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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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kam, daß die Miriditen sich gegen die Pforte erhoben, während die musel-
männischen Mcilisori gegen die Serben gemeinschaftliche Sache machten und die
Hotel eine bewaffnete Neutralität gegen die Montenegriner beobachteten, Andere
aber sich völlig gleichgiltig verhielten.

In der Ebene, wo die Albanesen der Pforte unterworfen sind, existirt diese
Volksregierung nicht; die hier wohnenden Christen haben den Stolz ihrer Vor¬
fahren verloren, während die Muhammedaner, namentlich in den Städten,
gegen die katholischen und orthodoxen Landsleute weniger duldsam verfahren
als ihre in den Bergen hausenden Glaubensgenossen gegen ihre christlichen
Nachbarn. Auch die Sittenstrenge, die Gastfreundschaft und der feste Zusam¬
menhalt der Claus haben sich im Flachlande weniger erhalten als unter den
Malisori.

Für eine höhere Bildung ist in Hochalbanien wenig gethan, namentlich
unter den Muhcunmedanern. Eine albanesische Literatur giebt es nicht. Was
man so nennen könnte, besteht in einigen Sammlungen von Volksliedern, einigen
von der Propaganda in Rom ausgegangenen Uebersetzungen katholischer Gebetbücher
und Erbauungsschriften und einigen Büchern für die Elementarschulen in Skutari.
Im Süden haben die Griechen zahlreiche Schulen errichtet, die gut benutzt werden,
aber nicht in albanesischer, sondern in griechischer Sprache unterrichten; die
letztere wird auch beim Gottesdienst allein gebraucht. Die Folge ist, daß die
Bevölkerung dieser Landschaften, besonders in den Städten, stark hellenisirt ist.

Albanien besitzt alle Voraussetzungen zu einer gedeihlichen materiellen Ent¬
wicklung. Es könnte recht wohl eine Bevölkerung ernähren, die dreimal so
stark als seine jetzige wäre. Der Boden der Thäler und Ebenen ist außerordent¬
lich fruchtbar, und die Berge sind mit Wäldern bedeckt, welche vortreffliches
Bauholz liefern. Aber von einer ruhigen und geschickten Ausbeutung dieser
Naturschätze ist, wie Becker zeigt, nicht die Rede, und so zieht der Albanese aus
den ihm gebotenen Reichthümern des Bodens nur wenig Vortheil. "Der größte
Theil des zum Ackerbau geeigneten Landes," sagt unser Gewährsmann, "liegt
brach oder hat sich in ungesunde Sümpfe verwandelt, deren Dünste die An¬
wohner decimiren, da die Wassexläufe nicht regulirt sind. Die Drina hat ihr
altes Bett verlassen, um sich in die Bojana zu ergießen, die dem Skutari-See
als Abzugskanal dient, und die Folge ist, daß ein Theil der Stadt Skutari
mit Einschluß des Bazars sieben Monate im Jahre unter Wasser steht. Eine
Ausgabe von höchstens einer Million Franken würde nicht bloß der Stadt Ab¬
hilfe von diesem Uebelstande schaffen, sondern auch eine große Landstände gesund
und zur Bestellung mit Getreide geeignet machen, aber die türkische Verwaltung
hat in ihrer Trägheit und Unwissenheit für dergleichen Unternehmungen keinen
Sinn, und so geschieht nichts der Art. Die Albanesen tragen die Schuld nicht,


kam, daß die Miriditen sich gegen die Pforte erhoben, während die musel-
männischen Mcilisori gegen die Serben gemeinschaftliche Sache machten und die
Hotel eine bewaffnete Neutralität gegen die Montenegriner beobachteten, Andere
aber sich völlig gleichgiltig verhielten.

In der Ebene, wo die Albanesen der Pforte unterworfen sind, existirt diese
Volksregierung nicht; die hier wohnenden Christen haben den Stolz ihrer Vor¬
fahren verloren, während die Muhammedaner, namentlich in den Städten,
gegen die katholischen und orthodoxen Landsleute weniger duldsam verfahren
als ihre in den Bergen hausenden Glaubensgenossen gegen ihre christlichen
Nachbarn. Auch die Sittenstrenge, die Gastfreundschaft und der feste Zusam¬
menhalt der Claus haben sich im Flachlande weniger erhalten als unter den
Malisori.

Für eine höhere Bildung ist in Hochalbanien wenig gethan, namentlich
unter den Muhcunmedanern. Eine albanesische Literatur giebt es nicht. Was
man so nennen könnte, besteht in einigen Sammlungen von Volksliedern, einigen
von der Propaganda in Rom ausgegangenen Uebersetzungen katholischer Gebetbücher
und Erbauungsschriften und einigen Büchern für die Elementarschulen in Skutari.
Im Süden haben die Griechen zahlreiche Schulen errichtet, die gut benutzt werden,
aber nicht in albanesischer, sondern in griechischer Sprache unterrichten; die
letztere wird auch beim Gottesdienst allein gebraucht. Die Folge ist, daß die
Bevölkerung dieser Landschaften, besonders in den Städten, stark hellenisirt ist.

Albanien besitzt alle Voraussetzungen zu einer gedeihlichen materiellen Ent¬
wicklung. Es könnte recht wohl eine Bevölkerung ernähren, die dreimal so
stark als seine jetzige wäre. Der Boden der Thäler und Ebenen ist außerordent¬
lich fruchtbar, und die Berge sind mit Wäldern bedeckt, welche vortreffliches
Bauholz liefern. Aber von einer ruhigen und geschickten Ausbeutung dieser
Naturschätze ist, wie Becker zeigt, nicht die Rede, und so zieht der Albanese aus
den ihm gebotenen Reichthümern des Bodens nur wenig Vortheil. „Der größte
Theil des zum Ackerbau geeigneten Landes," sagt unser Gewährsmann, „liegt
brach oder hat sich in ungesunde Sümpfe verwandelt, deren Dünste die An¬
wohner decimiren, da die Wassexläufe nicht regulirt sind. Die Drina hat ihr
altes Bett verlassen, um sich in die Bojana zu ergießen, die dem Skutari-See
als Abzugskanal dient, und die Folge ist, daß ein Theil der Stadt Skutari
mit Einschluß des Bazars sieben Monate im Jahre unter Wasser steht. Eine
Ausgabe von höchstens einer Million Franken würde nicht bloß der Stadt Ab¬
hilfe von diesem Uebelstande schaffen, sondern auch eine große Landstände gesund
und zur Bestellung mit Getreide geeignet machen, aber die türkische Verwaltung
hat in ihrer Trägheit und Unwissenheit für dergleichen Unternehmungen keinen
Sinn, und so geschieht nichts der Art. Die Albanesen tragen die Schuld nicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/14>, abgerufen am 23.07.2024.