Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

König Antigonos Gonatas richtete, die Lehre Epikurs als eine die Jugend ver¬
weichlichende; Zeno's dritter Nachfolger aber, Diotimos, entblödete sich sogar,
unflüthige Briefe unter dem Namen Epikurs in Umlauf zu setzen. Wenn auch
das Urtheil des Antonius Bonciarius, eines Pariser Professors aus dem 16.
Jahrhundert, daß von allen alten Philosophen sich niemand mehr der Wahrheit
genähert habe als Epikur, sich niemand weiter von der Wahrheit entfernt habe,
als die Stoiker, allzu schroff sein mag, so haben doch folgende Worte, mit
denen Epikur seine Repetitionsstunde abschloß, volle Giltigkeit:

"Was wollen eigentlich diese Hallenphilosophen?" sagte er. "Sind wir
denn so weit von einander verschieden? Sie suchen die Tugend als das höchste
Gut und finden das Glück. Wir suchen das Glück, d. i. die Schmerzlosigkeit
und finden als einzig dahin führenden Weg die Tugend. Und wie steht es
mit der stoischen Apathie den Schmerzen gegenüber? Im einzelnen Falle zeigen
wir den gleichen Muth -- andererseits sind sie mit dem Selbstmordsrecept, das
sie sich wohlfeil von einer innern, wie sie sagen, göttlichen Stimme verschreiben
lassen, viel flinker bei der Hand als wir. Was ich aber an ihrer Philosophie
geradezu abscheulich finde, das ist, daß sie mit der rigoroser Verurtheilung jeder
inneren Regung, jedes Affects, auch dem Mitleid und der Versöhnlichkeit die
Thüre ihres Pflichtreiches weisen und so alle Menschenfreundlichkeit in sich
ersticken."

Während der Uebungsstunde in Epikurs Garten eilten jugendliche Sclaven,
die theils Epikur, theils seinen Schülern gehörten, und von denen einer das
Amt des Kellners (r^>"?rL^o7roto?) besorgte, im aufgeschürzten Chiton geschäftig
durch den Gartensaal der kleinen Villa, ordneten und sauberem, breiteten über
die Sophas die bunt durchwirkten Teppiche, legten die farbig gestreiften, runden
Kissen zurecht und zündeten auf den Candelabern die mit frischem Oele versehenen
Lampen an. Die Dämmerung war hereingebrochen. Auf eine Einladung Epiknrs
begab sich die Gesellschaft in die Villa. Sclaven lösten ihnen die Riemen der
Schuhe, andere brachten Becken herbei, in welche aus schön geformten Kannen über
die Füße der auf den Sophas sitzenden Wasser ausgegossen wurde. Hierauf stellten
die Sclaven eine große Anzahl niederer Tischchen auf, je einen für zwei auf
einem Sopha (x>Uol?) befindlichen Gäste. Die nun folgende Mahlzeit bestand aus
Wasser und dem hellenischen Nationalgericht ^"5", einem aus Gerstenmehl be¬
reiteten und in einer runden Form getrockneten Teig, von dem man je nach
der Flüssigkeit, mit welcher er angefeuchtet war, verschiedene Sorten unterschied;
einige hatten -- das Mahl war dem epikureischen Gebrauche zu Folge ein
Piknik -- auch Bohnen beischaffen lassen. Leontion saß -- die Frauen saßen
bei Tisch, während die Männer lagen -- neben Epikur, Themista, die Gattin
des Lampsakeners Leonteus, neben Metrodor, Philänis, eine Schriftstellerin aus


König Antigonos Gonatas richtete, die Lehre Epikurs als eine die Jugend ver¬
weichlichende; Zeno's dritter Nachfolger aber, Diotimos, entblödete sich sogar,
unflüthige Briefe unter dem Namen Epikurs in Umlauf zu setzen. Wenn auch
das Urtheil des Antonius Bonciarius, eines Pariser Professors aus dem 16.
Jahrhundert, daß von allen alten Philosophen sich niemand mehr der Wahrheit
genähert habe als Epikur, sich niemand weiter von der Wahrheit entfernt habe,
als die Stoiker, allzu schroff sein mag, so haben doch folgende Worte, mit
denen Epikur seine Repetitionsstunde abschloß, volle Giltigkeit:

„Was wollen eigentlich diese Hallenphilosophen?" sagte er. „Sind wir
denn so weit von einander verschieden? Sie suchen die Tugend als das höchste
Gut und finden das Glück. Wir suchen das Glück, d. i. die Schmerzlosigkeit
und finden als einzig dahin führenden Weg die Tugend. Und wie steht es
mit der stoischen Apathie den Schmerzen gegenüber? Im einzelnen Falle zeigen
wir den gleichen Muth — andererseits sind sie mit dem Selbstmordsrecept, das
sie sich wohlfeil von einer innern, wie sie sagen, göttlichen Stimme verschreiben
lassen, viel flinker bei der Hand als wir. Was ich aber an ihrer Philosophie
geradezu abscheulich finde, das ist, daß sie mit der rigoroser Verurtheilung jeder
inneren Regung, jedes Affects, auch dem Mitleid und der Versöhnlichkeit die
Thüre ihres Pflichtreiches weisen und so alle Menschenfreundlichkeit in sich
ersticken."

Während der Uebungsstunde in Epikurs Garten eilten jugendliche Sclaven,
die theils Epikur, theils seinen Schülern gehörten, und von denen einer das
Amt des Kellners (r^>«?rL^o7roto?) besorgte, im aufgeschürzten Chiton geschäftig
durch den Gartensaal der kleinen Villa, ordneten und sauberem, breiteten über
die Sophas die bunt durchwirkten Teppiche, legten die farbig gestreiften, runden
Kissen zurecht und zündeten auf den Candelabern die mit frischem Oele versehenen
Lampen an. Die Dämmerung war hereingebrochen. Auf eine Einladung Epiknrs
begab sich die Gesellschaft in die Villa. Sclaven lösten ihnen die Riemen der
Schuhe, andere brachten Becken herbei, in welche aus schön geformten Kannen über
die Füße der auf den Sophas sitzenden Wasser ausgegossen wurde. Hierauf stellten
die Sclaven eine große Anzahl niederer Tischchen auf, je einen für zwei auf
einem Sopha (x>Uol?) befindlichen Gäste. Die nun folgende Mahlzeit bestand aus
Wasser und dem hellenischen Nationalgericht ^«5«, einem aus Gerstenmehl be¬
reiteten und in einer runden Form getrockneten Teig, von dem man je nach
der Flüssigkeit, mit welcher er angefeuchtet war, verschiedene Sorten unterschied;
einige hatten — das Mahl war dem epikureischen Gebrauche zu Folge ein
Piknik — auch Bohnen beischaffen lassen. Leontion saß — die Frauen saßen
bei Tisch, während die Männer lagen — neben Epikur, Themista, die Gattin
des Lampsakeners Leonteus, neben Metrodor, Philänis, eine Schriftstellerin aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147111"/>
            <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> König Antigonos Gonatas richtete, die Lehre Epikurs als eine die Jugend ver¬<lb/>
weichlichende; Zeno's dritter Nachfolger aber, Diotimos, entblödete sich sogar,<lb/>
unflüthige Briefe unter dem Namen Epikurs in Umlauf zu setzen. Wenn auch<lb/>
das Urtheil des Antonius Bonciarius, eines Pariser Professors aus dem 16.<lb/>
Jahrhundert, daß von allen alten Philosophen sich niemand mehr der Wahrheit<lb/>
genähert habe als Epikur, sich niemand weiter von der Wahrheit entfernt habe,<lb/>
als die Stoiker, allzu schroff sein mag, so haben doch folgende Worte, mit<lb/>
denen Epikur seine Repetitionsstunde abschloß, volle Giltigkeit:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_52"> &#x201E;Was wollen eigentlich diese Hallenphilosophen?" sagte er. &#x201E;Sind wir<lb/>
denn so weit von einander verschieden? Sie suchen die Tugend als das höchste<lb/>
Gut und finden das Glück. Wir suchen das Glück, d. i. die Schmerzlosigkeit<lb/>
und finden als einzig dahin führenden Weg die Tugend. Und wie steht es<lb/>
mit der stoischen Apathie den Schmerzen gegenüber? Im einzelnen Falle zeigen<lb/>
wir den gleichen Muth &#x2014; andererseits sind sie mit dem Selbstmordsrecept, das<lb/>
sie sich wohlfeil von einer innern, wie sie sagen, göttlichen Stimme verschreiben<lb/>
lassen, viel flinker bei der Hand als wir. Was ich aber an ihrer Philosophie<lb/>
geradezu abscheulich finde, das ist, daß sie mit der rigoroser Verurtheilung jeder<lb/>
inneren Regung, jedes Affects, auch dem Mitleid und der Versöhnlichkeit die<lb/>
Thüre ihres Pflichtreiches weisen und so alle Menschenfreundlichkeit in sich<lb/>
ersticken."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_53" next="#ID_54"> Während der Uebungsstunde in Epikurs Garten eilten jugendliche Sclaven,<lb/>
die theils Epikur, theils seinen Schülern gehörten, und von denen einer das<lb/>
Amt des Kellners (r^&gt;«?rL^o7roto?) besorgte, im aufgeschürzten Chiton geschäftig<lb/>
durch den Gartensaal der kleinen Villa, ordneten und sauberem, breiteten über<lb/>
die Sophas die bunt durchwirkten Teppiche, legten die farbig gestreiften, runden<lb/>
Kissen zurecht und zündeten auf den Candelabern die mit frischem Oele versehenen<lb/>
Lampen an. Die Dämmerung war hereingebrochen. Auf eine Einladung Epiknrs<lb/>
begab sich die Gesellschaft in die Villa. Sclaven lösten ihnen die Riemen der<lb/>
Schuhe, andere brachten Becken herbei, in welche aus schön geformten Kannen über<lb/>
die Füße der auf den Sophas sitzenden Wasser ausgegossen wurde. Hierauf stellten<lb/>
die Sclaven eine große Anzahl niederer Tischchen auf, je einen für zwei auf<lb/>
einem Sopha (x&gt;Uol?) befindlichen Gäste. Die nun folgende Mahlzeit bestand aus<lb/>
Wasser und dem hellenischen Nationalgericht ^«5«, einem aus Gerstenmehl be¬<lb/>
reiteten und in einer runden Form getrockneten Teig, von dem man je nach<lb/>
der Flüssigkeit, mit welcher er angefeuchtet war, verschiedene Sorten unterschied;<lb/>
einige hatten &#x2014; das Mahl war dem epikureischen Gebrauche zu Folge ein<lb/>
Piknik &#x2014; auch Bohnen beischaffen lassen. Leontion saß &#x2014; die Frauen saßen<lb/>
bei Tisch, während die Männer lagen &#x2014; neben Epikur, Themista, die Gattin<lb/>
des Lampsakeners Leonteus, neben Metrodor, Philänis, eine Schriftstellerin aus</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] König Antigonos Gonatas richtete, die Lehre Epikurs als eine die Jugend ver¬ weichlichende; Zeno's dritter Nachfolger aber, Diotimos, entblödete sich sogar, unflüthige Briefe unter dem Namen Epikurs in Umlauf zu setzen. Wenn auch das Urtheil des Antonius Bonciarius, eines Pariser Professors aus dem 16. Jahrhundert, daß von allen alten Philosophen sich niemand mehr der Wahrheit genähert habe als Epikur, sich niemand weiter von der Wahrheit entfernt habe, als die Stoiker, allzu schroff sein mag, so haben doch folgende Worte, mit denen Epikur seine Repetitionsstunde abschloß, volle Giltigkeit: „Was wollen eigentlich diese Hallenphilosophen?" sagte er. „Sind wir denn so weit von einander verschieden? Sie suchen die Tugend als das höchste Gut und finden das Glück. Wir suchen das Glück, d. i. die Schmerzlosigkeit und finden als einzig dahin führenden Weg die Tugend. Und wie steht es mit der stoischen Apathie den Schmerzen gegenüber? Im einzelnen Falle zeigen wir den gleichen Muth — andererseits sind sie mit dem Selbstmordsrecept, das sie sich wohlfeil von einer innern, wie sie sagen, göttlichen Stimme verschreiben lassen, viel flinker bei der Hand als wir. Was ich aber an ihrer Philosophie geradezu abscheulich finde, das ist, daß sie mit der rigoroser Verurtheilung jeder inneren Regung, jedes Affects, auch dem Mitleid und der Versöhnlichkeit die Thüre ihres Pflichtreiches weisen und so alle Menschenfreundlichkeit in sich ersticken." Während der Uebungsstunde in Epikurs Garten eilten jugendliche Sclaven, die theils Epikur, theils seinen Schülern gehörten, und von denen einer das Amt des Kellners (r^>«?rL^o7roto?) besorgte, im aufgeschürzten Chiton geschäftig durch den Gartensaal der kleinen Villa, ordneten und sauberem, breiteten über die Sophas die bunt durchwirkten Teppiche, legten die farbig gestreiften, runden Kissen zurecht und zündeten auf den Candelabern die mit frischem Oele versehenen Lampen an. Die Dämmerung war hereingebrochen. Auf eine Einladung Epiknrs begab sich die Gesellschaft in die Villa. Sclaven lösten ihnen die Riemen der Schuhe, andere brachten Becken herbei, in welche aus schön geformten Kannen über die Füße der auf den Sophas sitzenden Wasser ausgegossen wurde. Hierauf stellten die Sclaven eine große Anzahl niederer Tischchen auf, je einen für zwei auf einem Sopha (x>Uol?) befindlichen Gäste. Die nun folgende Mahlzeit bestand aus Wasser und dem hellenischen Nationalgericht ^«5«, einem aus Gerstenmehl be¬ reiteten und in einer runden Form getrockneten Teig, von dem man je nach der Flüssigkeit, mit welcher er angefeuchtet war, verschiedene Sorten unterschied; einige hatten — das Mahl war dem epikureischen Gebrauche zu Folge ein Piknik — auch Bohnen beischaffen lassen. Leontion saß — die Frauen saßen bei Tisch, während die Männer lagen — neben Epikur, Themista, die Gattin des Lampsakeners Leonteus, neben Metrodor, Philänis, eine Schriftstellerin aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/24>, abgerufen am 23.07.2024.