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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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zu wählen, die einer solchen Auffassung nahe liegen. Aber man soll uns seine
noch so glücklichen Leistungen nicht als einen Fortschritt in der Kunst preisen,
deren Seele die Phantasie ist, und deren Kräfte nicht in der Nachahmung,
sondern in der Schöpfung liegen."

Dieser seiner realistischen Auffassung ungleich näher lag dasjenige Bild,
welches zunächst entstand und die Stellung Pilotys innerhalb der modernen
Malerei ein für alle Male sichern sollte: "Sein an der Leiche Wallensteins".
Hier fielen jene Mängel der Komposition von selbst weg, und das Theatralisch¬
pathetische war so glücklich vermieden, daß die Größe des tragischen Moments
in vollster Reinheit auf den Beschauer wirken konnte. Das Zufällige in dem
Arrangement und in der Ausstattung des Zimmers, welches der Realist brauchte,
um fein technisches Können in allen Farben schillern zu lassen, war hier durch
die Hast des nächtlichen Ueberfalls motivirt. Die Decke ist halb vom Tisch
herabgerissen und wird nur noch durch einen silbernen Armleuchter mit einer
sich abwendenden Fortuna, dessen letzte Kerze noch einen leichten Dampf empor¬
steigen läßt, durch einen Himmelsglobus und eine Cassette mit Briefschaften und
Urkunden festgehalten. Die Vorhänge des Bettes find auseinandergeschlagen,
und über den Todten ist, vielleicht von einem der Mörder, vielleicht von ihm
selbst im Moment des Sturzes, das Bett-Tuch gezogen. Die eminente malerische
Bravour Pilotys feierte auf diesem Bilde ihren höchsten Triumph. Wie Friedrich
Pecht hervorhebt, wurde erst jetzt das Helldunkel unter die künstlerischen Mittel
der Münchener Schule eingeführt. Auch in der Charakteristik das Seni offen¬
barte sich eine nicht gewöhnliche Kraft, ein Geist, welcher in der Menschenbrust
zu lesen und eine Fluth von Gefühlen über das Menschenantlitz zu ergießen weiß.

In dein allgemeinen Enthusiasmus, den dieses Bild hervorrief, fehlte es
freilich wiederum nicht an Stimmen, welche auf manches Mißliche hinwiesen:
Man deutete auf die fatale Linie, welche die stehende und die liegende Figur
zusammen ausmachten; aber man griff doch nicht so sehr die Komposition an,
als die allzustarke malerische Betonung des Beiwerks. "Ob Sammet und Seide
vorlaut mitsprechen dürfen, wenn wir einem Wallenstein die letzte Ehre erweisen?"
fragte ein Korrespondent des "Deutschen Kunstblatts" (1855). "Wenn es uns
zehnmal versiegelt und verbrieft wäre, daß Seni in einem Sammetrock in des
Herzogs Schlafgemach getreten sei, dünkte uns dennoch ein schlichterer Stoff,
bei dem die Bravour des Malers sich nicht nebenbei geltend machen könnte,
der einfachen Würde dieses Mannes besser anzustehen. Das selbstgefällige Bei¬
werk hat ja sonst noch Gelegenheiten genug, etwas für sich zu bedeuten, und
die Nachbarschaft eines denkwürdigen Todten ist ein schlechter Platz.für eine
Industrieausstellung." Dieselben Klagen kehren von nun an bei jedem Bilde
Pilotys wieder. Bei aller Bewunderung seiner glänzenden Technik empfindet


zu wählen, die einer solchen Auffassung nahe liegen. Aber man soll uns seine
noch so glücklichen Leistungen nicht als einen Fortschritt in der Kunst preisen,
deren Seele die Phantasie ist, und deren Kräfte nicht in der Nachahmung,
sondern in der Schöpfung liegen."

Dieser seiner realistischen Auffassung ungleich näher lag dasjenige Bild,
welches zunächst entstand und die Stellung Pilotys innerhalb der modernen
Malerei ein für alle Male sichern sollte: „Sein an der Leiche Wallensteins".
Hier fielen jene Mängel der Komposition von selbst weg, und das Theatralisch¬
pathetische war so glücklich vermieden, daß die Größe des tragischen Moments
in vollster Reinheit auf den Beschauer wirken konnte. Das Zufällige in dem
Arrangement und in der Ausstattung des Zimmers, welches der Realist brauchte,
um fein technisches Können in allen Farben schillern zu lassen, war hier durch
die Hast des nächtlichen Ueberfalls motivirt. Die Decke ist halb vom Tisch
herabgerissen und wird nur noch durch einen silbernen Armleuchter mit einer
sich abwendenden Fortuna, dessen letzte Kerze noch einen leichten Dampf empor¬
steigen läßt, durch einen Himmelsglobus und eine Cassette mit Briefschaften und
Urkunden festgehalten. Die Vorhänge des Bettes find auseinandergeschlagen,
und über den Todten ist, vielleicht von einem der Mörder, vielleicht von ihm
selbst im Moment des Sturzes, das Bett-Tuch gezogen. Die eminente malerische
Bravour Pilotys feierte auf diesem Bilde ihren höchsten Triumph. Wie Friedrich
Pecht hervorhebt, wurde erst jetzt das Helldunkel unter die künstlerischen Mittel
der Münchener Schule eingeführt. Auch in der Charakteristik das Seni offen¬
barte sich eine nicht gewöhnliche Kraft, ein Geist, welcher in der Menschenbrust
zu lesen und eine Fluth von Gefühlen über das Menschenantlitz zu ergießen weiß.

In dein allgemeinen Enthusiasmus, den dieses Bild hervorrief, fehlte es
freilich wiederum nicht an Stimmen, welche auf manches Mißliche hinwiesen:
Man deutete auf die fatale Linie, welche die stehende und die liegende Figur
zusammen ausmachten; aber man griff doch nicht so sehr die Komposition an,
als die allzustarke malerische Betonung des Beiwerks. „Ob Sammet und Seide
vorlaut mitsprechen dürfen, wenn wir einem Wallenstein die letzte Ehre erweisen?"
fragte ein Korrespondent des „Deutschen Kunstblatts" (1855). „Wenn es uns
zehnmal versiegelt und verbrieft wäre, daß Seni in einem Sammetrock in des
Herzogs Schlafgemach getreten sei, dünkte uns dennoch ein schlichterer Stoff,
bei dem die Bravour des Malers sich nicht nebenbei geltend machen könnte,
der einfachen Würde dieses Mannes besser anzustehen. Das selbstgefällige Bei¬
werk hat ja sonst noch Gelegenheiten genug, etwas für sich zu bedeuten, und
die Nachbarschaft eines denkwürdigen Todten ist ein schlechter Platz.für eine
Industrieausstellung." Dieselben Klagen kehren von nun an bei jedem Bilde
Pilotys wieder. Bei aller Bewunderung seiner glänzenden Technik empfindet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/348>, abgerufen am 23.07.2024.