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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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haben mögen. Wild genug schauen diese, einer zähen Natur ihr Dasein in
hartem Kampfe abringenden Männer anch jetzt noch aus init ihrem struppigen,
uncultivirten Vollbarte, den blitzenden Augen, dem schräg und vermögen aufs
Haupt gedrückten Filzhute. Doch gilt heutzutage uicht mehr, was man früher
von ihnen sagte: Lono lackri, KriZanri, asWssivi!

Die Maggia, der zweitgrößte Fluß des Cantons, ist in seinem Laufe ebenso
eapriceiös und ebenso gefährlich wie der Tessin; er schleppt vom Hintergründe
des Lavizzarathales bis vor Locarno viel Geröll mit sich und mündet in den
Langensee. Durch viele reißende Bergbäche verstärkt, läßt er kurz vor seiner
Mündung seine wilde Kraft einer Felsschlucht fühlen, die er zu seltsamen
Formen ausgearbeitet hat. Etwas weiter nach der Quelle zu dagegen strömt
er eine Zeit lang in einer breiten Mulde und zeichnet sich dort durch ein ganz
eigenartiges Grün aus, über dessen Fixirung die Meinungen der Sachverstän¬
digen stark aus einander gehen. Derjenige mag wohl das Rechte getroffen
haben, der es als "dunkelolivenfarbig" bezeichnete.

Eins von den Dörfern dieses Thales, Cerentino, besitzt eine große Merk¬
würdigkeit in dem vollständigen Skelett des heiligen Bonifacius, das in einem
Glaskasten ruht. Die Ränder des letzteren sind mit Silber eingefaßt, das
Gebein ist ebenfalls versilbert und mit angeblich echten Edelsteinen so reich ver¬
ziert, daß mal: den Stein- und Silberwerth allein auf 20000 Francs anschlägt;
der des Gerippes selbst entzieht sich menschlicher Schätzung. Trotz dieser werthvollen
Knochen ist Cerentino keiner der berühmten Wallfahrtsorte geworden, sondern
"aß sich vielmehr damit begnügen, daß Pietro Morettini, ein namhafter In¬
genieur, hier das Licht der Welt erblickte. Er restaurirte im Auftrage Lud¬
wigs XIV. die Festung Bergen-op-Zoom, half unter Vaubcm die Befestigungs¬
werke von Landau ausführen, trat später in die Dienste der Republik Genua,
die ihm die Anlegung der Befestigungen von Savona übertrug, und entwarf,
als er durch einen unglücklichen Fall vom Pferde an einem Beinbrüche dar¬
niederlag, den Plau zur Sprengung des Urnerloches, des Embryo des Gott-
hardtunnels. Bei Cerentino zweigt sich das kleine Nebenthal von Bosco ab,
das ein gewisses Interesse beansprucht, weil es das einzige deutschredende
Dorf des Tessin ist. Das hier gesprochene Idiom ähnelt sehr dem des Ober-
wallis.

Von Bignasco, dem Hauptorte der obern Maggia oder Val Lavizzam, Pflegt
mau die Hochtouren auf die höchste Erhebung des Canton, den M Basodcmo,
zu unternehmen, dessen Spitze etwas über 10000 Par. F. hoch liegt. Nach
den sehr maßvollen Schilderungen Slüters erblickt man auf seinem Gipfel einen
Reichthum an erhabener Natnrscenerie, der um so mehr überrascht, als die Hoch¬
gebirge des Tessin in. Allgemeinen ein einförmiges und steriles Ansehen haben


haben mögen. Wild genug schauen diese, einer zähen Natur ihr Dasein in
hartem Kampfe abringenden Männer anch jetzt noch aus init ihrem struppigen,
uncultivirten Vollbarte, den blitzenden Augen, dem schräg und vermögen aufs
Haupt gedrückten Filzhute. Doch gilt heutzutage uicht mehr, was man früher
von ihnen sagte: Lono lackri, KriZanri, asWssivi!

Die Maggia, der zweitgrößte Fluß des Cantons, ist in seinem Laufe ebenso
eapriceiös und ebenso gefährlich wie der Tessin; er schleppt vom Hintergründe
des Lavizzarathales bis vor Locarno viel Geröll mit sich und mündet in den
Langensee. Durch viele reißende Bergbäche verstärkt, läßt er kurz vor seiner
Mündung seine wilde Kraft einer Felsschlucht fühlen, die er zu seltsamen
Formen ausgearbeitet hat. Etwas weiter nach der Quelle zu dagegen strömt
er eine Zeit lang in einer breiten Mulde und zeichnet sich dort durch ein ganz
eigenartiges Grün aus, über dessen Fixirung die Meinungen der Sachverstän¬
digen stark aus einander gehen. Derjenige mag wohl das Rechte getroffen
haben, der es als „dunkelolivenfarbig" bezeichnete.

Eins von den Dörfern dieses Thales, Cerentino, besitzt eine große Merk¬
würdigkeit in dem vollständigen Skelett des heiligen Bonifacius, das in einem
Glaskasten ruht. Die Ränder des letzteren sind mit Silber eingefaßt, das
Gebein ist ebenfalls versilbert und mit angeblich echten Edelsteinen so reich ver¬
ziert, daß mal: den Stein- und Silberwerth allein auf 20000 Francs anschlägt;
der des Gerippes selbst entzieht sich menschlicher Schätzung. Trotz dieser werthvollen
Knochen ist Cerentino keiner der berühmten Wallfahrtsorte geworden, sondern
"aß sich vielmehr damit begnügen, daß Pietro Morettini, ein namhafter In¬
genieur, hier das Licht der Welt erblickte. Er restaurirte im Auftrage Lud¬
wigs XIV. die Festung Bergen-op-Zoom, half unter Vaubcm die Befestigungs¬
werke von Landau ausführen, trat später in die Dienste der Republik Genua,
die ihm die Anlegung der Befestigungen von Savona übertrug, und entwarf,
als er durch einen unglücklichen Fall vom Pferde an einem Beinbrüche dar¬
niederlag, den Plau zur Sprengung des Urnerloches, des Embryo des Gott-
hardtunnels. Bei Cerentino zweigt sich das kleine Nebenthal von Bosco ab,
das ein gewisses Interesse beansprucht, weil es das einzige deutschredende
Dorf des Tessin ist. Das hier gesprochene Idiom ähnelt sehr dem des Ober-
wallis.

Von Bignasco, dem Hauptorte der obern Maggia oder Val Lavizzam, Pflegt
mau die Hochtouren auf die höchste Erhebung des Canton, den M Basodcmo,
zu unternehmen, dessen Spitze etwas über 10000 Par. F. hoch liegt. Nach
den sehr maßvollen Schilderungen Slüters erblickt man auf seinem Gipfel einen
Reichthum an erhabener Natnrscenerie, der um so mehr überrascht, als die Hoch¬
gebirge des Tessin in. Allgemeinen ein einförmiges und steriles Ansehen haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/531>, abgerufen am 23.07.2024.