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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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hundert Seiten gewesen sein," behauptete unsere Quelle -- gingen geraume Zeit
von Gastein, dann von Wien vergeblich ab, um auf einen Wechsel der Stim¬
mung und Ueberzeugung hinzuwirken. Noch immer Weigerung und Zögerung.
Und doch hatte die Sache Eile. Andrassy wollte sich aus Bedürfniß nach Ruhe
von der Leitung der Geschäfte zurückziehen. Er hatte seinen Nachfolger schon
nach Wien kommen lassen, hielt es aber für eine Ehre, das Bündniß noch selbst
abzuschließen. Auch Fürst Bismarck konnte nicht zu lange in Wien verweilen.
Wurde die Sache jetzt nicht gemacht, unter Andrassys Aegide, wer wußte, ob
überhaupt noch etwas daraus wurde? Es ist wahr, auch bisherige Gegner
Preußens hatten mit Widerwillen die Tücke und Verlogenheit der russischen
Politik erkannt, und ein bis dahin für rnssenfreundlich angesehener Erzherzog
hat sich später sehr indignirt über die Kniffe und Schliche derselben und erfreut
über das Zustandekommen des Bündnisses mit Deutschland ausgesprochen. Aber
niemand wußte einige Zeit vor dieser Aeußerung mit Bestimmtheit zu sagen, ob
es in Wien viele gab, die entschieden ein Herz für die Idee hatten.

Auch als der Kanzler nach Berlin zurückkam, war die Angelegenheit noch
nicht vollständig geordnet und somit eigentlich noch in der Schwebe, und als
er Urlaub nach Varzin erbeten und bekommen, mußte er die Bemerkung machen,
daß man keineswegs schon am Ziele und hinreichend sicher vor Entschließungen
sei, die ein Zurücktreten bedeuteten, obwohl das gesammte Staatsministerium
einmüthig die in Gastein und Wien gethanen Schritte gutgeheißen und zu den
seinigen gemacht hatte. Erst die Sendung Stolbergs und dessen feste Haltung
gaben den Ausschlag. Das Bündniß besteht und wird ungeachtet aller persön¬
lichen Pflege des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den Monarchen in
Berlin und Petersburg fortbestehen zu unserm und Oesterreich-Ungarns Heil.
Dieses wird uns alle Zeit näher liegen und allezeit viel mehr Vertrauen -- oder,
wie man in dieser unvollkommenen und unbehaglichen Welt vielleicht richtiger
sagt -- viel weniger Mißtrauen einflößen als Rußland mit seinen allerempsind-
samsten Freundschafts-Versicherungen, hinter denen doch immer arge Gedanken
und perfide Näukespinnerei arbeiten.




hundert Seiten gewesen sein," behauptete unsere Quelle — gingen geraume Zeit
von Gastein, dann von Wien vergeblich ab, um auf einen Wechsel der Stim¬
mung und Ueberzeugung hinzuwirken. Noch immer Weigerung und Zögerung.
Und doch hatte die Sache Eile. Andrassy wollte sich aus Bedürfniß nach Ruhe
von der Leitung der Geschäfte zurückziehen. Er hatte seinen Nachfolger schon
nach Wien kommen lassen, hielt es aber für eine Ehre, das Bündniß noch selbst
abzuschließen. Auch Fürst Bismarck konnte nicht zu lange in Wien verweilen.
Wurde die Sache jetzt nicht gemacht, unter Andrassys Aegide, wer wußte, ob
überhaupt noch etwas daraus wurde? Es ist wahr, auch bisherige Gegner
Preußens hatten mit Widerwillen die Tücke und Verlogenheit der russischen
Politik erkannt, und ein bis dahin für rnssenfreundlich angesehener Erzherzog
hat sich später sehr indignirt über die Kniffe und Schliche derselben und erfreut
über das Zustandekommen des Bündnisses mit Deutschland ausgesprochen. Aber
niemand wußte einige Zeit vor dieser Aeußerung mit Bestimmtheit zu sagen, ob
es in Wien viele gab, die entschieden ein Herz für die Idee hatten.

Auch als der Kanzler nach Berlin zurückkam, war die Angelegenheit noch
nicht vollständig geordnet und somit eigentlich noch in der Schwebe, und als
er Urlaub nach Varzin erbeten und bekommen, mußte er die Bemerkung machen,
daß man keineswegs schon am Ziele und hinreichend sicher vor Entschließungen
sei, die ein Zurücktreten bedeuteten, obwohl das gesammte Staatsministerium
einmüthig die in Gastein und Wien gethanen Schritte gutgeheißen und zu den
seinigen gemacht hatte. Erst die Sendung Stolbergs und dessen feste Haltung
gaben den Ausschlag. Das Bündniß besteht und wird ungeachtet aller persön¬
lichen Pflege des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den Monarchen in
Berlin und Petersburg fortbestehen zu unserm und Oesterreich-Ungarns Heil.
Dieses wird uns alle Zeit näher liegen und allezeit viel mehr Vertrauen — oder,
wie man in dieser unvollkommenen und unbehaglichen Welt vielleicht richtiger
sagt — viel weniger Mißtrauen einflößen als Rußland mit seinen allerempsind-
samsten Freundschafts-Versicherungen, hinter denen doch immer arge Gedanken
und perfide Näukespinnerei arbeiten.




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[0492] hundert Seiten gewesen sein," behauptete unsere Quelle — gingen geraume Zeit von Gastein, dann von Wien vergeblich ab, um auf einen Wechsel der Stim¬ mung und Ueberzeugung hinzuwirken. Noch immer Weigerung und Zögerung. Und doch hatte die Sache Eile. Andrassy wollte sich aus Bedürfniß nach Ruhe von der Leitung der Geschäfte zurückziehen. Er hatte seinen Nachfolger schon nach Wien kommen lassen, hielt es aber für eine Ehre, das Bündniß noch selbst abzuschließen. Auch Fürst Bismarck konnte nicht zu lange in Wien verweilen. Wurde die Sache jetzt nicht gemacht, unter Andrassys Aegide, wer wußte, ob überhaupt noch etwas daraus wurde? Es ist wahr, auch bisherige Gegner Preußens hatten mit Widerwillen die Tücke und Verlogenheit der russischen Politik erkannt, und ein bis dahin für rnssenfreundlich angesehener Erzherzog hat sich später sehr indignirt über die Kniffe und Schliche derselben und erfreut über das Zustandekommen des Bündnisses mit Deutschland ausgesprochen. Aber niemand wußte einige Zeit vor dieser Aeußerung mit Bestimmtheit zu sagen, ob es in Wien viele gab, die entschieden ein Herz für die Idee hatten. Auch als der Kanzler nach Berlin zurückkam, war die Angelegenheit noch nicht vollständig geordnet und somit eigentlich noch in der Schwebe, und als er Urlaub nach Varzin erbeten und bekommen, mußte er die Bemerkung machen, daß man keineswegs schon am Ziele und hinreichend sicher vor Entschließungen sei, die ein Zurücktreten bedeuteten, obwohl das gesammte Staatsministerium einmüthig die in Gastein und Wien gethanen Schritte gutgeheißen und zu den seinigen gemacht hatte. Erst die Sendung Stolbergs und dessen feste Haltung gaben den Ausschlag. Das Bündniß besteht und wird ungeachtet aller persön¬ lichen Pflege des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den Monarchen in Berlin und Petersburg fortbestehen zu unserm und Oesterreich-Ungarns Heil. Dieses wird uns alle Zeit näher liegen und allezeit viel mehr Vertrauen — oder, wie man in dieser unvollkommenen und unbehaglichen Welt vielleicht richtiger sagt — viel weniger Mißtrauen einflößen als Rußland mit seinen allerempsind- samsten Freundschafts-Versicherungen, hinter denen doch immer arge Gedanken und perfide Näukespinnerei arbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/492>, abgerufen am 23.07.2024.