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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Helden aufgeklärt, erscheint uns dieses blutige Drama als ein ekelhaftes Satyr¬
spiel, in welchen: nur die niedrigsten Leidenschaften der Menschheit handelnd
auf die Schaubühne treten. Und so sehlt auch heute bereits den Girondisten
die Gloriole, welche Lamartine um ihre Häupter gewunden. Schönrednerische
Schwärmer, die von einer idealen Republik träumten, scheuten sie vor den
letzten Consequenzen der Terroristen zurück, und an dieser Halbheit gingen sie
zu Grunde. Ihre Jugend, ihr geistiger Schwung in einer brutalen, allen
geistigen Regungen abgekehrten Zeit und die außerordentliche Rednergabe
Vergniauds, ihres Führers, haben ihnen bei der Nachwelt Sympathien erworben,
die sie, genau betrachtet, uicht verdienen. Sie waren eben nur um eine Nuance
weniger roth als die Schreckensmänner, die ihren Untergang beschlossen.

Hätte Piloty diesen Stoff dreißig Jahre früher behandelt, so wäre ihm
das Licht der Geschichte weniger unbequem geworden. Damals hätte die Mal¬
weise, die er für sein Bild beliebt hat, auch den Ansprüchen mehr genügt als
heute. Gegen den "Triumphzug des Germanicus" bezeichnet dieses Gemälde
coloristisch einen sehr bedenklichen Rückschritt. Kaum einige Figuren des Vorder¬
grundes -- es sind, wie gewöhnlich, die gleich giltigsten -- zeigen noch Spuren
des alten Glanzes, der ehedem von der Palette Pilotys ausstrahlte. Schon
Vergniaud ist flau und energielos behandelt, und gegen den Hintergrund zu
gewinnen die durch einen grauen Schleier gebrochenen Farben völlig die
Oberhand. Auch coloristisch ist dieses Bild also eine unerfreuliche Leistung.
Vielleicht hat zu seinem Mißerfolge auch der Umstand beigetragen, daß Piloty
einen zu kleinen Maßstab gewählt hat. Der Künstler bedarf lebensgroßer
Figuren, um den ganzen Reichthum feiner Farben auszubeuten. Um im Kleinen
Großes zu leisten, dazu fehlt ihm die Feinheit der Durchbildung des Einzelne",
die z. B. seinem Schüler Defregger in hohem Grade eigen ist. Wie dieser
strauchelte, als er ein Historienbild mit Figuren in Lebensgröße ausführte, weil
ihm die Kraft fehlt, große Fläche" malerisch zu beleben, so vermag Piloty nicht,
sein coloristisches Können wirksam auf einen: kleinen Raume zu concentriren.
Schon feine "Ermordung Cäsars" hätte eine große Wirkung erzielt, wenn sich
Piloty nicht auch hier im Maßstabe vergriffen.

Ein Münchener Kunsthändler ist auf den unglücklichen Gedanke:: gekommen,
dieses Bild zugleich mit den: Gemälde des französischen Kriegsmalers Alphons
de Neuville, I^o Lour^se, auf die Wanderschaft zu schicke::. Den: deutschen
Maler konnte kein schlimmerer Dienst erwiesen werden als eine solche Zusammen¬
stellung mit einer Schöpfung aus der neuesten Realistenschule. Neuville hat
den Stoff zu seinem Bilde aus der Münchhauseniade gewählt, welche der
General Ducrvt unter den: Titel I^g, ckstsnW as ?aris herausgegeben hat. An
dem blutigen Tage des 30. October 1870 spielte der Kampf um die Kirche des


Helden aufgeklärt, erscheint uns dieses blutige Drama als ein ekelhaftes Satyr¬
spiel, in welchen: nur die niedrigsten Leidenschaften der Menschheit handelnd
auf die Schaubühne treten. Und so sehlt auch heute bereits den Girondisten
die Gloriole, welche Lamartine um ihre Häupter gewunden. Schönrednerische
Schwärmer, die von einer idealen Republik träumten, scheuten sie vor den
letzten Consequenzen der Terroristen zurück, und an dieser Halbheit gingen sie
zu Grunde. Ihre Jugend, ihr geistiger Schwung in einer brutalen, allen
geistigen Regungen abgekehrten Zeit und die außerordentliche Rednergabe
Vergniauds, ihres Führers, haben ihnen bei der Nachwelt Sympathien erworben,
die sie, genau betrachtet, uicht verdienen. Sie waren eben nur um eine Nuance
weniger roth als die Schreckensmänner, die ihren Untergang beschlossen.

Hätte Piloty diesen Stoff dreißig Jahre früher behandelt, so wäre ihm
das Licht der Geschichte weniger unbequem geworden. Damals hätte die Mal¬
weise, die er für sein Bild beliebt hat, auch den Ansprüchen mehr genügt als
heute. Gegen den „Triumphzug des Germanicus" bezeichnet dieses Gemälde
coloristisch einen sehr bedenklichen Rückschritt. Kaum einige Figuren des Vorder¬
grundes — es sind, wie gewöhnlich, die gleich giltigsten — zeigen noch Spuren
des alten Glanzes, der ehedem von der Palette Pilotys ausstrahlte. Schon
Vergniaud ist flau und energielos behandelt, und gegen den Hintergrund zu
gewinnen die durch einen grauen Schleier gebrochenen Farben völlig die
Oberhand. Auch coloristisch ist dieses Bild also eine unerfreuliche Leistung.
Vielleicht hat zu seinem Mißerfolge auch der Umstand beigetragen, daß Piloty
einen zu kleinen Maßstab gewählt hat. Der Künstler bedarf lebensgroßer
Figuren, um den ganzen Reichthum feiner Farben auszubeuten. Um im Kleinen
Großes zu leisten, dazu fehlt ihm die Feinheit der Durchbildung des Einzelne»,
die z. B. seinem Schüler Defregger in hohem Grade eigen ist. Wie dieser
strauchelte, als er ein Historienbild mit Figuren in Lebensgröße ausführte, weil
ihm die Kraft fehlt, große Fläche» malerisch zu beleben, so vermag Piloty nicht,
sein coloristisches Können wirksam auf einen: kleinen Raume zu concentriren.
Schon feine „Ermordung Cäsars" hätte eine große Wirkung erzielt, wenn sich
Piloty nicht auch hier im Maßstabe vergriffen.

Ein Münchener Kunsthändler ist auf den unglücklichen Gedanke:: gekommen,
dieses Bild zugleich mit den: Gemälde des französischen Kriegsmalers Alphons
de Neuville, I^o Lour^se, auf die Wanderschaft zu schicke::. Den: deutschen
Maler konnte kein schlimmerer Dienst erwiesen werden als eine solche Zusammen¬
stellung mit einer Schöpfung aus der neuesten Realistenschule. Neuville hat
den Stoff zu seinem Bilde aus der Münchhauseniade gewählt, welche der
General Ducrvt unter den: Titel I^g, ckstsnW as ?aris herausgegeben hat. An
dem blutigen Tage des 30. October 1870 spielte der Kampf um die Kirche des


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[0382] Helden aufgeklärt, erscheint uns dieses blutige Drama als ein ekelhaftes Satyr¬ spiel, in welchen: nur die niedrigsten Leidenschaften der Menschheit handelnd auf die Schaubühne treten. Und so sehlt auch heute bereits den Girondisten die Gloriole, welche Lamartine um ihre Häupter gewunden. Schönrednerische Schwärmer, die von einer idealen Republik träumten, scheuten sie vor den letzten Consequenzen der Terroristen zurück, und an dieser Halbheit gingen sie zu Grunde. Ihre Jugend, ihr geistiger Schwung in einer brutalen, allen geistigen Regungen abgekehrten Zeit und die außerordentliche Rednergabe Vergniauds, ihres Führers, haben ihnen bei der Nachwelt Sympathien erworben, die sie, genau betrachtet, uicht verdienen. Sie waren eben nur um eine Nuance weniger roth als die Schreckensmänner, die ihren Untergang beschlossen. Hätte Piloty diesen Stoff dreißig Jahre früher behandelt, so wäre ihm das Licht der Geschichte weniger unbequem geworden. Damals hätte die Mal¬ weise, die er für sein Bild beliebt hat, auch den Ansprüchen mehr genügt als heute. Gegen den „Triumphzug des Germanicus" bezeichnet dieses Gemälde coloristisch einen sehr bedenklichen Rückschritt. Kaum einige Figuren des Vorder¬ grundes — es sind, wie gewöhnlich, die gleich giltigsten — zeigen noch Spuren des alten Glanzes, der ehedem von der Palette Pilotys ausstrahlte. Schon Vergniaud ist flau und energielos behandelt, und gegen den Hintergrund zu gewinnen die durch einen grauen Schleier gebrochenen Farben völlig die Oberhand. Auch coloristisch ist dieses Bild also eine unerfreuliche Leistung. Vielleicht hat zu seinem Mißerfolge auch der Umstand beigetragen, daß Piloty einen zu kleinen Maßstab gewählt hat. Der Künstler bedarf lebensgroßer Figuren, um den ganzen Reichthum feiner Farben auszubeuten. Um im Kleinen Großes zu leisten, dazu fehlt ihm die Feinheit der Durchbildung des Einzelne», die z. B. seinem Schüler Defregger in hohem Grade eigen ist. Wie dieser strauchelte, als er ein Historienbild mit Figuren in Lebensgröße ausführte, weil ihm die Kraft fehlt, große Fläche» malerisch zu beleben, so vermag Piloty nicht, sein coloristisches Können wirksam auf einen: kleinen Raume zu concentriren. Schon feine „Ermordung Cäsars" hätte eine große Wirkung erzielt, wenn sich Piloty nicht auch hier im Maßstabe vergriffen. Ein Münchener Kunsthändler ist auf den unglücklichen Gedanke:: gekommen, dieses Bild zugleich mit den: Gemälde des französischen Kriegsmalers Alphons de Neuville, I^o Lour^se, auf die Wanderschaft zu schicke::. Den: deutschen Maler konnte kein schlimmerer Dienst erwiesen werden als eine solche Zusammen¬ stellung mit einer Schöpfung aus der neuesten Realistenschule. Neuville hat den Stoff zu seinem Bilde aus der Münchhauseniade gewählt, welche der General Ducrvt unter den: Titel I^g, ckstsnW as ?aris herausgegeben hat. An dem blutigen Tage des 30. October 1870 spielte der Kampf um die Kirche des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/382>, abgerufen am 23.07.2024.