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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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pastos, gleichmäßig für die Schatten wie für die Lichter, für die vorderen wie die
Hinteren Pläne. Und so vollendet er, von den Tiefen zum höchsten Licht fort¬
schreitend, auf die einfachste Weise das ganze Bild. Welche Klarheit der inneren
Anschauung, welche Feinheit des Auges, welche Festigkeit der Hand dazu er¬
forderlich ist, läßt sich denken. In Cvurbet gipfelt jene Virtuosität der Mache,
welche das Kennzeichen der neuesten Kunst ist, und in ihm ist insofern ein echter
Fortschritt, als er den lebensvollen Schein von Licht und Farbe auf die ein¬
fachste Weise erreicht."

In seiner trivialen, naturalistischen, oft brutalen Auffassungs- und Dar¬
stellungsweise hat Courbet manche Vorgänger gehabt: Männer wie Caravaggio,
Ribera, Franz Hals sind ihm in ihrer breiten, energischen Art und auch in der
Wahl ihrer Stoffe nahe verwandt; am engsten Franz Hals in jener letzten
Periode seines Schaffens, welcher die berühmte Hille Bobbe von Harlem ent¬
stammt, die mit der Sammlung Suermondt in das Berliner Museum gelangt
ist. Wir wissen, daß Courbet, als er 1839 nach Paris kam, insbesondere die
Holländer und Spanier, dann auch die Venetianer im Louvre studirte und sich
ihre malerische Behandlung zum Muster nahm.

Courbet nannte sich selbst einen Realisten. Es ist bekannt, daß er im
Jahre 1855 neben dem Weltausstellungsgebäude, in welches nur elf seiner
Bilder Eingang gefunden hatten, eine Schaubude errichtete, in welcher noch weitere
vierzig zu sehen waren. Ueber der Thür las man die Aufschrift: "Der Realis¬
mus. G. Courbet." Er und die Kritiker, welche seine Kunstart mit diesem Worte zu
charakterisiren versuchte", wollten damit seine schroffe Opposition gegen den Idealis¬
mus von Ingres und seiner Schule und die Romantik von Paul Delaroche und den
Seinigen bezeichnen. Heute hat sich aber die Kluft zwischen beiden Extremen
längst durch eine Reihe von Zwischengliedern, durch ein reiches Farbenspiel ver¬
schiedenartiger Schattirungen gefüllt. Mit dem, was wir heutzutage unter Rea¬
lismus verstehen, deckt sich die Anschauungsweise Conrbets nicht mehr. Durch
die eingetretenen Zwischenglieder, welche den Uebergang zwischen ihm und den
Idealisten vermittelten, ist der kühne Neuerer immer weiter nach links gedrängt
worden. Innerhalb des Realismus, wie wir ihn hente auf Grund der Kunst-
bewegung zu definiren haben, findet sich für Courbet kein Platz mehr. Im an¬
deren Falle -- wie könnte er, um ein Beispiel aus einem ihm verwandten
Stoffgebiete zu nennen, Schulter an Schulter neben dein Bauernmaler Breton
stehen? Breton ist sicherlich ein Realist von reinstem Wasser: seine Bauern
und Bäuerinnen von Artois mit ihren massigen, von mühsamer Arbeit vergröberten
Gliedern, mit ihren eckigen, harten, herben Gesichtern zeigen keine Spur einer
verschönernden, idealisirenden Auffassung. Nichtsdestoweniger erhalten seine Bilder
durch die Stimmung von Luft und Licht einen seltsam poetischen Reiz, der sich


pastos, gleichmäßig für die Schatten wie für die Lichter, für die vorderen wie die
Hinteren Pläne. Und so vollendet er, von den Tiefen zum höchsten Licht fort¬
schreitend, auf die einfachste Weise das ganze Bild. Welche Klarheit der inneren
Anschauung, welche Feinheit des Auges, welche Festigkeit der Hand dazu er¬
forderlich ist, läßt sich denken. In Cvurbet gipfelt jene Virtuosität der Mache,
welche das Kennzeichen der neuesten Kunst ist, und in ihm ist insofern ein echter
Fortschritt, als er den lebensvollen Schein von Licht und Farbe auf die ein¬
fachste Weise erreicht."

In seiner trivialen, naturalistischen, oft brutalen Auffassungs- und Dar¬
stellungsweise hat Courbet manche Vorgänger gehabt: Männer wie Caravaggio,
Ribera, Franz Hals sind ihm in ihrer breiten, energischen Art und auch in der
Wahl ihrer Stoffe nahe verwandt; am engsten Franz Hals in jener letzten
Periode seines Schaffens, welcher die berühmte Hille Bobbe von Harlem ent¬
stammt, die mit der Sammlung Suermondt in das Berliner Museum gelangt
ist. Wir wissen, daß Courbet, als er 1839 nach Paris kam, insbesondere die
Holländer und Spanier, dann auch die Venetianer im Louvre studirte und sich
ihre malerische Behandlung zum Muster nahm.

Courbet nannte sich selbst einen Realisten. Es ist bekannt, daß er im
Jahre 1855 neben dem Weltausstellungsgebäude, in welches nur elf seiner
Bilder Eingang gefunden hatten, eine Schaubude errichtete, in welcher noch weitere
vierzig zu sehen waren. Ueber der Thür las man die Aufschrift: „Der Realis¬
mus. G. Courbet." Er und die Kritiker, welche seine Kunstart mit diesem Worte zu
charakterisiren versuchte«, wollten damit seine schroffe Opposition gegen den Idealis¬
mus von Ingres und seiner Schule und die Romantik von Paul Delaroche und den
Seinigen bezeichnen. Heute hat sich aber die Kluft zwischen beiden Extremen
längst durch eine Reihe von Zwischengliedern, durch ein reiches Farbenspiel ver¬
schiedenartiger Schattirungen gefüllt. Mit dem, was wir heutzutage unter Rea¬
lismus verstehen, deckt sich die Anschauungsweise Conrbets nicht mehr. Durch
die eingetretenen Zwischenglieder, welche den Uebergang zwischen ihm und den
Idealisten vermittelten, ist der kühne Neuerer immer weiter nach links gedrängt
worden. Innerhalb des Realismus, wie wir ihn hente auf Grund der Kunst-
bewegung zu definiren haben, findet sich für Courbet kein Platz mehr. Im an¬
deren Falle — wie könnte er, um ein Beispiel aus einem ihm verwandten
Stoffgebiete zu nennen, Schulter an Schulter neben dein Bauernmaler Breton
stehen? Breton ist sicherlich ein Realist von reinstem Wasser: seine Bauern
und Bäuerinnen von Artois mit ihren massigen, von mühsamer Arbeit vergröberten
Gliedern, mit ihren eckigen, harten, herben Gesichtern zeigen keine Spur einer
verschönernden, idealisirenden Auffassung. Nichtsdestoweniger erhalten seine Bilder
durch die Stimmung von Luft und Licht einen seltsam poetischen Reiz, der sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/36>, abgerufen am 23.07.2024.