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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Gesichtspunkte aus betrachtet wird, das heißt vom Lehrer so gerückt wird, daß
der Schüler die wesentliche:: Unterschiede der beiden Sprachformen, der lateinischen
und deutschen, selber gewahrt, selber auffindet, ist wohl nichts allzu Neues.
Solch eine selbstgemachte Entdeckung wirkt ganz anders, als was der Knabe
Verstandes- und gedächtnißmäßig bloß so lernt; dies läßt ihn innerlich kalt und
theilnahmlos, weil es ihm von außen bloß gegeben wird, darum ihm innerlich
fremd bleibt, uicht im wahren Sinne sein Eigenthum wird, weil ers sich nicht
selber zu eigen gemacht hat. Sehr begreiflich das! Denn "daß er geistig zu¬
greifen lerne, dazu ist der werdende Mensch in der Schule, uicht dazu, daß
mau ihm den Geist voll stecke ohne sein eignes Zugreifen". Und wenn wir
nun auch feierlich auf den Wunsch verzichten, das hier nur angedeutete Verfahren
-- obwohl das natürlichste -- systematisch, durch Regulative gar unterstützt,
in die Schule eingeführt zu sehen - - dazu bedarf es anderer Vorbildung der
Lehrer, vor allem durch Vermittelung einer besseren Kenntniß der Mutter¬
sprache --, so ließe sich doch auch im Lateinunterrichte schon beiläufig vielfach
heilsame und erfreuende Anwendung von den Grundsatze machen, den Hildebrand
(im zweiten Capitel seiner Schrift) für den Deutschunterricht als einzig berechtigt
erwiesen hat: "der Lehrer sollte nichts lehren, was die Schüler
selbst aus sich finden können." Erst dieses Suchen und Selberfinden
macht dem Schüler den Aufenthalt in der Schule zur Lust, erst daun wirds
ihm da wohl und frei und frisch, nur solch ein freies Mitbewegen, Mitsuchen,
das rechte Mitdenke", vermag jene Starrheit des Wissensstoffes sozusagen in
Fluß umzusetzen." Es ist kein Zweifel, daß "nichts das rechte Lernen und die
Lust zum Lernen (und beim Lehrer die Lust zum Lehren) mehr befördert, als
dieses Selbstfindenlasseu der Schüler -- und in keinem Lehrfache ist das leichter
zu haben als im deutschen Unterrichte." Ein Beispiel, an dem dies von Hilde¬
brand deutlich gemacht wird -- ein Muster geistvoller Methodik --, darf hoffen,
wohl das Interesse des Lesers zu fesseln.

"Es kommt etwa beim Deelcuniren ein auffallendes Neutrum vor, wie bei
Gellert:


Der Küster und des Küsters Knabe,
Keins wollte mehr zum Morgenländer gehn.

Man fragt nach dem Neutrum: der Küster ist doch kein Kind, und Knabe ist
doch ein Masculinum, was soll denn da das Neutrum?----Herr Gellert
konnte doch auch noch uicht ganz gut deutsch .... ja damals waren die Schulen
noch nicht so gut .... wenn er heute wieder käme, am besten gleich zu uns,
.... (denke Niemand, daß dem Schüler der Scherz fade erscheine, wie etwa
dem freundlichen Leser, er befreit seine inneren Gedanken, die angestrengt sich
nach der Lösung des Räthsels umsehen, befreit sie unter Lächeln, indem 'er sie
aus der Schulklemme hinausführt zu freier Bewegung im arbeitenden Suchen.)"
"Sind nun freilich die Schüler uoch kalt, ich meine, haben sie die Geschichte
noch nicht frisch in sich aufgenommen und bis zu dem fraglichen Punkte mit
innerlich durchgelebt, so kommen wohl auch bei Klugen recht wunderliche Dinge
zu Tage, höchstens bringt etwa ein Begabter heraus, keiner hätte nicht in den
Vers'gepaßt. Sagt nnn dann der Lehrer die Regel von diesem Neutrum in
Form eines grammatischen Paragraphen und redet etwa noch etwas erläuternd
darum herum, so wird das wohl logisch verstanden von der Mehrzahl, aber
es bleibt ihnen fremd, kalt, gelehrt, nur Gedächtnißsache, und wenn es etwa
den anderen Tag nur vom Gedächtnisse wieder verlangt wird, so sucht der
Durchschnittsschüler, unter dem beklemmenden Bestreben so rasch als möglich


Gesichtspunkte aus betrachtet wird, das heißt vom Lehrer so gerückt wird, daß
der Schüler die wesentliche:: Unterschiede der beiden Sprachformen, der lateinischen
und deutschen, selber gewahrt, selber auffindet, ist wohl nichts allzu Neues.
Solch eine selbstgemachte Entdeckung wirkt ganz anders, als was der Knabe
Verstandes- und gedächtnißmäßig bloß so lernt; dies läßt ihn innerlich kalt und
theilnahmlos, weil es ihm von außen bloß gegeben wird, darum ihm innerlich
fremd bleibt, uicht im wahren Sinne sein Eigenthum wird, weil ers sich nicht
selber zu eigen gemacht hat. Sehr begreiflich das! Denn „daß er geistig zu¬
greifen lerne, dazu ist der werdende Mensch in der Schule, uicht dazu, daß
mau ihm den Geist voll stecke ohne sein eignes Zugreifen". Und wenn wir
nun auch feierlich auf den Wunsch verzichten, das hier nur angedeutete Verfahren
— obwohl das natürlichste — systematisch, durch Regulative gar unterstützt,
in die Schule eingeführt zu sehen - - dazu bedarf es anderer Vorbildung der
Lehrer, vor allem durch Vermittelung einer besseren Kenntniß der Mutter¬
sprache —, so ließe sich doch auch im Lateinunterrichte schon beiläufig vielfach
heilsame und erfreuende Anwendung von den Grundsatze machen, den Hildebrand
(im zweiten Capitel seiner Schrift) für den Deutschunterricht als einzig berechtigt
erwiesen hat: „der Lehrer sollte nichts lehren, was die Schüler
selbst aus sich finden können." Erst dieses Suchen und Selberfinden
macht dem Schüler den Aufenthalt in der Schule zur Lust, erst daun wirds
ihm da wohl und frei und frisch, nur solch ein freies Mitbewegen, Mitsuchen,
das rechte Mitdenke», vermag jene Starrheit des Wissensstoffes sozusagen in
Fluß umzusetzen." Es ist kein Zweifel, daß „nichts das rechte Lernen und die
Lust zum Lernen (und beim Lehrer die Lust zum Lehren) mehr befördert, als
dieses Selbstfindenlasseu der Schüler — und in keinem Lehrfache ist das leichter
zu haben als im deutschen Unterrichte." Ein Beispiel, an dem dies von Hilde¬
brand deutlich gemacht wird — ein Muster geistvoller Methodik —, darf hoffen,
wohl das Interesse des Lesers zu fesseln.

„Es kommt etwa beim Deelcuniren ein auffallendes Neutrum vor, wie bei
Gellert:


Der Küster und des Küsters Knabe,
Keins wollte mehr zum Morgenländer gehn.

Man fragt nach dem Neutrum: der Küster ist doch kein Kind, und Knabe ist
doch ein Masculinum, was soll denn da das Neutrum?----Herr Gellert
konnte doch auch noch uicht ganz gut deutsch .... ja damals waren die Schulen
noch nicht so gut .... wenn er heute wieder käme, am besten gleich zu uns,
.... (denke Niemand, daß dem Schüler der Scherz fade erscheine, wie etwa
dem freundlichen Leser, er befreit seine inneren Gedanken, die angestrengt sich
nach der Lösung des Räthsels umsehen, befreit sie unter Lächeln, indem 'er sie
aus der Schulklemme hinausführt zu freier Bewegung im arbeitenden Suchen.)"
„Sind nun freilich die Schüler uoch kalt, ich meine, haben sie die Geschichte
noch nicht frisch in sich aufgenommen und bis zu dem fraglichen Punkte mit
innerlich durchgelebt, so kommen wohl auch bei Klugen recht wunderliche Dinge
zu Tage, höchstens bringt etwa ein Begabter heraus, keiner hätte nicht in den
Vers'gepaßt. Sagt nnn dann der Lehrer die Regel von diesem Neutrum in
Form eines grammatischen Paragraphen und redet etwa noch etwas erläuternd
darum herum, so wird das wohl logisch verstanden von der Mehrzahl, aber
es bleibt ihnen fremd, kalt, gelehrt, nur Gedächtnißsache, und wenn es etwa
den anderen Tag nur vom Gedächtnisse wieder verlangt wird, so sucht der
Durchschnittsschüler, unter dem beklemmenden Bestreben so rasch als möglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/243>, abgerufen am 06.01.2025.