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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Steuerzahler so wohlfeil als möglich verwalten und bauen soll, sodaß in kurzer
Zeit alle Werke, welche nicht unter den allergünstigsten Verhältnissen arbeiten,
eingegangen sein werden und nur wenige Zeit später auch die letzten Werke
nur dadurch werden erhalten werden können, daß der Staat dieselben selbst in
Betrieb nimmt. Dies sind klar zu übersehende und künftig unabwendbar ein¬
tretende Consequenzen eines völlig centralisirenden Staatsbahnsystems.

Wir heben diesen Punkt, welcher für einen großen Theil unserer vater¬
ländischen Industrie von einschneidendster Bedeutung ist, aufs angelegentlichste
hervor, da derselbe weder in den darauf bezüglichen Landtagsdebatten, noch in
der Presse in seiner ganzen Tragweite gewürdigt worden ist. Daß die großen
Eisenindustriellen den von uns eventuell prophezeiten Lauf der Dinge gleichfalls
voraussehen, geht aus einer wenn auch nur vorübergehend in mehreren Zeitungen
aufgetauchten Nachricht hervor, daß mehrere der bedeutendsten Eisenwerkbesitzer
Westfalens, unter anderen Krupp in Essen, ihre Werke dem Staate zum Ver¬
kauf angeboten hätten. Natürlich: wenn neben den Gnßstahlkanonen, den ge¬
schmiedeten Panzerplatten der Kriegsschiffe und den Hartgußschalen der Pcmzer-
cabonniere für die Festungen auch noch der ganze Eisenbahnbedarf vom Staate
bestellt wird, dann verschwinden die übrigen Abnehmer, und die Eisenindu¬
strie wird Staatsindustrie. Was aber, nachdem die größte und wichtigste In¬
dustrie an den Staat übergegangen sein wird, von privaten Industriebetrieben
noch übrig bleibt, wird nur zu sehr geneigt sein, dem einmal in Bewegung ge¬
setzten großen Strome zu folgen. Die Socialisten dürften sich dann freuen, das
Ideal ihrer Wünsche auf dem unblutigen Wege anscheinend völlig organischer
Entwicklung verwirklicht zu sehen. Hier droht eine Gefahr für das Volks- und
Staatsleben, welche nicht schwarz genug gemalt werden kann. Aber nehmen
wir selbst an, daß die Zeiten des socialistischen Staates noch einigermaßen ent¬
fernt seien: wohin soll es führen, wie inhaltlos und matt wird der größte und
beste Theil unserer Industrie, derjenige, welcher die kernigsten und kräftigsten
Arbeiter, die tüchtigsten Techniker und die intelligentesten Unternehmer beschäftigt
und nährt, welcher die Initiative, die geistige und körperliche Kraft und die
Erfindungsgabe jedes Einzelnen vom obersten Leiter eines Werkes bis zum ge¬
meinen Arbeiter herab immerfort anspornt und wach erhält, welcher dem Ein¬
zelnen gestattet, durch besondere Anstrengungen oder Erfindungen reicheren Ge¬
winn zu erwerben -- wie inhaltlos und matt würde dieser größte und beste
Theil unserer Industrie dahinsiechen, wenn nur ein Unternehmer das Ganze
betriebe -- und wenn dieser eine selbst der Staat ist. Der Staat kann das
massenhafte ihm unterstellte Menschenmaterial nur gleichmäßig und schablonen¬
mäßig behandeln, kann die Eigenthümlichkeiten der Einzelnen nicht genügend
berücksichtigen, darf außerordentlichen Gewinn für den Einzelnen nicht zulassen,


Steuerzahler so wohlfeil als möglich verwalten und bauen soll, sodaß in kurzer
Zeit alle Werke, welche nicht unter den allergünstigsten Verhältnissen arbeiten,
eingegangen sein werden und nur wenige Zeit später auch die letzten Werke
nur dadurch werden erhalten werden können, daß der Staat dieselben selbst in
Betrieb nimmt. Dies sind klar zu übersehende und künftig unabwendbar ein¬
tretende Consequenzen eines völlig centralisirenden Staatsbahnsystems.

Wir heben diesen Punkt, welcher für einen großen Theil unserer vater¬
ländischen Industrie von einschneidendster Bedeutung ist, aufs angelegentlichste
hervor, da derselbe weder in den darauf bezüglichen Landtagsdebatten, noch in
der Presse in seiner ganzen Tragweite gewürdigt worden ist. Daß die großen
Eisenindustriellen den von uns eventuell prophezeiten Lauf der Dinge gleichfalls
voraussehen, geht aus einer wenn auch nur vorübergehend in mehreren Zeitungen
aufgetauchten Nachricht hervor, daß mehrere der bedeutendsten Eisenwerkbesitzer
Westfalens, unter anderen Krupp in Essen, ihre Werke dem Staate zum Ver¬
kauf angeboten hätten. Natürlich: wenn neben den Gnßstahlkanonen, den ge¬
schmiedeten Panzerplatten der Kriegsschiffe und den Hartgußschalen der Pcmzer-
cabonniere für die Festungen auch noch der ganze Eisenbahnbedarf vom Staate
bestellt wird, dann verschwinden die übrigen Abnehmer, und die Eisenindu¬
strie wird Staatsindustrie. Was aber, nachdem die größte und wichtigste In¬
dustrie an den Staat übergegangen sein wird, von privaten Industriebetrieben
noch übrig bleibt, wird nur zu sehr geneigt sein, dem einmal in Bewegung ge¬
setzten großen Strome zu folgen. Die Socialisten dürften sich dann freuen, das
Ideal ihrer Wünsche auf dem unblutigen Wege anscheinend völlig organischer
Entwicklung verwirklicht zu sehen. Hier droht eine Gefahr für das Volks- und
Staatsleben, welche nicht schwarz genug gemalt werden kann. Aber nehmen
wir selbst an, daß die Zeiten des socialistischen Staates noch einigermaßen ent¬
fernt seien: wohin soll es führen, wie inhaltlos und matt wird der größte und
beste Theil unserer Industrie, derjenige, welcher die kernigsten und kräftigsten
Arbeiter, die tüchtigsten Techniker und die intelligentesten Unternehmer beschäftigt
und nährt, welcher die Initiative, die geistige und körperliche Kraft und die
Erfindungsgabe jedes Einzelnen vom obersten Leiter eines Werkes bis zum ge¬
meinen Arbeiter herab immerfort anspornt und wach erhält, welcher dem Ein¬
zelnen gestattet, durch besondere Anstrengungen oder Erfindungen reicheren Ge¬
winn zu erwerben — wie inhaltlos und matt würde dieser größte und beste
Theil unserer Industrie dahinsiechen, wenn nur ein Unternehmer das Ganze
betriebe — und wenn dieser eine selbst der Staat ist. Der Staat kann das
massenhafte ihm unterstellte Menschenmaterial nur gleichmäßig und schablonen¬
mäßig behandeln, kann die Eigenthümlichkeiten der Einzelnen nicht genügend
berücksichtigen, darf außerordentlichen Gewinn für den Einzelnen nicht zulassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/404>, abgerufen am 23.07.2024.