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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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leben im Kreise ihrer Lieben und zehrt von der Erinnerung an eine bessere
Vergangenheit. -- Ein anderes Blatt wird von einem verbissenen und gehässigen,
Europens übertünchte Höflichkeit nicht lernenden Barbaren redigirt und hat
seinen Schwerpunkt in einer möglichst gepfefferter Loealkritik und schmähsüchtigen
Briefkastennotizen; Scandal ist seine Freude, und Häkeleien mit andern Blättern
sind sein besonderes Vergnügen. Damit verträgt sich's nicht übel, daß das Evan¬
gelium von Vayreuth in seinen Leitartikeln gepredigt wird, und zwar von seinen
berufensten Aposteln, und es erscheint nicht einmal als Widerspruch, daß auch
der Meis wKsicas Mriuonis 6"zrwa>irae runo xriiuzsxs als Nebensonne
verehrt wird. Es versteht sich von selbst, daß von Wissenschaftlichkeit auch hier
kein Hauch zu spüren ist und eine objective Würdigung des Guten aller Rich¬
tungen durch den einseitigen Verfolg einer Richtung ausgeschlossen ist. -- Dieser
Zeitung steht in vieler Beziehung eine andere nahe, schon darum, weil diese
andere durch einen der ausgesprochensten Bei-Reuter redigirt wird, der zwar
auch einigermaßen ein Wütherich ist, besonders wo es gilt, mit Keulen auf die
Ungläubigen dreinzuschlagen, übrigens aber ein Mann von vielem Wissen und
einer unserer besten Witzköpfe. In Folge dessen hat er auch mit der Zeit sein
Blatt etwas in die Höhe gebracht, sodaß es jetzt wenigstens zu den mittelmäßigen
gezählt werden kann. Freilich eine Musikzeitung der Art, wie wir sie wünschen
und wie sie wirklich noth thut, ist auch sie nicht und wird sie wohl auch nie
werden. -- Der Rest ist Schweigen. Von dem mystischen Monatsblättchen, in
welchem sich der Geist des großen Einen direct oder indirect manifestirt, wollen
wir lieber nicht reden; wir haben darauf kürzlich einmal bei anderer Ge¬
legenheit einen Blick geworfen, der uns wenig Erfreuliches enthüllt hat.
Wir beneiden die Wagner - Fetischisten nicht um das Glück, in dem Gedanken
an die Unübertrefslichkeit und Unerreichbarkeit des Meisters so aufzugehen, daß
sie zu einer gewissen Selbstlosigkeit gelangen und von dem wahnsinnigen Ver¬
suche abstehen, ihm nachzueifern. Wir wollen ihnen nur wünschen, daß es
ihnen gelingt, ans ihrem Kreise Männer fernzuhalten, die sich zwar auf Wagners
Namen taufen lassen, aber an seine Unfehlbarkeit nicht glauben. Haben wir
es doch einmal mit angehört, wie der Vorsitzende eines Wagner-Vereins aus
den anwesenden Meister eine sinnvolle Rede hielt, in welcher er die Hoffnung
aussprach, "daß Wagner wohl mit seinen Ideen mit der Zeit im allgemeinen
Recht behalten werde". Er sprach seine ehrliche Ueberzeugung aus, die gewiß
viele Anwesende theilten; aber über den Meister und seine Jünger goß er einen
Topf mit kaltem Wasser aus.*)



*) Eine Musikzeitung hat der Verfasser dieses Aufsatzes nicht mit berührt: die eines
bekannten Leipziger Localblattes. Dieses Blatt hat nämlich zwei, nnter besonderer, von
der Hauptrcdactwn unabhängiger Nebenredaction stehende Abtheilungen: eine vortrefflich
Grenzboten 1. 1SL0. 4S

leben im Kreise ihrer Lieben und zehrt von der Erinnerung an eine bessere
Vergangenheit. — Ein anderes Blatt wird von einem verbissenen und gehässigen,
Europens übertünchte Höflichkeit nicht lernenden Barbaren redigirt und hat
seinen Schwerpunkt in einer möglichst gepfefferter Loealkritik und schmähsüchtigen
Briefkastennotizen; Scandal ist seine Freude, und Häkeleien mit andern Blättern
sind sein besonderes Vergnügen. Damit verträgt sich's nicht übel, daß das Evan¬
gelium von Vayreuth in seinen Leitartikeln gepredigt wird, und zwar von seinen
berufensten Aposteln, und es erscheint nicht einmal als Widerspruch, daß auch
der Meis wKsicas Mriuonis 6«zrwa>irae runo xriiuzsxs als Nebensonne
verehrt wird. Es versteht sich von selbst, daß von Wissenschaftlichkeit auch hier
kein Hauch zu spüren ist und eine objective Würdigung des Guten aller Rich¬
tungen durch den einseitigen Verfolg einer Richtung ausgeschlossen ist. — Dieser
Zeitung steht in vieler Beziehung eine andere nahe, schon darum, weil diese
andere durch einen der ausgesprochensten Bei-Reuter redigirt wird, der zwar
auch einigermaßen ein Wütherich ist, besonders wo es gilt, mit Keulen auf die
Ungläubigen dreinzuschlagen, übrigens aber ein Mann von vielem Wissen und
einer unserer besten Witzköpfe. In Folge dessen hat er auch mit der Zeit sein
Blatt etwas in die Höhe gebracht, sodaß es jetzt wenigstens zu den mittelmäßigen
gezählt werden kann. Freilich eine Musikzeitung der Art, wie wir sie wünschen
und wie sie wirklich noth thut, ist auch sie nicht und wird sie wohl auch nie
werden. — Der Rest ist Schweigen. Von dem mystischen Monatsblättchen, in
welchem sich der Geist des großen Einen direct oder indirect manifestirt, wollen
wir lieber nicht reden; wir haben darauf kürzlich einmal bei anderer Ge¬
legenheit einen Blick geworfen, der uns wenig Erfreuliches enthüllt hat.
Wir beneiden die Wagner - Fetischisten nicht um das Glück, in dem Gedanken
an die Unübertrefslichkeit und Unerreichbarkeit des Meisters so aufzugehen, daß
sie zu einer gewissen Selbstlosigkeit gelangen und von dem wahnsinnigen Ver¬
suche abstehen, ihm nachzueifern. Wir wollen ihnen nur wünschen, daß es
ihnen gelingt, ans ihrem Kreise Männer fernzuhalten, die sich zwar auf Wagners
Namen taufen lassen, aber an seine Unfehlbarkeit nicht glauben. Haben wir
es doch einmal mit angehört, wie der Vorsitzende eines Wagner-Vereins aus
den anwesenden Meister eine sinnvolle Rede hielt, in welcher er die Hoffnung
aussprach, „daß Wagner wohl mit seinen Ideen mit der Zeit im allgemeinen
Recht behalten werde". Er sprach seine ehrliche Ueberzeugung aus, die gewiß
viele Anwesende theilten; aber über den Meister und seine Jünger goß er einen
Topf mit kaltem Wasser aus.*)



*) Eine Musikzeitung hat der Verfasser dieses Aufsatzes nicht mit berührt: die eines
bekannten Leipziger Localblattes. Dieses Blatt hat nämlich zwei, nnter besonderer, von
der Hauptrcdactwn unabhängiger Nebenredaction stehende Abtheilungen: eine vortrefflich
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[0393] leben im Kreise ihrer Lieben und zehrt von der Erinnerung an eine bessere Vergangenheit. — Ein anderes Blatt wird von einem verbissenen und gehässigen, Europens übertünchte Höflichkeit nicht lernenden Barbaren redigirt und hat seinen Schwerpunkt in einer möglichst gepfefferter Loealkritik und schmähsüchtigen Briefkastennotizen; Scandal ist seine Freude, und Häkeleien mit andern Blättern sind sein besonderes Vergnügen. Damit verträgt sich's nicht übel, daß das Evan¬ gelium von Vayreuth in seinen Leitartikeln gepredigt wird, und zwar von seinen berufensten Aposteln, und es erscheint nicht einmal als Widerspruch, daß auch der Meis wKsicas Mriuonis 6«zrwa>irae runo xriiuzsxs als Nebensonne verehrt wird. Es versteht sich von selbst, daß von Wissenschaftlichkeit auch hier kein Hauch zu spüren ist und eine objective Würdigung des Guten aller Rich¬ tungen durch den einseitigen Verfolg einer Richtung ausgeschlossen ist. — Dieser Zeitung steht in vieler Beziehung eine andere nahe, schon darum, weil diese andere durch einen der ausgesprochensten Bei-Reuter redigirt wird, der zwar auch einigermaßen ein Wütherich ist, besonders wo es gilt, mit Keulen auf die Ungläubigen dreinzuschlagen, übrigens aber ein Mann von vielem Wissen und einer unserer besten Witzköpfe. In Folge dessen hat er auch mit der Zeit sein Blatt etwas in die Höhe gebracht, sodaß es jetzt wenigstens zu den mittelmäßigen gezählt werden kann. Freilich eine Musikzeitung der Art, wie wir sie wünschen und wie sie wirklich noth thut, ist auch sie nicht und wird sie wohl auch nie werden. — Der Rest ist Schweigen. Von dem mystischen Monatsblättchen, in welchem sich der Geist des großen Einen direct oder indirect manifestirt, wollen wir lieber nicht reden; wir haben darauf kürzlich einmal bei anderer Ge¬ legenheit einen Blick geworfen, der uns wenig Erfreuliches enthüllt hat. Wir beneiden die Wagner - Fetischisten nicht um das Glück, in dem Gedanken an die Unübertrefslichkeit und Unerreichbarkeit des Meisters so aufzugehen, daß sie zu einer gewissen Selbstlosigkeit gelangen und von dem wahnsinnigen Ver¬ suche abstehen, ihm nachzueifern. Wir wollen ihnen nur wünschen, daß es ihnen gelingt, ans ihrem Kreise Männer fernzuhalten, die sich zwar auf Wagners Namen taufen lassen, aber an seine Unfehlbarkeit nicht glauben. Haben wir es doch einmal mit angehört, wie der Vorsitzende eines Wagner-Vereins aus den anwesenden Meister eine sinnvolle Rede hielt, in welcher er die Hoffnung aussprach, „daß Wagner wohl mit seinen Ideen mit der Zeit im allgemeinen Recht behalten werde". Er sprach seine ehrliche Ueberzeugung aus, die gewiß viele Anwesende theilten; aber über den Meister und seine Jünger goß er einen Topf mit kaltem Wasser aus.*) *) Eine Musikzeitung hat der Verfasser dieses Aufsatzes nicht mit berührt: die eines bekannten Leipziger Localblattes. Dieses Blatt hat nämlich zwei, nnter besonderer, von der Hauptrcdactwn unabhängiger Nebenredaction stehende Abtheilungen: eine vortrefflich Grenzboten 1. 1SL0. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/393>, abgerufen am 22.07.2024.