Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Naturalisten. Eine kürzlich publicirte Anekdote ist, wenn sie auch erfunden
sein sollte, doch für Courbet äußerst charakteristisch. Eines Tages begab er sich
nach dem Hotel Drouot, um einer Gemäldeversteigerung beizuwohnen. "Waren
gute Bilder da? Hast du etwas gekauft?" fragte ihn einer seiner Freunde nach
seiner Rückkehr. "Nein! oder doch! Ein gutes, aber das war mir zu theuer.
Man forderte eine unerhörte Summe!" -- "Von wem war denn das Bild?"
-- "Von mir." --

Courbet besaß indessen so viele glänzende technische Eigenschaften, daß
er gleichwohl auf die Fortentwicklung der französischen Malerei von Einfluß
hätte werden können, wenn er sich nicht politisch unheilbar compromittirt hätte.
Der anrüchige Communard wurde selbst in der Künstlerrepublik nicht mehr
gelitten, und das kleine Häuflein seiner Anhänger und Nachahmer verbarg sich
im Dunkeln. Auf der Weltausstellung von 1878 war Courbet selbst nur durch
ein einziges Bild vertreten, durch die "Welle", die 1870 für die Luxemburg-
Galerie angekauft worden war. In Landschaften und Mariner zeigt sich das
Talent Courbets von seiner erfreulichsten und liebenswürdigsten Seite. Unter
den übrigen neunhundert Bildern der französischen Schule entdeckte ich nur eines,
welches die Einwirkung Courbets verrieth: ein unbeschreiblich schmutziges Weib
mit häßlichen, gemeinen Zügen und derben, schwülstigen Körperformen, welche
aus der dürftigen Bekleidung Protzig hervordrangen, geht mit einer zerlumpten
Kiepe auf dem Rücken am Meeresstrande ihrer Arbeit nach. Eine Figur natür¬
lich in Lebensgröße, widerwärtig und ekelerregend, aber mit einer meisterlichen
Breite, mit einer zur Bewunderung zwingenden Bravour gemalt!

Da der Naturalismus keine Schule macht, haftet er auch nicht an einer
einzelnen Person. Courbet ging mit der Commune unter und fristete nur uoch
wenige Jahre ein obscures Dasein in der Verbannung. Das Princip, zu dem
er sich bekannt hatte, war aber lebenskräftig genug, um auch ohne sein Zuthun
weiter zu existiren und neue Adepten zu finden. Carl Gussow, derzeit der
genialste Vertreter des Naturalismus, ist sicherlich nicht durch das Beispiel
Courbets auf diese Bahn gedrängt, worden. Wir können an seinen Werken die
Etappen verfolgen, welche er durchmachte, bevor er zu seinem jetzigen Stand¬
punkte gelangte. Wir sehen in ihm keinen bloßen fingerfertigen Nachahmer,
der ein von einem anderen hingeworfenes Schlagwort aufgreift und das fremde
Thema mit Variationen versieht, sondern ein urwüchsiges Talent, das sich nach
schwerem, unablässigem Ringen ein sicheres Fundament geschaffen hat. Die
Basis, auf der sich Gussow bewegt, ist freilich nicht breit und umfangreich, aber
immerhin groß genug, daß jemand auf zwei eigenen Füßen darauf stehen kann-

Carl Gussows Lebensgang ist so ruhig und glatt verlaufen, wie wir es
in Künstlerkreisen selten finden. Geboren im Jahre 1843 in Havelberg in der


dem Naturalisten. Eine kürzlich publicirte Anekdote ist, wenn sie auch erfunden
sein sollte, doch für Courbet äußerst charakteristisch. Eines Tages begab er sich
nach dem Hotel Drouot, um einer Gemäldeversteigerung beizuwohnen. „Waren
gute Bilder da? Hast du etwas gekauft?" fragte ihn einer seiner Freunde nach
seiner Rückkehr. „Nein! oder doch! Ein gutes, aber das war mir zu theuer.
Man forderte eine unerhörte Summe!" — „Von wem war denn das Bild?"
— „Von mir." —

Courbet besaß indessen so viele glänzende technische Eigenschaften, daß
er gleichwohl auf die Fortentwicklung der französischen Malerei von Einfluß
hätte werden können, wenn er sich nicht politisch unheilbar compromittirt hätte.
Der anrüchige Communard wurde selbst in der Künstlerrepublik nicht mehr
gelitten, und das kleine Häuflein seiner Anhänger und Nachahmer verbarg sich
im Dunkeln. Auf der Weltausstellung von 1878 war Courbet selbst nur durch
ein einziges Bild vertreten, durch die „Welle", die 1870 für die Luxemburg-
Galerie angekauft worden war. In Landschaften und Mariner zeigt sich das
Talent Courbets von seiner erfreulichsten und liebenswürdigsten Seite. Unter
den übrigen neunhundert Bildern der französischen Schule entdeckte ich nur eines,
welches die Einwirkung Courbets verrieth: ein unbeschreiblich schmutziges Weib
mit häßlichen, gemeinen Zügen und derben, schwülstigen Körperformen, welche
aus der dürftigen Bekleidung Protzig hervordrangen, geht mit einer zerlumpten
Kiepe auf dem Rücken am Meeresstrande ihrer Arbeit nach. Eine Figur natür¬
lich in Lebensgröße, widerwärtig und ekelerregend, aber mit einer meisterlichen
Breite, mit einer zur Bewunderung zwingenden Bravour gemalt!

Da der Naturalismus keine Schule macht, haftet er auch nicht an einer
einzelnen Person. Courbet ging mit der Commune unter und fristete nur uoch
wenige Jahre ein obscures Dasein in der Verbannung. Das Princip, zu dem
er sich bekannt hatte, war aber lebenskräftig genug, um auch ohne sein Zuthun
weiter zu existiren und neue Adepten zu finden. Carl Gussow, derzeit der
genialste Vertreter des Naturalismus, ist sicherlich nicht durch das Beispiel
Courbets auf diese Bahn gedrängt, worden. Wir können an seinen Werken die
Etappen verfolgen, welche er durchmachte, bevor er zu seinem jetzigen Stand¬
punkte gelangte. Wir sehen in ihm keinen bloßen fingerfertigen Nachahmer,
der ein von einem anderen hingeworfenes Schlagwort aufgreift und das fremde
Thema mit Variationen versieht, sondern ein urwüchsiges Talent, das sich nach
schwerem, unablässigem Ringen ein sicheres Fundament geschaffen hat. Die
Basis, auf der sich Gussow bewegt, ist freilich nicht breit und umfangreich, aber
immerhin groß genug, daß jemand auf zwei eigenen Füßen darauf stehen kann-

Carl Gussows Lebensgang ist so ruhig und glatt verlaufen, wie wir es
in Künstlerkreisen selten finden. Geboren im Jahre 1843 in Havelberg in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145967"/>
          <p xml:id="ID_87" prev="#ID_86"> dem Naturalisten. Eine kürzlich publicirte Anekdote ist, wenn sie auch erfunden<lb/>
sein sollte, doch für Courbet äußerst charakteristisch. Eines Tages begab er sich<lb/>
nach dem Hotel Drouot, um einer Gemäldeversteigerung beizuwohnen. &#x201E;Waren<lb/>
gute Bilder da? Hast du etwas gekauft?" fragte ihn einer seiner Freunde nach<lb/>
seiner Rückkehr. &#x201E;Nein! oder doch! Ein gutes, aber das war mir zu theuer.<lb/>
Man forderte eine unerhörte Summe!" &#x2014; &#x201E;Von wem war denn das Bild?"<lb/>
&#x2014; &#x201E;Von mir." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_88"> Courbet besaß indessen so viele glänzende technische Eigenschaften, daß<lb/>
er gleichwohl auf die Fortentwicklung der französischen Malerei von Einfluß<lb/>
hätte werden können, wenn er sich nicht politisch unheilbar compromittirt hätte.<lb/>
Der anrüchige Communard wurde selbst in der Künstlerrepublik nicht mehr<lb/>
gelitten, und das kleine Häuflein seiner Anhänger und Nachahmer verbarg sich<lb/>
im Dunkeln. Auf der Weltausstellung von 1878 war Courbet selbst nur durch<lb/>
ein einziges Bild vertreten, durch die &#x201E;Welle", die 1870 für die Luxemburg-<lb/>
Galerie angekauft worden war. In Landschaften und Mariner zeigt sich das<lb/>
Talent Courbets von seiner erfreulichsten und liebenswürdigsten Seite. Unter<lb/>
den übrigen neunhundert Bildern der französischen Schule entdeckte ich nur eines,<lb/>
welches die Einwirkung Courbets verrieth: ein unbeschreiblich schmutziges Weib<lb/>
mit häßlichen, gemeinen Zügen und derben, schwülstigen Körperformen, welche<lb/>
aus der dürftigen Bekleidung Protzig hervordrangen, geht mit einer zerlumpten<lb/>
Kiepe auf dem Rücken am Meeresstrande ihrer Arbeit nach. Eine Figur natür¬<lb/>
lich in Lebensgröße, widerwärtig und ekelerregend, aber mit einer meisterlichen<lb/>
Breite, mit einer zur Bewunderung zwingenden Bravour gemalt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89"> Da der Naturalismus keine Schule macht, haftet er auch nicht an einer<lb/>
einzelnen Person. Courbet ging mit der Commune unter und fristete nur uoch<lb/>
wenige Jahre ein obscures Dasein in der Verbannung. Das Princip, zu dem<lb/>
er sich bekannt hatte, war aber lebenskräftig genug, um auch ohne sein Zuthun<lb/>
weiter zu existiren und neue Adepten zu finden. Carl Gussow, derzeit der<lb/>
genialste Vertreter des Naturalismus, ist sicherlich nicht durch das Beispiel<lb/>
Courbets auf diese Bahn gedrängt, worden. Wir können an seinen Werken die<lb/>
Etappen verfolgen, welche er durchmachte, bevor er zu seinem jetzigen Stand¬<lb/>
punkte gelangte. Wir sehen in ihm keinen bloßen fingerfertigen Nachahmer,<lb/>
der ein von einem anderen hingeworfenes Schlagwort aufgreift und das fremde<lb/>
Thema mit Variationen versieht, sondern ein urwüchsiges Talent, das sich nach<lb/>
schwerem, unablässigem Ringen ein sicheres Fundament geschaffen hat. Die<lb/>
Basis, auf der sich Gussow bewegt, ist freilich nicht breit und umfangreich, aber<lb/>
immerhin groß genug, daß jemand auf zwei eigenen Füßen darauf stehen kann-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90" next="#ID_91"> Carl Gussows Lebensgang ist so ruhig und glatt verlaufen, wie wir es<lb/>
in Künstlerkreisen selten finden. Geboren im Jahre 1843 in Havelberg in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] dem Naturalisten. Eine kürzlich publicirte Anekdote ist, wenn sie auch erfunden sein sollte, doch für Courbet äußerst charakteristisch. Eines Tages begab er sich nach dem Hotel Drouot, um einer Gemäldeversteigerung beizuwohnen. „Waren gute Bilder da? Hast du etwas gekauft?" fragte ihn einer seiner Freunde nach seiner Rückkehr. „Nein! oder doch! Ein gutes, aber das war mir zu theuer. Man forderte eine unerhörte Summe!" — „Von wem war denn das Bild?" — „Von mir." — Courbet besaß indessen so viele glänzende technische Eigenschaften, daß er gleichwohl auf die Fortentwicklung der französischen Malerei von Einfluß hätte werden können, wenn er sich nicht politisch unheilbar compromittirt hätte. Der anrüchige Communard wurde selbst in der Künstlerrepublik nicht mehr gelitten, und das kleine Häuflein seiner Anhänger und Nachahmer verbarg sich im Dunkeln. Auf der Weltausstellung von 1878 war Courbet selbst nur durch ein einziges Bild vertreten, durch die „Welle", die 1870 für die Luxemburg- Galerie angekauft worden war. In Landschaften und Mariner zeigt sich das Talent Courbets von seiner erfreulichsten und liebenswürdigsten Seite. Unter den übrigen neunhundert Bildern der französischen Schule entdeckte ich nur eines, welches die Einwirkung Courbets verrieth: ein unbeschreiblich schmutziges Weib mit häßlichen, gemeinen Zügen und derben, schwülstigen Körperformen, welche aus der dürftigen Bekleidung Protzig hervordrangen, geht mit einer zerlumpten Kiepe auf dem Rücken am Meeresstrande ihrer Arbeit nach. Eine Figur natür¬ lich in Lebensgröße, widerwärtig und ekelerregend, aber mit einer meisterlichen Breite, mit einer zur Bewunderung zwingenden Bravour gemalt! Da der Naturalismus keine Schule macht, haftet er auch nicht an einer einzelnen Person. Courbet ging mit der Commune unter und fristete nur uoch wenige Jahre ein obscures Dasein in der Verbannung. Das Princip, zu dem er sich bekannt hatte, war aber lebenskräftig genug, um auch ohne sein Zuthun weiter zu existiren und neue Adepten zu finden. Carl Gussow, derzeit der genialste Vertreter des Naturalismus, ist sicherlich nicht durch das Beispiel Courbets auf diese Bahn gedrängt, worden. Wir können an seinen Werken die Etappen verfolgen, welche er durchmachte, bevor er zu seinem jetzigen Stand¬ punkte gelangte. Wir sehen in ihm keinen bloßen fingerfertigen Nachahmer, der ein von einem anderen hingeworfenes Schlagwort aufgreift und das fremde Thema mit Variationen versieht, sondern ein urwüchsiges Talent, das sich nach schwerem, unablässigem Ringen ein sicheres Fundament geschaffen hat. Die Basis, auf der sich Gussow bewegt, ist freilich nicht breit und umfangreich, aber immerhin groß genug, daß jemand auf zwei eigenen Füßen darauf stehen kann- Carl Gussows Lebensgang ist so ruhig und glatt verlaufen, wie wir es in Künstlerkreisen selten finden. Geboren im Jahre 1843 in Havelberg in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/38>, abgerufen am 22.07.2024.