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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Die Unruhen in Irland.

Seit mehr als einem Monate ist Irland wiederum der Schauplatz jener
Unruhen, welche die "grüne Insel" seit Jahrhunderten periodisch heimgesucht
haben. Wieder ist der leicht erregbare irische Pöbel in allgemeiner Bewegung,
wieder sind in den größeren Städten Massenmeetings, aufrührerische Reden
und Resolutionen gegen die englische Regierung an der Tagesordnung, während
auf dem Lande und auf dem Grundbesitz der cmglo - irischen Aristokratie die
unruhigen Geister Pächter und Bauer gegen die "Unterdrücker" aufhetzen. Das
ganze Land mit alleiniger Ausnahme der Jndustriebezirke im Norden ist in
Aufregung, und in vielen englischen wie ausländischen Blättern begegnet man
der Befürchtung, daß diese Unruhen so wie im Jahre 1847 allmählich einen
größeren Umfang annehmen werden. Die Ursachen sowie die Anfänge der
Bewegung sind denn auch heute thatsächlich dieselben wie damals; dieser Um¬
stand aber, verbunden mit den irländischen Berichten mancher Londoner und
Pariser Seusationsblätter, stellt die Sachlage doch ernster vor, als sie dem
unbefangenen Augenzeugen erscheint.

Der wahre und hauptsächlichste Grund des erneuten Aufruhrs ist in den
wiederholten Mißernten der letzten drei oder, vier Jahre zu suchen. In Eng¬
land sowohl wie in Irland waren die Ernten in der letzten Zeit die denkbar
schlechtesten und trafen natürlich in erster Linie die Landbevölkerung, die
Pächter und Farmer. Die Pachtzinse mußten wie sonst erlegt werde:?, die
Lebensmittel und der Haushalt forderten wie sonst ihre Ausgaben, aber die
Einnahmen blieben aus. Die natürliche Folge war auf beiden Inseln die Frage:
Wie ist diesem allgemeinen Nothstande am wirksamsten abzuhelfen? Die ruhige,
bedächtige und ernste Landbevölkerung Englands, die durch Fleiß und Spar¬
samkeit im Durchschnitt hinreichendes Vermögen besitzt, um sich über einzelne
Krisen von kurzer Dauer hiuwegzuhelfen, verfiel auf das Nächstliegende und
auch am meisten gerechtfertigte Mittel: Verminderung der Pachtzinse. Die
Petitionen an die Landeigenthümer hatten, da sie sich innerhalb der gesetzlichen
Grenzen bewegten, auch deu gewünschten Erfolg, und wenn der Zinsennachlaß


Grenzboten I, 18S0. 12
Die Unruhen in Irland.

Seit mehr als einem Monate ist Irland wiederum der Schauplatz jener
Unruhen, welche die „grüne Insel" seit Jahrhunderten periodisch heimgesucht
haben. Wieder ist der leicht erregbare irische Pöbel in allgemeiner Bewegung,
wieder sind in den größeren Städten Massenmeetings, aufrührerische Reden
und Resolutionen gegen die englische Regierung an der Tagesordnung, während
auf dem Lande und auf dem Grundbesitz der cmglo - irischen Aristokratie die
unruhigen Geister Pächter und Bauer gegen die „Unterdrücker" aufhetzen. Das
ganze Land mit alleiniger Ausnahme der Jndustriebezirke im Norden ist in
Aufregung, und in vielen englischen wie ausländischen Blättern begegnet man
der Befürchtung, daß diese Unruhen so wie im Jahre 1847 allmählich einen
größeren Umfang annehmen werden. Die Ursachen sowie die Anfänge der
Bewegung sind denn auch heute thatsächlich dieselben wie damals; dieser Um¬
stand aber, verbunden mit den irländischen Berichten mancher Londoner und
Pariser Seusationsblätter, stellt die Sachlage doch ernster vor, als sie dem
unbefangenen Augenzeugen erscheint.

Der wahre und hauptsächlichste Grund des erneuten Aufruhrs ist in den
wiederholten Mißernten der letzten drei oder, vier Jahre zu suchen. In Eng¬
land sowohl wie in Irland waren die Ernten in der letzten Zeit die denkbar
schlechtesten und trafen natürlich in erster Linie die Landbevölkerung, die
Pächter und Farmer. Die Pachtzinse mußten wie sonst erlegt werde:?, die
Lebensmittel und der Haushalt forderten wie sonst ihre Ausgaben, aber die
Einnahmen blieben aus. Die natürliche Folge war auf beiden Inseln die Frage:
Wie ist diesem allgemeinen Nothstande am wirksamsten abzuhelfen? Die ruhige,
bedächtige und ernste Landbevölkerung Englands, die durch Fleiß und Spar¬
samkeit im Durchschnitt hinreichendes Vermögen besitzt, um sich über einzelne
Krisen von kurzer Dauer hiuwegzuhelfen, verfiel auf das Nächstliegende und
auch am meisten gerechtfertigte Mittel: Verminderung der Pachtzinse. Die
Petitionen an die Landeigenthümer hatten, da sie sich innerhalb der gesetzlichen
Grenzen bewegten, auch deu gewünschten Erfolg, und wenn der Zinsennachlaß


Grenzboten I, 18S0. 12
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[0097] Die Unruhen in Irland. Seit mehr als einem Monate ist Irland wiederum der Schauplatz jener Unruhen, welche die „grüne Insel" seit Jahrhunderten periodisch heimgesucht haben. Wieder ist der leicht erregbare irische Pöbel in allgemeiner Bewegung, wieder sind in den größeren Städten Massenmeetings, aufrührerische Reden und Resolutionen gegen die englische Regierung an der Tagesordnung, während auf dem Lande und auf dem Grundbesitz der cmglo - irischen Aristokratie die unruhigen Geister Pächter und Bauer gegen die „Unterdrücker" aufhetzen. Das ganze Land mit alleiniger Ausnahme der Jndustriebezirke im Norden ist in Aufregung, und in vielen englischen wie ausländischen Blättern begegnet man der Befürchtung, daß diese Unruhen so wie im Jahre 1847 allmählich einen größeren Umfang annehmen werden. Die Ursachen sowie die Anfänge der Bewegung sind denn auch heute thatsächlich dieselben wie damals; dieser Um¬ stand aber, verbunden mit den irländischen Berichten mancher Londoner und Pariser Seusationsblätter, stellt die Sachlage doch ernster vor, als sie dem unbefangenen Augenzeugen erscheint. Der wahre und hauptsächlichste Grund des erneuten Aufruhrs ist in den wiederholten Mißernten der letzten drei oder, vier Jahre zu suchen. In Eng¬ land sowohl wie in Irland waren die Ernten in der letzten Zeit die denkbar schlechtesten und trafen natürlich in erster Linie die Landbevölkerung, die Pächter und Farmer. Die Pachtzinse mußten wie sonst erlegt werde:?, die Lebensmittel und der Haushalt forderten wie sonst ihre Ausgaben, aber die Einnahmen blieben aus. Die natürliche Folge war auf beiden Inseln die Frage: Wie ist diesem allgemeinen Nothstande am wirksamsten abzuhelfen? Die ruhige, bedächtige und ernste Landbevölkerung Englands, die durch Fleiß und Spar¬ samkeit im Durchschnitt hinreichendes Vermögen besitzt, um sich über einzelne Krisen von kurzer Dauer hiuwegzuhelfen, verfiel auf das Nächstliegende und auch am meisten gerechtfertigte Mittel: Verminderung der Pachtzinse. Die Petitionen an die Landeigenthümer hatten, da sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegten, auch deu gewünschten Erfolg, und wenn der Zinsennachlaß Grenzboten I, 18S0. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/97>, abgerufen am 22.07.2024.