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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Als die Nachricht vom Anmärsche der Heratis nach Kandahar gelangte,
wurde ihnen von dem hier befehligenden englischen General Primrose der Wali
oder einheimische Gouverneur der Stadt mit 4000 Mann, lauter Afghanen,
bis zum Helmand-Flusse entgegenschickt. Derselbe fand bald, daß seine Truppen
unzuverlässig waren, und so sandte er, als die Entfernung zwischen ihm und
Ajub Chan sich allmählich verringerte, nach Kandahar um Verstärkungen. Am
20. Juni, als Ajub die Stadt Farah erreicht hatte, beiläufig den fernsten Punkt
im Westen, bis zu dem die Engländer 1879 vorgedrungen waren, gingen die
erbetenen Verstärkungen unter General Burrows von Kandahar ab, und erst
am 9. Juli traf er bei dem Wali ein, der sich zu dieser Zeit in der Stadt
Girischk befand und bereits mit dem Vortrab Ajubs Scharmützel bestanden
hatte. Letzterer war weit rascher marschirt als Burrows; denn Girischk ist von
Kandahar nur halb so weit entfernt als Farah. Der Helmcmd wurde infolge
des trocknen Wetters der letztvergangenen Wochen und der vielen Canäle, welche
sein Wasser nach den benachbarten Gärten und Aeckern leiten, seicht und passir-
bar gefunden. Burrows stellte im Norden und Süden, flußauf- und flu߬
abwärts in der Entfernung von 4 englischen Meilen von seiner Hauptposition
zu Girischk Vorposten aus, und vom 10. bis 14. Juli nahm das vereinigte
gegen Ajub ausgezogene Heer folgende Stellung ein. Der Wali mit seiner
afghanischen Landwehr stand auf dem westlichen Ufer, Burrows mit einer
Batterie reitender Artillerie, 6 Compagnien englischer und 2 Regimentern in¬
discher Infanterie, dem 3. Bombay Kavallerie-Regiment, 2 Schwadronen Reitern
von Seirbe und einer Sappeur-Compagnie auf dein östlichen Ufer, wo Girischk
liegt. Am 14. überzeugte sich der Oberst Se. John, der Burrows als "poli¬
tischer Offizier" begleitete, daß die Truppen des Wali zur Meuterei geneigt waren;
so erhielten dieselben Befehl, sich sofort auf das andere Ufer zu Burrows zu
begeben. Dies gab das Signal zu Widersetzlichkeiten, die von einem Reiter-
Regiment aus Kabul ausgingen, und denen sich die Infanterie und Artillerie
des Wali anschlössen. Die Meuterer schickten sich an, zu Ajubs Heer abzu-
marschireu, um sich mit demselben zu vereinigen. Sie hatten dabei eine kurze
Strecke zurückgelegt, als sie von der ihnen eiligst nachgesandten Reiterei des
Generals Burrows eingeholt und so lange aufgehalten wurden, bis Artillerie
eintraf, mit deren Hilfe sie zersprengt und die von ihnen entführten Geschütze
und Kriegsvorräthe wieder erobert wurden. Die Mehrzahl der Empörer aber
entkam zu Ajub, der zu dieser Zeit in Lar, zwei Tagemarsche vou Girischk, an¬
gelangt war.

Dieser Zuwachs von Streitkräften bewog Ajub und seine Rathgeber nicht
zu rascherem und zuversichtlicheren Vorgehen. Sie rückten im Gegentheil mit
größter Behutsamkeit vor und fühlten ihren Weg, wie die Berichte der englischen


Als die Nachricht vom Anmärsche der Heratis nach Kandahar gelangte,
wurde ihnen von dem hier befehligenden englischen General Primrose der Wali
oder einheimische Gouverneur der Stadt mit 4000 Mann, lauter Afghanen,
bis zum Helmand-Flusse entgegenschickt. Derselbe fand bald, daß seine Truppen
unzuverlässig waren, und so sandte er, als die Entfernung zwischen ihm und
Ajub Chan sich allmählich verringerte, nach Kandahar um Verstärkungen. Am
20. Juni, als Ajub die Stadt Farah erreicht hatte, beiläufig den fernsten Punkt
im Westen, bis zu dem die Engländer 1879 vorgedrungen waren, gingen die
erbetenen Verstärkungen unter General Burrows von Kandahar ab, und erst
am 9. Juli traf er bei dem Wali ein, der sich zu dieser Zeit in der Stadt
Girischk befand und bereits mit dem Vortrab Ajubs Scharmützel bestanden
hatte. Letzterer war weit rascher marschirt als Burrows; denn Girischk ist von
Kandahar nur halb so weit entfernt als Farah. Der Helmcmd wurde infolge
des trocknen Wetters der letztvergangenen Wochen und der vielen Canäle, welche
sein Wasser nach den benachbarten Gärten und Aeckern leiten, seicht und passir-
bar gefunden. Burrows stellte im Norden und Süden, flußauf- und flu߬
abwärts in der Entfernung von 4 englischen Meilen von seiner Hauptposition
zu Girischk Vorposten aus, und vom 10. bis 14. Juli nahm das vereinigte
gegen Ajub ausgezogene Heer folgende Stellung ein. Der Wali mit seiner
afghanischen Landwehr stand auf dem westlichen Ufer, Burrows mit einer
Batterie reitender Artillerie, 6 Compagnien englischer und 2 Regimentern in¬
discher Infanterie, dem 3. Bombay Kavallerie-Regiment, 2 Schwadronen Reitern
von Seirbe und einer Sappeur-Compagnie auf dein östlichen Ufer, wo Girischk
liegt. Am 14. überzeugte sich der Oberst Se. John, der Burrows als „poli¬
tischer Offizier" begleitete, daß die Truppen des Wali zur Meuterei geneigt waren;
so erhielten dieselben Befehl, sich sofort auf das andere Ufer zu Burrows zu
begeben. Dies gab das Signal zu Widersetzlichkeiten, die von einem Reiter-
Regiment aus Kabul ausgingen, und denen sich die Infanterie und Artillerie
des Wali anschlössen. Die Meuterer schickten sich an, zu Ajubs Heer abzu-
marschireu, um sich mit demselben zu vereinigen. Sie hatten dabei eine kurze
Strecke zurückgelegt, als sie von der ihnen eiligst nachgesandten Reiterei des
Generals Burrows eingeholt und so lange aufgehalten wurden, bis Artillerie
eintraf, mit deren Hilfe sie zersprengt und die von ihnen entführten Geschütze
und Kriegsvorräthe wieder erobert wurden. Die Mehrzahl der Empörer aber
entkam zu Ajub, der zu dieser Zeit in Lar, zwei Tagemarsche vou Girischk, an¬
gelangt war.

Dieser Zuwachs von Streitkräften bewog Ajub und seine Rathgeber nicht
zu rascherem und zuversichtlicheren Vorgehen. Sie rückten im Gegentheil mit
größter Behutsamkeit vor und fühlten ihren Weg, wie die Berichte der englischen


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[0263] Als die Nachricht vom Anmärsche der Heratis nach Kandahar gelangte, wurde ihnen von dem hier befehligenden englischen General Primrose der Wali oder einheimische Gouverneur der Stadt mit 4000 Mann, lauter Afghanen, bis zum Helmand-Flusse entgegenschickt. Derselbe fand bald, daß seine Truppen unzuverlässig waren, und so sandte er, als die Entfernung zwischen ihm und Ajub Chan sich allmählich verringerte, nach Kandahar um Verstärkungen. Am 20. Juni, als Ajub die Stadt Farah erreicht hatte, beiläufig den fernsten Punkt im Westen, bis zu dem die Engländer 1879 vorgedrungen waren, gingen die erbetenen Verstärkungen unter General Burrows von Kandahar ab, und erst am 9. Juli traf er bei dem Wali ein, der sich zu dieser Zeit in der Stadt Girischk befand und bereits mit dem Vortrab Ajubs Scharmützel bestanden hatte. Letzterer war weit rascher marschirt als Burrows; denn Girischk ist von Kandahar nur halb so weit entfernt als Farah. Der Helmcmd wurde infolge des trocknen Wetters der letztvergangenen Wochen und der vielen Canäle, welche sein Wasser nach den benachbarten Gärten und Aeckern leiten, seicht und passir- bar gefunden. Burrows stellte im Norden und Süden, flußauf- und flu߬ abwärts in der Entfernung von 4 englischen Meilen von seiner Hauptposition zu Girischk Vorposten aus, und vom 10. bis 14. Juli nahm das vereinigte gegen Ajub ausgezogene Heer folgende Stellung ein. Der Wali mit seiner afghanischen Landwehr stand auf dem westlichen Ufer, Burrows mit einer Batterie reitender Artillerie, 6 Compagnien englischer und 2 Regimentern in¬ discher Infanterie, dem 3. Bombay Kavallerie-Regiment, 2 Schwadronen Reitern von Seirbe und einer Sappeur-Compagnie auf dein östlichen Ufer, wo Girischk liegt. Am 14. überzeugte sich der Oberst Se. John, der Burrows als „poli¬ tischer Offizier" begleitete, daß die Truppen des Wali zur Meuterei geneigt waren; so erhielten dieselben Befehl, sich sofort auf das andere Ufer zu Burrows zu begeben. Dies gab das Signal zu Widersetzlichkeiten, die von einem Reiter- Regiment aus Kabul ausgingen, und denen sich die Infanterie und Artillerie des Wali anschlössen. Die Meuterer schickten sich an, zu Ajubs Heer abzu- marschireu, um sich mit demselben zu vereinigen. Sie hatten dabei eine kurze Strecke zurückgelegt, als sie von der ihnen eiligst nachgesandten Reiterei des Generals Burrows eingeholt und so lange aufgehalten wurden, bis Artillerie eintraf, mit deren Hilfe sie zersprengt und die von ihnen entführten Geschütze und Kriegsvorräthe wieder erobert wurden. Die Mehrzahl der Empörer aber entkam zu Ajub, der zu dieser Zeit in Lar, zwei Tagemarsche vou Girischk, an¬ gelangt war. Dieser Zuwachs von Streitkräften bewog Ajub und seine Rathgeber nicht zu rascherem und zuversichtlicheren Vorgehen. Sie rückten im Gegentheil mit größter Behutsamkeit vor und fühlten ihren Weg, wie die Berichte der englischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/263>, abgerufen am 23.07.2024.