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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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reich links abschwenken und Schritt vor Schritt nach dieser Seite weitergehen,
und der Ausgang der Ministerkrise des December, den wir bereits vor sieben
Wochen (Ur. 4K d. vor. Jahrg.) voraussagten, läßt mit Bestimmtheit annehmen,
daß diese Bewegung nach links sich im neuen Jahre fortsetzen wird, und zwar
rascher als vorher.

Das Cabinet Waddington, zusammengesetzt aus Angehörigen des linken
Centrums, d. h. Vertretern der conservativen Republik, und Mitgliedern der
republikanischen Union, d. h. der zu Gambetta haltenden Fraction der französi¬
schen Fortschrittsparteien, und zwar so zusammengesetzt, daß ersteren die einflu߬
reicheren Stellen und' die Leitung übertragen war, ist den Angriffen seiner
Gegner auf der Linken gewichen und hat einer Regierung Platz gemacht, die
sich voraussichtlich den Forderungen jener Secte der Volksvertretung gefügiger'
erweisen wird. Wenn der Geist, den Thiers vertrat, bisher die Herrschaft mit
dem Geiste, dessen Repräsentant Gambetta ist, zu theilen hatte, so wird letzterer
nunmehr, soweit nicht der Präsident und der Senat in Frage kommen, allein
herrschen und dabei Sorge tragen, daß in nicht ferner Zukunft auch diese Hin¬
dernisse seiner Bestrebungen auf parlamentarischem Wege beseitigt werden -- auf
parlamentarischem Wege, falls nicht inzwischen die rein destructiven Parteien,
die Radikalen und Anarchisten, gestützt auf den Pariser Pöbel und durch wei¬
tere Verleihung von Freiheiten und weitere Untergrabung der Garantien des
Bestehenden noch mehr als jetzt entfesselt und gestärkt, jene Beseitigung mit Ge¬
waltmitteln unternehmen und dann auch der Aera Gambetta ein schleuniges
Ende bereiten. Daß dies der Gang der Dinge sein wird, ist allerdings nicht
gewiß, aber im hohen Grade wahrscheinlich. Es fragt sich, wenn man nach
der Vergangenheit urtheilen darf, nur noch, wie lange es dauern wird, bis auf
das B, das jetzt dem A gefolgt ist, die letzten Buchstaben des Alphabets folgen
werden, die das Ende der Republik bedeuten.

Der Präsident der Republik scheint sich solchen oder ähnlichen Befürchtungen
nicht verschlossen zu haben. Er trennte sich offenbar ungern von seinem bis¬
herigen obersten Rathgeber, aber dieser war ebenso sicher davon überzeugt, daß
seine Stellung allmählich unhaltbar geworden war. Die letzten Verhandlungen
in der Deputirtenkmumer hatten gezeigt, daß die äußerste Linke ohne Aufhören
und durch keine Concession befriedigt vorwärts drängte, und daß sie im Be¬
wußtsein ihrer Stärke mehr und mehr das Wort führte. Die Gemäßigten
hatten sich zwar gesträubt, zu folgen, aber trotzdem war es bei ihrer Charakter¬
schwäche auf der Bahn der Zugestündnisse an die Radikalen langsam weiter
bergab gegangen. Auch Grcvy hatte nicht die Energie bekundet, mit der man
dem Andringen von Leuten wie Clemenceau und Lockroy auf die Dauer Halt
gebietet, und Gambetta hatte bald offen, bald verdeckt den Feinden des Mini-


Grenzboten I. 1380.^ 11

reich links abschwenken und Schritt vor Schritt nach dieser Seite weitergehen,
und der Ausgang der Ministerkrise des December, den wir bereits vor sieben
Wochen (Ur. 4K d. vor. Jahrg.) voraussagten, läßt mit Bestimmtheit annehmen,
daß diese Bewegung nach links sich im neuen Jahre fortsetzen wird, und zwar
rascher als vorher.

Das Cabinet Waddington, zusammengesetzt aus Angehörigen des linken
Centrums, d. h. Vertretern der conservativen Republik, und Mitgliedern der
republikanischen Union, d. h. der zu Gambetta haltenden Fraction der französi¬
schen Fortschrittsparteien, und zwar so zusammengesetzt, daß ersteren die einflu߬
reicheren Stellen und' die Leitung übertragen war, ist den Angriffen seiner
Gegner auf der Linken gewichen und hat einer Regierung Platz gemacht, die
sich voraussichtlich den Forderungen jener Secte der Volksvertretung gefügiger'
erweisen wird. Wenn der Geist, den Thiers vertrat, bisher die Herrschaft mit
dem Geiste, dessen Repräsentant Gambetta ist, zu theilen hatte, so wird letzterer
nunmehr, soweit nicht der Präsident und der Senat in Frage kommen, allein
herrschen und dabei Sorge tragen, daß in nicht ferner Zukunft auch diese Hin¬
dernisse seiner Bestrebungen auf parlamentarischem Wege beseitigt werden — auf
parlamentarischem Wege, falls nicht inzwischen die rein destructiven Parteien,
die Radikalen und Anarchisten, gestützt auf den Pariser Pöbel und durch wei¬
tere Verleihung von Freiheiten und weitere Untergrabung der Garantien des
Bestehenden noch mehr als jetzt entfesselt und gestärkt, jene Beseitigung mit Ge¬
waltmitteln unternehmen und dann auch der Aera Gambetta ein schleuniges
Ende bereiten. Daß dies der Gang der Dinge sein wird, ist allerdings nicht
gewiß, aber im hohen Grade wahrscheinlich. Es fragt sich, wenn man nach
der Vergangenheit urtheilen darf, nur noch, wie lange es dauern wird, bis auf
das B, das jetzt dem A gefolgt ist, die letzten Buchstaben des Alphabets folgen
werden, die das Ende der Republik bedeuten.

Der Präsident der Republik scheint sich solchen oder ähnlichen Befürchtungen
nicht verschlossen zu haben. Er trennte sich offenbar ungern von seinem bis¬
herigen obersten Rathgeber, aber dieser war ebenso sicher davon überzeugt, daß
seine Stellung allmählich unhaltbar geworden war. Die letzten Verhandlungen
in der Deputirtenkmumer hatten gezeigt, daß die äußerste Linke ohne Aufhören
und durch keine Concession befriedigt vorwärts drängte, und daß sie im Be¬
wußtsein ihrer Stärke mehr und mehr das Wort führte. Die Gemäßigten
hatten sich zwar gesträubt, zu folgen, aber trotzdem war es bei ihrer Charakter¬
schwäche auf der Bahn der Zugestündnisse an die Radikalen langsam weiter
bergab gegangen. Auch Grcvy hatte nicht die Energie bekundet, mit der man
dem Andringen von Leuten wie Clemenceau und Lockroy auf die Dauer Halt
gebietet, und Gambetta hatte bald offen, bald verdeckt den Feinden des Mini-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/89>, abgerufen am 28.09.2024.