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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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die Ohren im Schumannisinus. Ob dieser sich aber so schnell ausleben wird
wie der Mendelssohnisums, möchten wir bezweifeln. Schumann war zu reich
an eigenartigen Einfällen und neuen Combinationen; man hat ihm oft genug
gerade darum Mangel an Formensinn vorgeworfen, weil er, statt wie Mendels¬
sohn in einem Stücke ein, zwei glückliche Motive zu verarbeiten, sich nicht
genug thun kann und immer wieder Neues hinzubringt. Wollte man Schu¬
manns Gedanken in Mendelssohnscher Weise verarbeiten, so konnte man
Schumann wenigstens verfünffachen; hier ist Material in Hülle und Fülle, das
uoch lange nicht ausgenützt ist, die Goldklümpchen liegen dicht gesät, und es
kann noch viel Blattgold daraus gewälzt werden, um die hölzernen Schnitzereien
impotenter Epigonen damit zu übergolden. Der Mahnruf des Herrn I. Rubin¬
stein, von Schumann abzulassen, kommt etwas zu früh. Noch hat aber auch
Schumanns Ruhm beim großen Publikum uicht seinen Höhepunkt erreicht,
noch ist erst ein kleiner Theil seiner Kompositionen allgemein bekannt und
allgemein verstanden. Seine unvergleichlichen Lieder, trotz aller Schmähungen
erbärmlicher Speichellecker Wagners, wahre Edelsteine unserer musikalischen
Litteratur, sind noch immer nicht Gemeingut; seine Klavierwerke, besonders die
mosaikartig zusammengesetzten, wie die Novelletten, der Carneval, der Faschings¬
schwank, die Kreisleriana, die Davidsbündlertänze, erscheinen auf den Concert¬
programmen viel zu selten, als daß sie allbeliebt geworden sein könnten, es giebt
aber eine ansehnliche, immer wachsende Schar stiller Verehrer, die jene Werke
als echte Hausmusik hochhalten und immer mehr liebgewinnen. Bei den jün¬
geren Componisten läßt, wie gesagt, die Beliebtheit Schumanns nichts zu wün¬
schen übrig; sie brechen sich bald hier bald da ein Steinchen heraus, um sich
ein anderes Bildchen für eigene Rechnung zusammenzuleimen. Der Mahnruf
jenes Herrn Rubinstein (weder Anton noch Nicolaus, sondern nur -- Joseph)
könnte vielleicht als an den jüngern künstlerischen Nachwuchs gerichtet erscheine",
und man könnte auf die Idee kommen, er wolle hier ein bischen Vorsehung
spielen und im höchsten Interesse der Kunst vor dem Sichverrennen in die Schu-
manusche Manier warnen, wie Wagner seiner Zeit die Manier Z. 1a Mendelssohn
gegeißelt hat und dadurch vielleicht Mitursache zur Umkehr geworden ist. Allein
bei näherer Einsicht des betreffenden Pamphlets drängt sich einem unwider¬
stehlich die Ueberzeugung auf, daß es dem Verfasser nicht um die Verhütung
weiterer Nachahmung Schumanns zu thun ist, sondern daß er Schumanns Werke
selbst " Wut xrix discreditiren will, indem er ihm einfach alles abspricht, was
zu einem wahren Künstler gehört. Er war aber nicht allein ein echter Künstler
von unerschöpflicher Phantasie und origineller Gestaltungskraft, von wahrhaft
poetischer Empfindung und packender Charakteristik des Ausdrucks, er war auch
ein vortrefflicher Mensch und - ein neidloser College. Seine leider allzuwenig


die Ohren im Schumannisinus. Ob dieser sich aber so schnell ausleben wird
wie der Mendelssohnisums, möchten wir bezweifeln. Schumann war zu reich
an eigenartigen Einfällen und neuen Combinationen; man hat ihm oft genug
gerade darum Mangel an Formensinn vorgeworfen, weil er, statt wie Mendels¬
sohn in einem Stücke ein, zwei glückliche Motive zu verarbeiten, sich nicht
genug thun kann und immer wieder Neues hinzubringt. Wollte man Schu¬
manns Gedanken in Mendelssohnscher Weise verarbeiten, so konnte man
Schumann wenigstens verfünffachen; hier ist Material in Hülle und Fülle, das
uoch lange nicht ausgenützt ist, die Goldklümpchen liegen dicht gesät, und es
kann noch viel Blattgold daraus gewälzt werden, um die hölzernen Schnitzereien
impotenter Epigonen damit zu übergolden. Der Mahnruf des Herrn I. Rubin¬
stein, von Schumann abzulassen, kommt etwas zu früh. Noch hat aber auch
Schumanns Ruhm beim großen Publikum uicht seinen Höhepunkt erreicht,
noch ist erst ein kleiner Theil seiner Kompositionen allgemein bekannt und
allgemein verstanden. Seine unvergleichlichen Lieder, trotz aller Schmähungen
erbärmlicher Speichellecker Wagners, wahre Edelsteine unserer musikalischen
Litteratur, sind noch immer nicht Gemeingut; seine Klavierwerke, besonders die
mosaikartig zusammengesetzten, wie die Novelletten, der Carneval, der Faschings¬
schwank, die Kreisleriana, die Davidsbündlertänze, erscheinen auf den Concert¬
programmen viel zu selten, als daß sie allbeliebt geworden sein könnten, es giebt
aber eine ansehnliche, immer wachsende Schar stiller Verehrer, die jene Werke
als echte Hausmusik hochhalten und immer mehr liebgewinnen. Bei den jün¬
geren Componisten läßt, wie gesagt, die Beliebtheit Schumanns nichts zu wün¬
schen übrig; sie brechen sich bald hier bald da ein Steinchen heraus, um sich
ein anderes Bildchen für eigene Rechnung zusammenzuleimen. Der Mahnruf
jenes Herrn Rubinstein (weder Anton noch Nicolaus, sondern nur — Joseph)
könnte vielleicht als an den jüngern künstlerischen Nachwuchs gerichtet erscheine»,
und man könnte auf die Idee kommen, er wolle hier ein bischen Vorsehung
spielen und im höchsten Interesse der Kunst vor dem Sichverrennen in die Schu-
manusche Manier warnen, wie Wagner seiner Zeit die Manier Z. 1a Mendelssohn
gegeißelt hat und dadurch vielleicht Mitursache zur Umkehr geworden ist. Allein
bei näherer Einsicht des betreffenden Pamphlets drängt sich einem unwider¬
stehlich die Ueberzeugung auf, daß es dem Verfasser nicht um die Verhütung
weiterer Nachahmung Schumanns zu thun ist, sondern daß er Schumanns Werke
selbst » Wut xrix discreditiren will, indem er ihm einfach alles abspricht, was
zu einem wahren Künstler gehört. Er war aber nicht allein ein echter Künstler
von unerschöpflicher Phantasie und origineller Gestaltungskraft, von wahrhaft
poetischer Empfindung und packender Charakteristik des Ausdrucks, er war auch
ein vortrefflicher Mensch und - ein neidloser College. Seine leider allzuwenig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/46>, abgerufen am 23.07.2024.