Ermatteten drüben
die Schergen des unverschuldeten Unglücks, Nichtachtung, Unwissenheit, Lauheit
und kleinliche Wirklichkeit, und stießen ihn wieder zurück in Noth und Jrrsal.
Um das Maß voll zu machen, starb seine hohe Gönnerin, die Königin Luise.
Eine dumpfe Lethargie bemächtigte sich des Dichters, der er nur noch einmal
in dem „Letzten Liede" einen erschütternden Ausdruck geliehen:


Und du, o Lied voll unnennbarer Wonnen,
Das das Gefühl so wunderbar erhebt . . .
Dich trifft der Todespfeil; die Parzen winken,
Und stumm ins Grab mußt du darniedcrsinken.
Ein Gvttcrkind bekränzt im Jugendreigen
Wirst du nicht mehr von Land zu Lande ziehn,
Nicht mehr in unsre Tänze niedersteigen.
Nicht hochroth mehr bei unserm Mahl erglühn.
Und nur wo einsam unter Tannenzweigen
Zu Leichensteinen stille Pfade ziehn,
Wird Wanderern, die bei den Todten leben,
Ein Schatten deiner Schon' entgegenschweben.
Und stärker rauscht der Sänger in die Saiten,
Der Töne ganze Macht lockt er hervor,
Er singt die Lust, fürs Vaterland zu streiten.
Und machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich näher pflanzen sieht, von Thor zu Thor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier thränend aus den Händen.

Aehnlich wie sich die Zeitgenossen den Symphonien Beethovens gegenüber
verhielten, so verhielt sich die große Masse gegen das Kunstwerk Kleists. Nur
sehr wenige, geradezu nur einzelne hochgebildete und hochstehende Zeitgenossen
vermochten das Stück zu würdigen. So spricht sich der wegen seiner eminenten
Urtheilskraft berühmte Staatsmann Gentz sehr erfreut darüber aus, daß Kleist
mit dem Stücke endlich auf deu seit den „Schroffensteinern" verlassenen Weg
des nationalen Dramas zurückgekehrt sei, und Solger sagt: „Alles, was mir
in Kleists Anlagen vorher einzeln und abgerissen erschien, vereinigt sich, vor¬
züglich im Prinzen von Homburg, zum schönsten Ganzen. Auch^ hier liegt Alles


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[0284] eine Hofcharge". Das Stück hatte das Schicksal des Genius. Es wurde nicht verstanden. Es befremdete, es mißfiel. Eine Aufführung desselben unterblieb, es kam nicht einmal in die Hände der hohen Gönnerin Kleists, der Königin Luise; erst nach Kleists Tode ist das Stück gedruckt worden. Stumme Ver¬ zweiflung scheint den Dichter damals erfaßt zu haben. Durch den Strom der eigenen Schuld hatte er sich muthig hindurchgerungen, an das Ufer der Frei¬ heit, der Harmonie und der Verklärung; da empfingen den Ermatteten drüben die Schergen des unverschuldeten Unglücks, Nichtachtung, Unwissenheit, Lauheit und kleinliche Wirklichkeit, und stießen ihn wieder zurück in Noth und Jrrsal. Um das Maß voll zu machen, starb seine hohe Gönnerin, die Königin Luise. Eine dumpfe Lethargie bemächtigte sich des Dichters, der er nur noch einmal in dem „Letzten Liede" einen erschütternden Ausdruck geliehen: Und du, o Lied voll unnennbarer Wonnen, Das das Gefühl so wunderbar erhebt . . . Dich trifft der Todespfeil; die Parzen winken, Und stumm ins Grab mußt du darniedcrsinken. Ein Gvttcrkind bekränzt im Jugendreigen Wirst du nicht mehr von Land zu Lande ziehn, Nicht mehr in unsre Tänze niedersteigen. Nicht hochroth mehr bei unserm Mahl erglühn. Und nur wo einsam unter Tannenzweigen Zu Leichensteinen stille Pfade ziehn, Wird Wanderern, die bei den Todten leben, Ein Schatten deiner Schon' entgegenschweben. Und stärker rauscht der Sänger in die Saiten, Der Töne ganze Macht lockt er hervor, Er singt die Lust, fürs Vaterland zu streiten. Und machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr, Und wie er flatternd das Panier der Zeiten Sich näher pflanzen sieht, von Thor zu Thor, Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden Und legt die Leier thränend aus den Händen. Aehnlich wie sich die Zeitgenossen den Symphonien Beethovens gegenüber verhielten, so verhielt sich die große Masse gegen das Kunstwerk Kleists. Nur sehr wenige, geradezu nur einzelne hochgebildete und hochstehende Zeitgenossen vermochten das Stück zu würdigen. So spricht sich der wegen seiner eminenten Urtheilskraft berühmte Staatsmann Gentz sehr erfreut darüber aus, daß Kleist mit dem Stücke endlich auf deu seit den „Schroffensteinern" verlassenen Weg des nationalen Dramas zurückgekehrt sei, und Solger sagt: „Alles, was mir in Kleists Anlagen vorher einzeln und abgerissen erschien, vereinigt sich, vor¬ züglich im Prinzen von Homburg, zum schönsten Ganzen. Auch^ hier liegt Alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/284>, abgerufen am 23.07.2024.