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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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moralischen Unterstützung bedarf. So wird die Freundschaft zunächst um des
eigenen Schutzes, Nutzens und Vergnügens willen gesucht. Aber wir empfinden
es auch, daß sie in der Folge in eine uneigennützige Liebe, d. i. in Lust an
Freundes Lust und Schmerz über Freundes Schmerz umschlägt und so zum
stillschweigenden bindenden Vertrage wird, kraft dessen wir einander nicht weniger
als uns selbst lieben. Daß aber unter allen Dingen, welche die Weisheit für
ein glückliches Leben beschaffen kann, keines größer ist als die Freundschaft, das
zeigen schon die Fabeln, welche die Alten erfunden haben. Obwohl seit unvor¬
denklichen Zeiten dergleichen in großer Zahl und Mannigfaltigkeit gedichtet
worden sind, so finden sich von Theseus und Peirithoos bis zu Orestes und
Pylades doch kaum drei Freundschaftspaare darin. Welch größere Schaar von
Freunden, die in fester Liebe verbunden sind, hast dagegen du, unser geliebtester
und angebetetster Meister in deinem einen und dazu noch kleinen Hause ver¬
sammelt! Hehrer Meister, du hast uns wiederholt eingeschärft, daß sich jeder
irgend einen ausgezeichneten Mann wählen solle, den er sich immer vorhalte,
um gleichsam unter seiner Aufsicht zu leben. Wen könnten wir zu unserem
^",1? Tr^vo-r"^?, zu unserem Schutzheiligen wählen, als denjenigen, der uns die
edelste Form menschlicher Gesellschaft beut, die Freundschaft? Diesem unserem
Schutzheiligen, dessen Geburtstag wir heute feiern, y-^or^si""- n^on^", trinke
ich Freundschaft und Liebe zu. Thut desgleichen!"

Bei diesen Worten hatte er seine Schale ergriffen, um sie nach einer
herzlichen, dem Meister gewidmeten Handbewegung auszutrinken. Alle folgten
seinem Beispiele. Dem Meister aber waren die Thränen gekommen, er "schmolz
an seinen eigenen Kohlen". Feuchten Auges erhob er sich, um den Göttern als
den Idealen der Vollkommenheit die Ehre zu geben:

"Verherrlichtest du, Metrodor, soeben den edelsten Lebensgenuß, so gelten
meine Worte dem höchsten Ideale des Weisen -- den Göttern. Ihre Voll¬
kommenheit uns wieder zu vergegenwärtigen, gilt mir als schönster Theil meiner
Geburtstagsfeier. Aetherische Leiber, aus den feinsten Atomen bestehende Ge¬
stalten, wohnen sie über dieser Welt erhaben unter ewig heiterem Himmel von
Ewigkeit zu Ewigkeit -- in ungestörter Seligkeit, einer Seligkeit, die sich der Mensch
nicht vermessen darf durch den Aberglauben zu zerstören, daß sie um die Welt hie-
nieden und die Angelegenheiten der Menschen sich kümmern. Frei vou Schlaf, der
doch immer ein theilweiser Tod ist, und dessen sie, die ohne Anstrengung leben¬
den Wesen, nicht bedürfen, in der schönsten aller Sprachen, in der griechischen,
ihren edelsten Wonnegefühlen vollkommensten Ausdruck leidend, die ätherischste"
Speisen genießend, freuen sie sich in seligster Betrachtung ihrer unveränderlichen
Vortrefflichkeit, des reinsten, höchstens Glückes. Solche Götter sind nicht zu
fürchten, und deswegen ist ihre Verehrung eine freie und reine; wir verehren


moralischen Unterstützung bedarf. So wird die Freundschaft zunächst um des
eigenen Schutzes, Nutzens und Vergnügens willen gesucht. Aber wir empfinden
es auch, daß sie in der Folge in eine uneigennützige Liebe, d. i. in Lust an
Freundes Lust und Schmerz über Freundes Schmerz umschlägt und so zum
stillschweigenden bindenden Vertrage wird, kraft dessen wir einander nicht weniger
als uns selbst lieben. Daß aber unter allen Dingen, welche die Weisheit für
ein glückliches Leben beschaffen kann, keines größer ist als die Freundschaft, das
zeigen schon die Fabeln, welche die Alten erfunden haben. Obwohl seit unvor¬
denklichen Zeiten dergleichen in großer Zahl und Mannigfaltigkeit gedichtet
worden sind, so finden sich von Theseus und Peirithoos bis zu Orestes und
Pylades doch kaum drei Freundschaftspaare darin. Welch größere Schaar von
Freunden, die in fester Liebe verbunden sind, hast dagegen du, unser geliebtester
und angebetetster Meister in deinem einen und dazu noch kleinen Hause ver¬
sammelt! Hehrer Meister, du hast uns wiederholt eingeschärft, daß sich jeder
irgend einen ausgezeichneten Mann wählen solle, den er sich immer vorhalte,
um gleichsam unter seiner Aufsicht zu leben. Wen könnten wir zu unserem
^«,1? Tr^vo-r«^?, zu unserem Schutzheiligen wählen, als denjenigen, der uns die
edelste Form menschlicher Gesellschaft beut, die Freundschaft? Diesem unserem
Schutzheiligen, dessen Geburtstag wir heute feiern, y-^or^si«»- n^on^«, trinke
ich Freundschaft und Liebe zu. Thut desgleichen!"

Bei diesen Worten hatte er seine Schale ergriffen, um sie nach einer
herzlichen, dem Meister gewidmeten Handbewegung auszutrinken. Alle folgten
seinem Beispiele. Dem Meister aber waren die Thränen gekommen, er „schmolz
an seinen eigenen Kohlen". Feuchten Auges erhob er sich, um den Göttern als
den Idealen der Vollkommenheit die Ehre zu geben:

„Verherrlichtest du, Metrodor, soeben den edelsten Lebensgenuß, so gelten
meine Worte dem höchsten Ideale des Weisen — den Göttern. Ihre Voll¬
kommenheit uns wieder zu vergegenwärtigen, gilt mir als schönster Theil meiner
Geburtstagsfeier. Aetherische Leiber, aus den feinsten Atomen bestehende Ge¬
stalten, wohnen sie über dieser Welt erhaben unter ewig heiterem Himmel von
Ewigkeit zu Ewigkeit — in ungestörter Seligkeit, einer Seligkeit, die sich der Mensch
nicht vermessen darf durch den Aberglauben zu zerstören, daß sie um die Welt hie-
nieden und die Angelegenheiten der Menschen sich kümmern. Frei vou Schlaf, der
doch immer ein theilweiser Tod ist, und dessen sie, die ohne Anstrengung leben¬
den Wesen, nicht bedürfen, in der schönsten aller Sprachen, in der griechischen,
ihren edelsten Wonnegefühlen vollkommensten Ausdruck leidend, die ätherischste»
Speisen genießend, freuen sie sich in seligster Betrachtung ihrer unveränderlichen
Vortrefflichkeit, des reinsten, höchstens Glückes. Solche Götter sind nicht zu
fürchten, und deswegen ist ihre Verehrung eine freie und reine; wir verehren


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[0112] moralischen Unterstützung bedarf. So wird die Freundschaft zunächst um des eigenen Schutzes, Nutzens und Vergnügens willen gesucht. Aber wir empfinden es auch, daß sie in der Folge in eine uneigennützige Liebe, d. i. in Lust an Freundes Lust und Schmerz über Freundes Schmerz umschlägt und so zum stillschweigenden bindenden Vertrage wird, kraft dessen wir einander nicht weniger als uns selbst lieben. Daß aber unter allen Dingen, welche die Weisheit für ein glückliches Leben beschaffen kann, keines größer ist als die Freundschaft, das zeigen schon die Fabeln, welche die Alten erfunden haben. Obwohl seit unvor¬ denklichen Zeiten dergleichen in großer Zahl und Mannigfaltigkeit gedichtet worden sind, so finden sich von Theseus und Peirithoos bis zu Orestes und Pylades doch kaum drei Freundschaftspaare darin. Welch größere Schaar von Freunden, die in fester Liebe verbunden sind, hast dagegen du, unser geliebtester und angebetetster Meister in deinem einen und dazu noch kleinen Hause ver¬ sammelt! Hehrer Meister, du hast uns wiederholt eingeschärft, daß sich jeder irgend einen ausgezeichneten Mann wählen solle, den er sich immer vorhalte, um gleichsam unter seiner Aufsicht zu leben. Wen könnten wir zu unserem ^«,1? Tr^vo-r«^?, zu unserem Schutzheiligen wählen, als denjenigen, der uns die edelste Form menschlicher Gesellschaft beut, die Freundschaft? Diesem unserem Schutzheiligen, dessen Geburtstag wir heute feiern, y-^or^si«»- n^on^«, trinke ich Freundschaft und Liebe zu. Thut desgleichen!" Bei diesen Worten hatte er seine Schale ergriffen, um sie nach einer herzlichen, dem Meister gewidmeten Handbewegung auszutrinken. Alle folgten seinem Beispiele. Dem Meister aber waren die Thränen gekommen, er „schmolz an seinen eigenen Kohlen". Feuchten Auges erhob er sich, um den Göttern als den Idealen der Vollkommenheit die Ehre zu geben: „Verherrlichtest du, Metrodor, soeben den edelsten Lebensgenuß, so gelten meine Worte dem höchsten Ideale des Weisen — den Göttern. Ihre Voll¬ kommenheit uns wieder zu vergegenwärtigen, gilt mir als schönster Theil meiner Geburtstagsfeier. Aetherische Leiber, aus den feinsten Atomen bestehende Ge¬ stalten, wohnen sie über dieser Welt erhaben unter ewig heiterem Himmel von Ewigkeit zu Ewigkeit — in ungestörter Seligkeit, einer Seligkeit, die sich der Mensch nicht vermessen darf durch den Aberglauben zu zerstören, daß sie um die Welt hie- nieden und die Angelegenheiten der Menschen sich kümmern. Frei vou Schlaf, der doch immer ein theilweiser Tod ist, und dessen sie, die ohne Anstrengung leben¬ den Wesen, nicht bedürfen, in der schönsten aller Sprachen, in der griechischen, ihren edelsten Wonnegefühlen vollkommensten Ausdruck leidend, die ätherischste» Speisen genießend, freuen sie sich in seligster Betrachtung ihrer unveränderlichen Vortrefflichkeit, des reinsten, höchstens Glückes. Solche Götter sind nicht zu fürchten, und deswegen ist ihre Verehrung eine freie und reine; wir verehren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/112>, abgerufen am 06.01.2025.