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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sehen Kriegsschiffen die Durchfahrt aus dem Schwarzen Meere nach dem Mittel¬
ländischen zu gestatten, um sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit China
eine Blockade der Häfen und Küsten dieses Landes zu ermöglichen. So würde
der Krieg zwischen den beiden großen asiatischen Mächten nicht bloß an der
4000 Meilen langen Landgrenze Chinas aufflammen oder vielmehr flackern und
glimmen, sondern sich auch über die Seegrenze ausbreiten und so den Handel
der Welt stören. Es fragt sich, ob die russische Flotte stark genug sein wird,
die "effective Blockade" aufrecht zu erhalten, welche durch den Zusatz zum Pariser
Friedensvertrag von 1856 für nothwendig erklärt worden ist. Gegen diese An¬
nahme sprechen erstens die Schwierigkeit, die sie haben wird, sich im Stillen
und Gelben Meere die erforderlichen Kohlen zu verschaffen, und sodann die
ungeheuere Meuge englischer, deutscher und chinesischer Schiffe aller Größen,
die versuchen werden, jedes Verkehrshinderniß zu durchbrechen. Andererseits
kommt Rußland der Umstand zu gute, daß unser Handel mit China sich auf
wenige Häfen beschränkt, und daß die chinesischen Behörden selbst sich einer
Suspension des Verkehrs nicht nur unterwerfen, sondern sie willkommen heißen
könnten. Der Waarentausch, der jetzt stattfindet, ist ihnen durch mehrere auf¬
einander folgende Kriege gewaltsam aufgenöthigt worden, und sie könnten die
Entschuldigung mit, einem weiteren Kriege benutzen, um ihren geschäftlichen
Beziehungen zu den Ausländischen Barbaren^ ein Ende zu machen."

"Es ist für englische Staatsmänner eine sehr schwierige Frage, um die sichs
hier handelt. Auf der einen Seite stehen unsere eigenen allgemeinen Interessen
als Seemacht. Das Recht, die Häfen des Feindes zu blockiren, ist eine der
mächtigsten Waffen, die ein zu Wasser Kriegführender schwingen kann, und wir
Engländer, die wir keine starken Armeen besitzen, haben ein ganz besonderes
Interesse daran, dieses Recht ungeschwächt und unverkürzt erhalten zu sehen.
Zu gleicher Zeit aber zwingen uns die ausgedehnten englischen Interessen, die
in den Handel mit China verflochten sind, genau zu untersuchen, was ein neuer,
auf ein anerkanntes Recht gegründeter Anspruch praktisch bedeutet. Unser indi¬
sches Reich zieht jährlich neun Millionen Pfund Sterling aus der Abgabe vom
Opium-Gewinn oder aus dem Verkaufe dieses Genußmittels an die Chinesen,
und diese Einnahme würde bei einer effectiven Blockade sofort wegfallen. Unsere
Einfuhr uach und unsere Ausfuhr von China beträgt ferner im Jahre ungefähr
fünfzig Millionen Pfund Sterling, und dieser ganze englische und indische Handel
würde durch eine erfolgreiche Sperre der chinesischen Hafenplätze in die Gefahr
kommen, vernichtet zu werden. Von jenen Häfen find 22 durch die Vertrüge
für offen erklärt worden, aber fast der gesammte Verkehr zwischen China und
dem Westen bewegt sich zwischen letzterem und drei oder vier Hauptpunkten,
d. h. Schanghai, Kanton und Fuchow. Eine russische Blockade würde daher


sehen Kriegsschiffen die Durchfahrt aus dem Schwarzen Meere nach dem Mittel¬
ländischen zu gestatten, um sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit China
eine Blockade der Häfen und Küsten dieses Landes zu ermöglichen. So würde
der Krieg zwischen den beiden großen asiatischen Mächten nicht bloß an der
4000 Meilen langen Landgrenze Chinas aufflammen oder vielmehr flackern und
glimmen, sondern sich auch über die Seegrenze ausbreiten und so den Handel
der Welt stören. Es fragt sich, ob die russische Flotte stark genug sein wird,
die „effective Blockade" aufrecht zu erhalten, welche durch den Zusatz zum Pariser
Friedensvertrag von 1856 für nothwendig erklärt worden ist. Gegen diese An¬
nahme sprechen erstens die Schwierigkeit, die sie haben wird, sich im Stillen
und Gelben Meere die erforderlichen Kohlen zu verschaffen, und sodann die
ungeheuere Meuge englischer, deutscher und chinesischer Schiffe aller Größen,
die versuchen werden, jedes Verkehrshinderniß zu durchbrechen. Andererseits
kommt Rußland der Umstand zu gute, daß unser Handel mit China sich auf
wenige Häfen beschränkt, und daß die chinesischen Behörden selbst sich einer
Suspension des Verkehrs nicht nur unterwerfen, sondern sie willkommen heißen
könnten. Der Waarentausch, der jetzt stattfindet, ist ihnen durch mehrere auf¬
einander folgende Kriege gewaltsam aufgenöthigt worden, und sie könnten die
Entschuldigung mit, einem weiteren Kriege benutzen, um ihren geschäftlichen
Beziehungen zu den Ausländischen Barbaren^ ein Ende zu machen."

„Es ist für englische Staatsmänner eine sehr schwierige Frage, um die sichs
hier handelt. Auf der einen Seite stehen unsere eigenen allgemeinen Interessen
als Seemacht. Das Recht, die Häfen des Feindes zu blockiren, ist eine der
mächtigsten Waffen, die ein zu Wasser Kriegführender schwingen kann, und wir
Engländer, die wir keine starken Armeen besitzen, haben ein ganz besonderes
Interesse daran, dieses Recht ungeschwächt und unverkürzt erhalten zu sehen.
Zu gleicher Zeit aber zwingen uns die ausgedehnten englischen Interessen, die
in den Handel mit China verflochten sind, genau zu untersuchen, was ein neuer,
auf ein anerkanntes Recht gegründeter Anspruch praktisch bedeutet. Unser indi¬
sches Reich zieht jährlich neun Millionen Pfund Sterling aus der Abgabe vom
Opium-Gewinn oder aus dem Verkaufe dieses Genußmittels an die Chinesen,
und diese Einnahme würde bei einer effectiven Blockade sofort wegfallen. Unsere
Einfuhr uach und unsere Ausfuhr von China beträgt ferner im Jahre ungefähr
fünfzig Millionen Pfund Sterling, und dieser ganze englische und indische Handel
würde durch eine erfolgreiche Sperre der chinesischen Hafenplätze in die Gefahr
kommen, vernichtet zu werden. Von jenen Häfen find 22 durch die Vertrüge
für offen erklärt worden, aber fast der gesammte Verkehr zwischen China und
dem Westen bewegt sich zwischen letzterem und drei oder vier Hauptpunkten,
d. h. Schanghai, Kanton und Fuchow. Eine russische Blockade würde daher


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[0146] sehen Kriegsschiffen die Durchfahrt aus dem Schwarzen Meere nach dem Mittel¬ ländischen zu gestatten, um sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit China eine Blockade der Häfen und Küsten dieses Landes zu ermöglichen. So würde der Krieg zwischen den beiden großen asiatischen Mächten nicht bloß an der 4000 Meilen langen Landgrenze Chinas aufflammen oder vielmehr flackern und glimmen, sondern sich auch über die Seegrenze ausbreiten und so den Handel der Welt stören. Es fragt sich, ob die russische Flotte stark genug sein wird, die „effective Blockade" aufrecht zu erhalten, welche durch den Zusatz zum Pariser Friedensvertrag von 1856 für nothwendig erklärt worden ist. Gegen diese An¬ nahme sprechen erstens die Schwierigkeit, die sie haben wird, sich im Stillen und Gelben Meere die erforderlichen Kohlen zu verschaffen, und sodann die ungeheuere Meuge englischer, deutscher und chinesischer Schiffe aller Größen, die versuchen werden, jedes Verkehrshinderniß zu durchbrechen. Andererseits kommt Rußland der Umstand zu gute, daß unser Handel mit China sich auf wenige Häfen beschränkt, und daß die chinesischen Behörden selbst sich einer Suspension des Verkehrs nicht nur unterwerfen, sondern sie willkommen heißen könnten. Der Waarentausch, der jetzt stattfindet, ist ihnen durch mehrere auf¬ einander folgende Kriege gewaltsam aufgenöthigt worden, und sie könnten die Entschuldigung mit, einem weiteren Kriege benutzen, um ihren geschäftlichen Beziehungen zu den Ausländischen Barbaren^ ein Ende zu machen." „Es ist für englische Staatsmänner eine sehr schwierige Frage, um die sichs hier handelt. Auf der einen Seite stehen unsere eigenen allgemeinen Interessen als Seemacht. Das Recht, die Häfen des Feindes zu blockiren, ist eine der mächtigsten Waffen, die ein zu Wasser Kriegführender schwingen kann, und wir Engländer, die wir keine starken Armeen besitzen, haben ein ganz besonderes Interesse daran, dieses Recht ungeschwächt und unverkürzt erhalten zu sehen. Zu gleicher Zeit aber zwingen uns die ausgedehnten englischen Interessen, die in den Handel mit China verflochten sind, genau zu untersuchen, was ein neuer, auf ein anerkanntes Recht gegründeter Anspruch praktisch bedeutet. Unser indi¬ sches Reich zieht jährlich neun Millionen Pfund Sterling aus der Abgabe vom Opium-Gewinn oder aus dem Verkaufe dieses Genußmittels an die Chinesen, und diese Einnahme würde bei einer effectiven Blockade sofort wegfallen. Unsere Einfuhr uach und unsere Ausfuhr von China beträgt ferner im Jahre ungefähr fünfzig Millionen Pfund Sterling, und dieser ganze englische und indische Handel würde durch eine erfolgreiche Sperre der chinesischen Hafenplätze in die Gefahr kommen, vernichtet zu werden. Von jenen Häfen find 22 durch die Vertrüge für offen erklärt worden, aber fast der gesammte Verkehr zwischen China und dem Westen bewegt sich zwischen letzterem und drei oder vier Hauptpunkten, d. h. Schanghai, Kanton und Fuchow. Eine russische Blockade würde daher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/146>, abgerufen am 23.07.2024.