Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.hellen Sommerlandschaft auf die Association des Gedankens an die strotzende hellen Sommerlandschaft auf die Association des Gedankens an die strotzende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147334"/> <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632" next="#ID_634"> hellen Sommerlandschaft auf die Association des Gedankens an die strotzende<lb/> Fülle der sommerlichen Vegetation zurückzuführen. Wäre dies nothwendig, so<lb/> könnte eine Winterlandschaft nur einen traurigen oder beängstigenden Eindruck<lb/> machen, da das Leben in Bande geschlagen ist und alle Vegetation stockt. Es<lb/> verhält sich aber ganz anders. Nicht jene Reflexionen bedingen den Eindruck<lb/> der Landschaft, sondern ihre Formen, ihre Gestaltung selbst in ihrer Besonderheit<lb/> ohne Rückblick auf das Gewesene, ohne Vorblick auf des Kommende, nicht was<lb/> die Landschaft bedeutet, sondern was sie in ihrer Totalität wie in ihren Einzel¬<lb/> heiten ist. Jeder Baum, jede Blume darin wirkt auf uns ein und trägt ihren<lb/> Theil bei zu der träumerischen Stimmung, die der Naturgenuß erweckt; weit<lb/> entfernt davon über das, was wir sehen, zu reflectiren, werden wir vielleicht<lb/> mit unseren Gedanken in ganz heterogene Gebiete schweifen, während von der<lb/> Landschaft uur etwas wie die Beleuchtung als ein milder Reflex in unsere<lb/> Seele fällt. Trotzdem würden wir uns selbst belügen, wollten wir uns vor¬<lb/> reden, die Beschaffenheit der Landschaft wäre gleichgiltig für unsere Stimmung.<lb/> Lotze giebt in seiner „Geschichte der Aesthetik", in der Kritik von Herders „Kalli-<lb/> gone" eine feine Darstellung unseres Empfindens beim anschauenden Natur¬<lb/> genuß; er sagt: „Nicht nur in die Lebensgefühle dessen dringen wir ein, was<lb/> an Art und Wesen uns nahe steht, in den fröhlichen Flug des Vogels oder<lb/> die zierliche Beweglichkeit der Gazelle; wir ziehen nicht nur die Fühlfäden<lb/> unseres Geistes ans das kleinste zusammen, um das engbegrenzte Dasein eines<lb/> Muschelthieres mitzuträumeu und den einförmigen Genuß seiner Oeffnungen und<lb/> Schließungen; wir dehnen uns nicht nur anschwellend in die schlanken Formen<lb/> des Baumes aus, dessen feine Zweige die Lust anmuthigen Schwebens und<lb/> Beugens beseelt; mit einer ahnungsvollen Kraft der Deutung vielmehr, die alle<lb/> bestimmte Erinnerung an unsere eigene Gestaltung entbehren kann, vermögen<lb/> >in'r selbst die fremdesten Formen einer Curve, eines regelmäßigen Vielecks,<lb/> irgend einer systematischen Vertheilung von Punkten als eine Art der Organi¬<lb/> sation oder als einen Schauplatz aufzufassen, worin mit namenlosen Kräften<lb/> sich hin- und herzubewegen uns als ein nachftthlbares charakteristisches Glück<lb/> erscheint. Und so wirken denn alle nämlichen Gebilde auf uns, sofern sie Sym¬<lb/> bole eines von uns erlebbaren eigenthümlichen Wohls oder Wehes sind."<lb/> Dieser anschauende Genuß der Gestaltungen der Erscheinungswelt, welche ,in<lb/> der That in ganz ähnlicher Weise durch elementare Factoren zu Gegenbildern<lb/> unseres Ich werden, wie wir die elementaren Factoren in der Musik zu<lb/> Gleichnissen unseres Seelenlebens werden sahen, hat sein vollständiges Ana¬<lb/> logen im Genuß der musikalischen Kunstwerke. So gewiß der Gesang der<lb/> Vögel, das Säuseln des Windes, das Rauschen des Wasserfalles, das Klappern<lb/> der Mühle, das Stampfen des Kupferhammers uns in eine träumende sein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
hellen Sommerlandschaft auf die Association des Gedankens an die strotzende
Fülle der sommerlichen Vegetation zurückzuführen. Wäre dies nothwendig, so
könnte eine Winterlandschaft nur einen traurigen oder beängstigenden Eindruck
machen, da das Leben in Bande geschlagen ist und alle Vegetation stockt. Es
verhält sich aber ganz anders. Nicht jene Reflexionen bedingen den Eindruck
der Landschaft, sondern ihre Formen, ihre Gestaltung selbst in ihrer Besonderheit
ohne Rückblick auf das Gewesene, ohne Vorblick auf des Kommende, nicht was
die Landschaft bedeutet, sondern was sie in ihrer Totalität wie in ihren Einzel¬
heiten ist. Jeder Baum, jede Blume darin wirkt auf uns ein und trägt ihren
Theil bei zu der träumerischen Stimmung, die der Naturgenuß erweckt; weit
entfernt davon über das, was wir sehen, zu reflectiren, werden wir vielleicht
mit unseren Gedanken in ganz heterogene Gebiete schweifen, während von der
Landschaft uur etwas wie die Beleuchtung als ein milder Reflex in unsere
Seele fällt. Trotzdem würden wir uns selbst belügen, wollten wir uns vor¬
reden, die Beschaffenheit der Landschaft wäre gleichgiltig für unsere Stimmung.
Lotze giebt in seiner „Geschichte der Aesthetik", in der Kritik von Herders „Kalli-
gone" eine feine Darstellung unseres Empfindens beim anschauenden Natur¬
genuß; er sagt: „Nicht nur in die Lebensgefühle dessen dringen wir ein, was
an Art und Wesen uns nahe steht, in den fröhlichen Flug des Vogels oder
die zierliche Beweglichkeit der Gazelle; wir ziehen nicht nur die Fühlfäden
unseres Geistes ans das kleinste zusammen, um das engbegrenzte Dasein eines
Muschelthieres mitzuträumeu und den einförmigen Genuß seiner Oeffnungen und
Schließungen; wir dehnen uns nicht nur anschwellend in die schlanken Formen
des Baumes aus, dessen feine Zweige die Lust anmuthigen Schwebens und
Beugens beseelt; mit einer ahnungsvollen Kraft der Deutung vielmehr, die alle
bestimmte Erinnerung an unsere eigene Gestaltung entbehren kann, vermögen
>in'r selbst die fremdesten Formen einer Curve, eines regelmäßigen Vielecks,
irgend einer systematischen Vertheilung von Punkten als eine Art der Organi¬
sation oder als einen Schauplatz aufzufassen, worin mit namenlosen Kräften
sich hin- und herzubewegen uns als ein nachftthlbares charakteristisches Glück
erscheint. Und so wirken denn alle nämlichen Gebilde auf uns, sofern sie Sym¬
bole eines von uns erlebbaren eigenthümlichen Wohls oder Wehes sind."
Dieser anschauende Genuß der Gestaltungen der Erscheinungswelt, welche ,in
der That in ganz ähnlicher Weise durch elementare Factoren zu Gegenbildern
unseres Ich werden, wie wir die elementaren Factoren in der Musik zu
Gleichnissen unseres Seelenlebens werden sahen, hat sein vollständiges Ana¬
logen im Genuß der musikalischen Kunstwerke. So gewiß der Gesang der
Vögel, das Säuseln des Windes, das Rauschen des Wasserfalles, das Klappern
der Mühle, das Stampfen des Kupferhammers uns in eine träumende sein-
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