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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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der höheren Lage ein herrliches Klima, das einem ewigen Frühlinge gleicht,
während jene tiefer gelegene Südhälfte des Chancits glühend heiße Tage und
eiskalte Nächte hat und für Europäer nur in den drei kalten Monaten des
Jahres bewohnbar ist.

Die Bevölkerung des Landes besteht aus Tadschiks, welche die Mehrzahl
bilden, meist Ackerbau und Obstgärtnerei treiben und die zahlreichen Laster sowie
die wenigen Tugenden ihrer Stammgenossen in Persien theilen, dann aus noma-
disirenden Turkmenen, ans Afghanen, aus Hindus, welche meist Handelsleute
sind, aus Arabern und Juden. Die Araber, die etwa 6000 Zelte besitzen und
zwischen den Städten Herat und Mesched herumziehen, und die Afghanen sind
die Besitzer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen lassen.
Da sie Sunniten sind und ihre schulischen Nachbarn, die Perser, als Ketzer
hassen, waren sie bis auf die neueste Zeit als natürliche Verbündete der Eng¬
länder zu betrachten, wenn diese mit Persien in Zwiespalt geriethen. Die
bürgerliche Verfassung gleicht der im übrigen Afghanistan. Der Chan regiert
despotisch. Bei der seßhaften Bevölkerung ist die Gemeinde, bei der nomadi-
sirenden ein Rath von Aeltesten die Grundlage des politischen Lebens und der
einzige Schutz vor den Erpressungen der Regierung.

Die Hauptstadt Herat, von den Dichtern als "Segensort" und "Perle der
Welt" gepriesen, liegt, fast genau südlich von dem jetzt ebenfalls vielgenannten
Merw, unter 34° 32' n. Br. und 62° 9' ö. L. in dem von Bergen eingeschlos¬
senen Thale des Herirud, eines Flusses, der sich weiterhin in der Tnrkmenen-
steppe im Sande verläuft. Die Stadt, eine der größten auf dem iranischen
Plateau, bildet ein Quadrat, das eine Länge von 1600 und eine Breite von
1400 Ellen hat. Dieses Viereck umgiebt ein Erdwall, auf dem sich eine Mauer
aus ungebrannten Lehmsteinen erhebt. Der Wall ist 40 bis 60, die Mauer
25 bis 30 Fuß hoch. Das Ganze umschließt ein breiter und tiefer Graben
der stets mit Wasser gefüllt ist. Diese nur mit schwerem Geschütz zu bewälti¬
gende Befestigung wird durch eine Citadelle um Nord-Ende der Stadt verstärkt,
die gleichfalls mit einem Wassergraben umgeben ist. Jede der vier Seiten der
Mauer hat ein Thor, die nördliche aber noch ein zweites. Von jedem Thore
führen Reihen steinerner Laden, vier große, oben in Bogen auslaufende Bazare
bildend, nach einem freien Platze im Centrum der Stadt. In den Hallen dieser
Bazare, die zusammen 1200 Läden enthalten, fluthet alles Volksleben von Herat,
soweit es in die Oeffentlichkeit tritt, in buntem Gewimmel hin und her. Außer¬
dem besitzt die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthäuser, 20 öffentliche Bäder,
viele gemauerte Cisternen und eine Menge von Moscheen, die zum Theil schön
und prachtvoll sind, ferner zahlreiche Schulen und Klöster, sowie einige Paläste.
Die meisten übrigen Gebäude aber sind klein und niedrig, die Gassen krumm,


der höheren Lage ein herrliches Klima, das einem ewigen Frühlinge gleicht,
während jene tiefer gelegene Südhälfte des Chancits glühend heiße Tage und
eiskalte Nächte hat und für Europäer nur in den drei kalten Monaten des
Jahres bewohnbar ist.

Die Bevölkerung des Landes besteht aus Tadschiks, welche die Mehrzahl
bilden, meist Ackerbau und Obstgärtnerei treiben und die zahlreichen Laster sowie
die wenigen Tugenden ihrer Stammgenossen in Persien theilen, dann aus noma-
disirenden Turkmenen, ans Afghanen, aus Hindus, welche meist Handelsleute
sind, aus Arabern und Juden. Die Araber, die etwa 6000 Zelte besitzen und
zwischen den Städten Herat und Mesched herumziehen, und die Afghanen sind
die Besitzer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen lassen.
Da sie Sunniten sind und ihre schulischen Nachbarn, die Perser, als Ketzer
hassen, waren sie bis auf die neueste Zeit als natürliche Verbündete der Eng¬
länder zu betrachten, wenn diese mit Persien in Zwiespalt geriethen. Die
bürgerliche Verfassung gleicht der im übrigen Afghanistan. Der Chan regiert
despotisch. Bei der seßhaften Bevölkerung ist die Gemeinde, bei der nomadi-
sirenden ein Rath von Aeltesten die Grundlage des politischen Lebens und der
einzige Schutz vor den Erpressungen der Regierung.

Die Hauptstadt Herat, von den Dichtern als „Segensort" und „Perle der
Welt" gepriesen, liegt, fast genau südlich von dem jetzt ebenfalls vielgenannten
Merw, unter 34° 32' n. Br. und 62° 9' ö. L. in dem von Bergen eingeschlos¬
senen Thale des Herirud, eines Flusses, der sich weiterhin in der Tnrkmenen-
steppe im Sande verläuft. Die Stadt, eine der größten auf dem iranischen
Plateau, bildet ein Quadrat, das eine Länge von 1600 und eine Breite von
1400 Ellen hat. Dieses Viereck umgiebt ein Erdwall, auf dem sich eine Mauer
aus ungebrannten Lehmsteinen erhebt. Der Wall ist 40 bis 60, die Mauer
25 bis 30 Fuß hoch. Das Ganze umschließt ein breiter und tiefer Graben
der stets mit Wasser gefüllt ist. Diese nur mit schwerem Geschütz zu bewälti¬
gende Befestigung wird durch eine Citadelle um Nord-Ende der Stadt verstärkt,
die gleichfalls mit einem Wassergraben umgeben ist. Jede der vier Seiten der
Mauer hat ein Thor, die nördliche aber noch ein zweites. Von jedem Thore
führen Reihen steinerner Laden, vier große, oben in Bogen auslaufende Bazare
bildend, nach einem freien Platze im Centrum der Stadt. In den Hallen dieser
Bazare, die zusammen 1200 Läden enthalten, fluthet alles Volksleben von Herat,
soweit es in die Oeffentlichkeit tritt, in buntem Gewimmel hin und her. Außer¬
dem besitzt die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthäuser, 20 öffentliche Bäder,
viele gemauerte Cisternen und eine Menge von Moscheen, die zum Theil schön
und prachtvoll sind, ferner zahlreiche Schulen und Klöster, sowie einige Paläste.
Die meisten übrigen Gebäude aber sind klein und niedrig, die Gassen krumm,


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[0450] der höheren Lage ein herrliches Klima, das einem ewigen Frühlinge gleicht, während jene tiefer gelegene Südhälfte des Chancits glühend heiße Tage und eiskalte Nächte hat und für Europäer nur in den drei kalten Monaten des Jahres bewohnbar ist. Die Bevölkerung des Landes besteht aus Tadschiks, welche die Mehrzahl bilden, meist Ackerbau und Obstgärtnerei treiben und die zahlreichen Laster sowie die wenigen Tugenden ihrer Stammgenossen in Persien theilen, dann aus noma- disirenden Turkmenen, ans Afghanen, aus Hindus, welche meist Handelsleute sind, aus Arabern und Juden. Die Araber, die etwa 6000 Zelte besitzen und zwischen den Städten Herat und Mesched herumziehen, und die Afghanen sind die Besitzer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen lassen. Da sie Sunniten sind und ihre schulischen Nachbarn, die Perser, als Ketzer hassen, waren sie bis auf die neueste Zeit als natürliche Verbündete der Eng¬ länder zu betrachten, wenn diese mit Persien in Zwiespalt geriethen. Die bürgerliche Verfassung gleicht der im übrigen Afghanistan. Der Chan regiert despotisch. Bei der seßhaften Bevölkerung ist die Gemeinde, bei der nomadi- sirenden ein Rath von Aeltesten die Grundlage des politischen Lebens und der einzige Schutz vor den Erpressungen der Regierung. Die Hauptstadt Herat, von den Dichtern als „Segensort" und „Perle der Welt" gepriesen, liegt, fast genau südlich von dem jetzt ebenfalls vielgenannten Merw, unter 34° 32' n. Br. und 62° 9' ö. L. in dem von Bergen eingeschlos¬ senen Thale des Herirud, eines Flusses, der sich weiterhin in der Tnrkmenen- steppe im Sande verläuft. Die Stadt, eine der größten auf dem iranischen Plateau, bildet ein Quadrat, das eine Länge von 1600 und eine Breite von 1400 Ellen hat. Dieses Viereck umgiebt ein Erdwall, auf dem sich eine Mauer aus ungebrannten Lehmsteinen erhebt. Der Wall ist 40 bis 60, die Mauer 25 bis 30 Fuß hoch. Das Ganze umschließt ein breiter und tiefer Graben der stets mit Wasser gefüllt ist. Diese nur mit schwerem Geschütz zu bewälti¬ gende Befestigung wird durch eine Citadelle um Nord-Ende der Stadt verstärkt, die gleichfalls mit einem Wassergraben umgeben ist. Jede der vier Seiten der Mauer hat ein Thor, die nördliche aber noch ein zweites. Von jedem Thore führen Reihen steinerner Laden, vier große, oben in Bogen auslaufende Bazare bildend, nach einem freien Platze im Centrum der Stadt. In den Hallen dieser Bazare, die zusammen 1200 Läden enthalten, fluthet alles Volksleben von Herat, soweit es in die Oeffentlichkeit tritt, in buntem Gewimmel hin und her. Außer¬ dem besitzt die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthäuser, 20 öffentliche Bäder, viele gemauerte Cisternen und eine Menge von Moscheen, die zum Theil schön und prachtvoll sind, ferner zahlreiche Schulen und Klöster, sowie einige Paläste. Die meisten übrigen Gebäude aber sind klein und niedrig, die Gassen krumm,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/450>, abgerufen am 22.07.2024.