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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sinnigen Mäcens mit einer Anzahl von Gemälden bereichern, welche im Zauber
des Colorits getrost den Vergleich mit den Originalen aushalten können. In
der Zeichnung bleibt er freilich hinter ihnen zurück. Ihm fehlt die Energie der
Linienführung, die Sicherheit in der Zeichnung der Umrisse, die Rubens mit
Tizian und dieser mit Giorgione gemein hat.

Diese Vernachlässigung der Zeichnung, die sich auf den Schackschen Copien
allerdings weniger fühlbar macht als auf seinen Porträts, wo sie bis ins Be¬
leidigende und Verletzende ausartet, mag auf den Bildungsgang Lenbachs, auf
seinen späten Eintritt in den künstlerischen Beruf zurückzuführen sein. Was
anfangs aber vielleicht nur UnVollkommenheit und Unsicherheit des Könnens
war, wurde später zur Absicht, zur bewußten Coquetterie und wuchs schließlich
zur Marotte aus. Es ist bedauerlich, daß vielen von den ersten Künstlern
unserer Zeit, die berufen wären, neben den Auserwählten aller Zeiten zu figu-
riren, jener Vorzug abgeht, der Rasfael, Tizian, Veronese, Palma, Rubens,
Rembrandt voll und ganz zu eigen war: nämlich volle geistige Gesundheit. Man
mißverstehe diesen Ausdruck nicht. Er will keineswegs die Verstandeskräfte
einiger Koryphäen unserer zeitgenössischen deutschen Malerei verdächtigen, sondern
nur auf den krankhaften Zug hinweisen, der sich in den künstlerischen Indivi¬
dualitäten eines Makart, Böcklin, Feuerbach, Gabriel Max, Munkacsy, Lenbach
und vieler anderer bemerkbar macht. Bei den einen beeinflußt er die Wahl der
Stoffe, bei den andern die Technik.

Daß der Porträtmaler Lenbach, wie er heute vor uns steht, in einer un¬
erhört leichtfertigen Weise alles Körperliche, Hände, Arme, Schultern, das Bei¬
werk und die costümliche Folie behandelt und den Hauptaceent seiner Wirkung
allein ans den Kopf legt, ist auch ein derartiger Zug, ein Ausfluß krankhafter
Reflexion, die schließlich zur fixen Idee oder, was sich hübscher anhört, zum
"künstlerischen Programm" wird. Unsere gesammten Kunstverhältnisse tragen
freilich auch einen Theil der Schuld, daß eine solche Mißachtung der Form
überhaupt geduldet wird. Anfangs hielt mein's für eine Flüchtigkeit, für das
"Erbtheil des Genies", das man einem sonst hervorragenden Künstler wohl zu
gute halten darf. Als diese Nachlässigkeit aber immer wieder zurückkehrte und
immer ärger wurde, merkte man die Absicht, und man wurde verstimmt. Aber
da war es zu spät! Da war Lenbach bereits der in Wien und München höchst
gefeierte Meister des Porträts, und wer nicht bedingungslos in den lauten
Jubel einstimmte, welcher den auf alleil Ausstellungen preisgekrönten Meister
nmbrauste, der wurde entweder kleinlichen Neides bezichtigt, oder es wurde ihm
gar ein Verstandesmanco nachgesagt. Wir sagten, daß unsere Kunstverhältnisse
die Schuld an dieser bedauerlichen Erscheinung tragen, welche dem Bilde eines
begabten und interessanten Künstlers einen häßlichen Flecken anheftet. Lenbach


sinnigen Mäcens mit einer Anzahl von Gemälden bereichern, welche im Zauber
des Colorits getrost den Vergleich mit den Originalen aushalten können. In
der Zeichnung bleibt er freilich hinter ihnen zurück. Ihm fehlt die Energie der
Linienführung, die Sicherheit in der Zeichnung der Umrisse, die Rubens mit
Tizian und dieser mit Giorgione gemein hat.

Diese Vernachlässigung der Zeichnung, die sich auf den Schackschen Copien
allerdings weniger fühlbar macht als auf seinen Porträts, wo sie bis ins Be¬
leidigende und Verletzende ausartet, mag auf den Bildungsgang Lenbachs, auf
seinen späten Eintritt in den künstlerischen Beruf zurückzuführen sein. Was
anfangs aber vielleicht nur UnVollkommenheit und Unsicherheit des Könnens
war, wurde später zur Absicht, zur bewußten Coquetterie und wuchs schließlich
zur Marotte aus. Es ist bedauerlich, daß vielen von den ersten Künstlern
unserer Zeit, die berufen wären, neben den Auserwählten aller Zeiten zu figu-
riren, jener Vorzug abgeht, der Rasfael, Tizian, Veronese, Palma, Rubens,
Rembrandt voll und ganz zu eigen war: nämlich volle geistige Gesundheit. Man
mißverstehe diesen Ausdruck nicht. Er will keineswegs die Verstandeskräfte
einiger Koryphäen unserer zeitgenössischen deutschen Malerei verdächtigen, sondern
nur auf den krankhaften Zug hinweisen, der sich in den künstlerischen Indivi¬
dualitäten eines Makart, Böcklin, Feuerbach, Gabriel Max, Munkacsy, Lenbach
und vieler anderer bemerkbar macht. Bei den einen beeinflußt er die Wahl der
Stoffe, bei den andern die Technik.

Daß der Porträtmaler Lenbach, wie er heute vor uns steht, in einer un¬
erhört leichtfertigen Weise alles Körperliche, Hände, Arme, Schultern, das Bei¬
werk und die costümliche Folie behandelt und den Hauptaceent seiner Wirkung
allein ans den Kopf legt, ist auch ein derartiger Zug, ein Ausfluß krankhafter
Reflexion, die schließlich zur fixen Idee oder, was sich hübscher anhört, zum
„künstlerischen Programm" wird. Unsere gesammten Kunstverhältnisse tragen
freilich auch einen Theil der Schuld, daß eine solche Mißachtung der Form
überhaupt geduldet wird. Anfangs hielt mein's für eine Flüchtigkeit, für das
„Erbtheil des Genies", das man einem sonst hervorragenden Künstler wohl zu
gute halten darf. Als diese Nachlässigkeit aber immer wieder zurückkehrte und
immer ärger wurde, merkte man die Absicht, und man wurde verstimmt. Aber
da war es zu spät! Da war Lenbach bereits der in Wien und München höchst
gefeierte Meister des Porträts, und wer nicht bedingungslos in den lauten
Jubel einstimmte, welcher den auf alleil Ausstellungen preisgekrönten Meister
nmbrauste, der wurde entweder kleinlichen Neides bezichtigt, oder es wurde ihm
gar ein Verstandesmanco nachgesagt. Wir sagten, daß unsere Kunstverhältnisse
die Schuld an dieser bedauerlichen Erscheinung tragen, welche dem Bilde eines
begabten und interessanten Künstlers einen häßlichen Flecken anheftet. Lenbach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/515>, abgerufen am 03.07.2024.