Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.Körper überhaupt als bewegt erscheinen zu lassen. Wie mit solcher Unvollkom- Wenn nun aber das Apfelmotiv nicht vom Originalkünstler herrührt, die Dieser einheitliche Zusammenhang, dieser Alles durchdringende, jedes Glied Körper überhaupt als bewegt erscheinen zu lassen. Wie mit solcher Unvollkom- Wenn nun aber das Apfelmotiv nicht vom Originalkünstler herrührt, die Dieser einheitliche Zusammenhang, dieser Alles durchdringende, jedes Glied <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146007"/> <p xml:id="ID_188" prev="#ID_187"> Körper überhaupt als bewegt erscheinen zu lassen. Wie mit solcher Unvollkom-<lb/> menheit die sonst so hoch gerühmte Trefflichkeit nach allen Seiten hin in Ein¬<lb/> klang zu bringen ist, bleibt natürlich ein Räthsel. Oder das Motiv mit dem<lb/> Apfel rührt nicht von dem Originalkünstler her, der ein so bedeutender Meister<lb/> war, daß das in dem Arme und in der Hand sich darstellende Motiv ein Aus¬<lb/> fluß des Hauptmotivs sein muß, und daß, wenn dieses dramatisch ist, jenes<lb/> nicht typisch sein kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_189"> Wenn nun aber das Apfelmotiv nicht vom Originalkünstler herrührt, die<lb/> Hand mit dem Apfel aber doch wahrscheinlich einmal zur Statue gehört hat,<lb/> so bleibt nur eine Möglichkeit: eine antike Restauration. Eine solche kann so<lb/> stattgefunden haben, daß dem Restaurator das ursprüngliche Motiv uicht mehr<lb/> bekannt war und er nach eigner Eingebung restaurirte und so zu einem Irr¬<lb/> thum kam, der uns nicht in Erstaunen setzen darf, die wir so manche Gelehrte<lb/> und Künstler unter Ueberhebung der Cardinalfrage denselben Weg gehen sehen.<lb/> Sie kann aber auch die Folge einer absichtlichen Aenderung sein: der Stadt<lb/> Melos zu Liebe gab man der Statue das den Namen der Stadt charakterisi-<lb/> rende Wappen derselben, den Apfel s^^v^) in die Hand, zugleich, falls die<lb/> Statue eine Venus darstellte, mit Bezug auf sie, da der Apfel als Symbol der<lb/> Liebe galt, wie dies nicht nur in Griechenland, sondern überhaupt im Orient<lb/> der Fall war; tritt er doch schon im Paradies in dieser Bedeutung auf. Ein<lb/> solches Verfahren wäre zwar unkünstlerisch, aber noch nicht barbarisch und in<lb/> Griechenland undenkbar gewesen: anch dort mußten die ästhetischen Gründe<lb/> oft genug hinter politischen und religiösen zurücktreten. Eine Restauration<lb/> würde auch die hohe Haltung des Apfels erklären, die bei dein Originalkünstler<lb/> ganz undenkbar wäre, und ebenso die coquette Haltung des Apfels mit losge¬<lb/> lösten Mittelfinger, ein Motiv, das in die gute Zeit nicht paßt. Vielleicht be¬<lb/> schränkte sich diese antike Restauration uur auf den Unterarm, während das<lb/> Oberarmfragment noch vom Originalkünstler herrührt. Dann war sie noch ein¬<lb/> facher zu bewerkstelligen und reducirte sich auf eine verhältnißmüßig geringe<lb/> äußere Modification, welche freilich eine schwere innere Schädigung zur Folge<lb/> hatte: der ganze Zusammenhang des Kunstwerks war zerstört.</p><lb/> <p xml:id="ID_190" next="#ID_191"> Dieser einheitliche Zusammenhang, dieser Alles durchdringende, jedes Glied<lb/> und jede Bewegung bedingende schöpferische Hauch ist es nun aber, der im Verein<lb/> mit der Art, wie er alle äußeren Bedingungen eines Kunstwerkes berücksichtigt,<lb/> dieses Werk so unbeschreiblich groß macht. Denn in der That war die Auf¬<lb/> gabe keine leichte. In der Zeit, in welcher der Künstler schuf, innerhalb der<lb/> letzten zwanzig Jahre des fünften Jahrhunderts — v. Goeler macht zutref¬<lb/> fende Gründe für das Jahrzehnt 415 — 405 geltend — mußte noch mit der<lb/> strengeren Gewohnheit der älteren Zeit gerechnet werden, welche der Enthüllung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0078]
Körper überhaupt als bewegt erscheinen zu lassen. Wie mit solcher Unvollkom-
menheit die sonst so hoch gerühmte Trefflichkeit nach allen Seiten hin in Ein¬
klang zu bringen ist, bleibt natürlich ein Räthsel. Oder das Motiv mit dem
Apfel rührt nicht von dem Originalkünstler her, der ein so bedeutender Meister
war, daß das in dem Arme und in der Hand sich darstellende Motiv ein Aus¬
fluß des Hauptmotivs sein muß, und daß, wenn dieses dramatisch ist, jenes
nicht typisch sein kann.
Wenn nun aber das Apfelmotiv nicht vom Originalkünstler herrührt, die
Hand mit dem Apfel aber doch wahrscheinlich einmal zur Statue gehört hat,
so bleibt nur eine Möglichkeit: eine antike Restauration. Eine solche kann so
stattgefunden haben, daß dem Restaurator das ursprüngliche Motiv uicht mehr
bekannt war und er nach eigner Eingebung restaurirte und so zu einem Irr¬
thum kam, der uns nicht in Erstaunen setzen darf, die wir so manche Gelehrte
und Künstler unter Ueberhebung der Cardinalfrage denselben Weg gehen sehen.
Sie kann aber auch die Folge einer absichtlichen Aenderung sein: der Stadt
Melos zu Liebe gab man der Statue das den Namen der Stadt charakterisi-
rende Wappen derselben, den Apfel s^^v^) in die Hand, zugleich, falls die
Statue eine Venus darstellte, mit Bezug auf sie, da der Apfel als Symbol der
Liebe galt, wie dies nicht nur in Griechenland, sondern überhaupt im Orient
der Fall war; tritt er doch schon im Paradies in dieser Bedeutung auf. Ein
solches Verfahren wäre zwar unkünstlerisch, aber noch nicht barbarisch und in
Griechenland undenkbar gewesen: anch dort mußten die ästhetischen Gründe
oft genug hinter politischen und religiösen zurücktreten. Eine Restauration
würde auch die hohe Haltung des Apfels erklären, die bei dein Originalkünstler
ganz undenkbar wäre, und ebenso die coquette Haltung des Apfels mit losge¬
lösten Mittelfinger, ein Motiv, das in die gute Zeit nicht paßt. Vielleicht be¬
schränkte sich diese antike Restauration uur auf den Unterarm, während das
Oberarmfragment noch vom Originalkünstler herrührt. Dann war sie noch ein¬
facher zu bewerkstelligen und reducirte sich auf eine verhältnißmüßig geringe
äußere Modification, welche freilich eine schwere innere Schädigung zur Folge
hatte: der ganze Zusammenhang des Kunstwerks war zerstört.
Dieser einheitliche Zusammenhang, dieser Alles durchdringende, jedes Glied
und jede Bewegung bedingende schöpferische Hauch ist es nun aber, der im Verein
mit der Art, wie er alle äußeren Bedingungen eines Kunstwerkes berücksichtigt,
dieses Werk so unbeschreiblich groß macht. Denn in der That war die Auf¬
gabe keine leichte. In der Zeit, in welcher der Künstler schuf, innerhalb der
letzten zwanzig Jahre des fünften Jahrhunderts — v. Goeler macht zutref¬
fende Gründe für das Jahrzehnt 415 — 405 geltend — mußte noch mit der
strengeren Gewohnheit der älteren Zeit gerechnet werden, welche der Enthüllung
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