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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Bevölkerungszunahme erfordert Vermehrung der Bodenproducte, nicht aber Be¬
einträchtigung derselben! Heute leben in Deutschland auf einem Quadrat¬
kilometer 80 Menschen, und es werden auf 1000 Personen durchschnittlich im
Jahre 12 Personen mehr geboren als sterben. Nach diesen Verhältnißzahlen
müßten in 150 Jahren schon 400 Menschen auf einem Quadratkilometer
deutscheu Landes leben können! Nun zahlen wir aber heute schou für pflanz¬
liche und thierische Nahrungsmittel nach Abzug unseres Exportes 315 Millionen
Mark jährlich. In 150 Jahren würde 1'/2 Milliarde jährlich kaum reichen.
Wer vermag das für möglich zu halten!

Die Triebkraft des Wassers! Wird sie für unsere Maschinen-Anlagen
nach Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! Mit wenigen rühmlichen
Ausnahmen läßt man das Wasser unbenutzt niederstießen: die Wasserkraft wird
verdrängt durch die Dampfkraft. So segensreich die Erfindung der Dampf¬
maschine auf die Culturentwicklung gewirkt hat und so sehr anerkannt werden
muß, daß mit ihr eine neue Aera der Technik begonnen hat, so war sie es doch,
welche den Werth und die hohe Bedeutung der Wasserkraft in sehr nachtheiliger
Weise aus der Erkenntniß der Menschheit namentlich in Deutschland verdrängt
hat. Statt die Wasser- (und Wind-) Maschinen den Fortschritten der Technik ent¬
sprechend zu verbessern und sie den modernen Bedürfnissen anzupassen, ersetzte
man sie oft selbst da durch die Dampfmaschine, wo die Localverhültnisse davon
entschieden Miethen. Wo eine Wasserkraft, wenn auch durch Mühe und Nach¬
denken, hätte nutzbar gemacht werden können, verschwendete man oft genug
theuere Brennmaterialien, um sich Dampfkraft zu schaffen. Die Schuld daran
aber tragen, wenn man gerecht sein will, eigentlich weniger die Maschinen-
Ingenieure als die Wasserbau-Ingenieure, denn diese haben die schwankenden
Fluthverhältnisse der Wasserläufe geschaffen, auf deren wandelbare und unsichere
Triebkraft jene ihre Maschinen weder berechnen und construiren wollten noch
konnten. In wie intensiver Weise die Triebkraft des Wassers ausgenutzt werden
kann, zeigt die Schweiz. Ihre statistischen Tabellen vom Jahre 1875 weisen
die Benutzung von 50000 Pferdekräften nach, welche dnrch Wasserräder, Turbinen
und Wassersäulen-Maschinen die verschiedenartigsten industriellen Arbeiten leisten
und der Dampfkraft nur ein sehr eng begrenztes Arbeitsgebiet übrig lassen.
Das Gefälle der Limat trieb im Jahre 1874 schon 69 Wasserinotoren für
Kleinbetrieb, und bis zum Jahre 1877 ist die Auzahl derselben auf 120 gestiegen.
Die Thätigkeit, welche man in Deutschland nach dieser Richtung hin entwickelt
hat, ist höchst unbedeutend. Allseitige, mit organisatorischem und technischem
Talent durchdachte Anlagen bestehen unseres Wissens nnr zwei, und zwar in
den Bergrevieren von Klausthal am Oberharz und zu Freiberg in Sachsen in
Form von zahlreichen Sammelteichen, welche durch Abflußgräben, Gerinne


Grenzboten III. 1380. 20

Bevölkerungszunahme erfordert Vermehrung der Bodenproducte, nicht aber Be¬
einträchtigung derselben! Heute leben in Deutschland auf einem Quadrat¬
kilometer 80 Menschen, und es werden auf 1000 Personen durchschnittlich im
Jahre 12 Personen mehr geboren als sterben. Nach diesen Verhältnißzahlen
müßten in 150 Jahren schon 400 Menschen auf einem Quadratkilometer
deutscheu Landes leben können! Nun zahlen wir aber heute schou für pflanz¬
liche und thierische Nahrungsmittel nach Abzug unseres Exportes 315 Millionen
Mark jährlich. In 150 Jahren würde 1'/2 Milliarde jährlich kaum reichen.
Wer vermag das für möglich zu halten!

Die Triebkraft des Wassers! Wird sie für unsere Maschinen-Anlagen
nach Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! Mit wenigen rühmlichen
Ausnahmen läßt man das Wasser unbenutzt niederstießen: die Wasserkraft wird
verdrängt durch die Dampfkraft. So segensreich die Erfindung der Dampf¬
maschine auf die Culturentwicklung gewirkt hat und so sehr anerkannt werden
muß, daß mit ihr eine neue Aera der Technik begonnen hat, so war sie es doch,
welche den Werth und die hohe Bedeutung der Wasserkraft in sehr nachtheiliger
Weise aus der Erkenntniß der Menschheit namentlich in Deutschland verdrängt
hat. Statt die Wasser- (und Wind-) Maschinen den Fortschritten der Technik ent¬
sprechend zu verbessern und sie den modernen Bedürfnissen anzupassen, ersetzte
man sie oft selbst da durch die Dampfmaschine, wo die Localverhültnisse davon
entschieden Miethen. Wo eine Wasserkraft, wenn auch durch Mühe und Nach¬
denken, hätte nutzbar gemacht werden können, verschwendete man oft genug
theuere Brennmaterialien, um sich Dampfkraft zu schaffen. Die Schuld daran
aber tragen, wenn man gerecht sein will, eigentlich weniger die Maschinen-
Ingenieure als die Wasserbau-Ingenieure, denn diese haben die schwankenden
Fluthverhältnisse der Wasserläufe geschaffen, auf deren wandelbare und unsichere
Triebkraft jene ihre Maschinen weder berechnen und construiren wollten noch
konnten. In wie intensiver Weise die Triebkraft des Wassers ausgenutzt werden
kann, zeigt die Schweiz. Ihre statistischen Tabellen vom Jahre 1875 weisen
die Benutzung von 50000 Pferdekräften nach, welche dnrch Wasserräder, Turbinen
und Wassersäulen-Maschinen die verschiedenartigsten industriellen Arbeiten leisten
und der Dampfkraft nur ein sehr eng begrenztes Arbeitsgebiet übrig lassen.
Das Gefälle der Limat trieb im Jahre 1874 schon 69 Wasserinotoren für
Kleinbetrieb, und bis zum Jahre 1877 ist die Auzahl derselben auf 120 gestiegen.
Die Thätigkeit, welche man in Deutschland nach dieser Richtung hin entwickelt
hat, ist höchst unbedeutend. Allseitige, mit organisatorischem und technischem
Talent durchdachte Anlagen bestehen unseres Wissens nnr zwei, und zwar in
den Bergrevieren von Klausthal am Oberharz und zu Freiberg in Sachsen in
Form von zahlreichen Sammelteichen, welche durch Abflußgräben, Gerinne


Grenzboten III. 1380. 20
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[0161] Bevölkerungszunahme erfordert Vermehrung der Bodenproducte, nicht aber Be¬ einträchtigung derselben! Heute leben in Deutschland auf einem Quadrat¬ kilometer 80 Menschen, und es werden auf 1000 Personen durchschnittlich im Jahre 12 Personen mehr geboren als sterben. Nach diesen Verhältnißzahlen müßten in 150 Jahren schon 400 Menschen auf einem Quadratkilometer deutscheu Landes leben können! Nun zahlen wir aber heute schou für pflanz¬ liche und thierische Nahrungsmittel nach Abzug unseres Exportes 315 Millionen Mark jährlich. In 150 Jahren würde 1'/2 Milliarde jährlich kaum reichen. Wer vermag das für möglich zu halten! Die Triebkraft des Wassers! Wird sie für unsere Maschinen-Anlagen nach Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! Mit wenigen rühmlichen Ausnahmen läßt man das Wasser unbenutzt niederstießen: die Wasserkraft wird verdrängt durch die Dampfkraft. So segensreich die Erfindung der Dampf¬ maschine auf die Culturentwicklung gewirkt hat und so sehr anerkannt werden muß, daß mit ihr eine neue Aera der Technik begonnen hat, so war sie es doch, welche den Werth und die hohe Bedeutung der Wasserkraft in sehr nachtheiliger Weise aus der Erkenntniß der Menschheit namentlich in Deutschland verdrängt hat. Statt die Wasser- (und Wind-) Maschinen den Fortschritten der Technik ent¬ sprechend zu verbessern und sie den modernen Bedürfnissen anzupassen, ersetzte man sie oft selbst da durch die Dampfmaschine, wo die Localverhültnisse davon entschieden Miethen. Wo eine Wasserkraft, wenn auch durch Mühe und Nach¬ denken, hätte nutzbar gemacht werden können, verschwendete man oft genug theuere Brennmaterialien, um sich Dampfkraft zu schaffen. Die Schuld daran aber tragen, wenn man gerecht sein will, eigentlich weniger die Maschinen- Ingenieure als die Wasserbau-Ingenieure, denn diese haben die schwankenden Fluthverhältnisse der Wasserläufe geschaffen, auf deren wandelbare und unsichere Triebkraft jene ihre Maschinen weder berechnen und construiren wollten noch konnten. In wie intensiver Weise die Triebkraft des Wassers ausgenutzt werden kann, zeigt die Schweiz. Ihre statistischen Tabellen vom Jahre 1875 weisen die Benutzung von 50000 Pferdekräften nach, welche dnrch Wasserräder, Turbinen und Wassersäulen-Maschinen die verschiedenartigsten industriellen Arbeiten leisten und der Dampfkraft nur ein sehr eng begrenztes Arbeitsgebiet übrig lassen. Das Gefälle der Limat trieb im Jahre 1874 schon 69 Wasserinotoren für Kleinbetrieb, und bis zum Jahre 1877 ist die Auzahl derselben auf 120 gestiegen. Die Thätigkeit, welche man in Deutschland nach dieser Richtung hin entwickelt hat, ist höchst unbedeutend. Allseitige, mit organisatorischem und technischem Talent durchdachte Anlagen bestehen unseres Wissens nnr zwei, und zwar in den Bergrevieren von Klausthal am Oberharz und zu Freiberg in Sachsen in Form von zahlreichen Sammelteichen, welche durch Abflußgräben, Gerinne Grenzboten III. 1380. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/161>, abgerufen am 23.07.2024.