Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

ersten Ranges anzusehen, und versuche nicht Widersprechendes vereinigen zu
wollen. Wir jedoch bleiben bei unsrer Voraussetzung: der Künstler dieses
Werkes erscheint so sehr als ein wahrhaft großer, daß seinem Werke die innere
Folgerichtigkeit nicht abgesprochen werden darf, und weisen demnach die typischen
Grgänzungs- und Erklärungsversuche als mit dem Grundcharakter des Werkes
in Widerspruch stehend zurück.

(Schluß folgt.)




Die Hauxtströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
2. Tärt Gussow und der Naturalismus.

Der Vater jener revolutionären Bewegung in der Kunst, die mau am
kürzesten und besten als Naturalismus bezeichnen kann, ist der Franzose Gustav
Courbet, ein Mann, dessen Knnstprincip allmählich sein ganzes Denken und
Fühlen derartig durchdrungen hatte, daß seine Lebensführung und seine politische
Richtung am Ende auf denselben extremen Standpunkt gerieth, den seine Kunst
von Anbeginn eingenommen. Die von Courbet ins Werk gesetzte Zerstörung
der Vendomesäule, auf den Werth des Kunstwerks allein hin betrachtet übrigens
kein allzu vandalischer Act, war nicht die rasche That eines wahnwitzigen Mo¬
ments, sondern die letzte CvnseqNenz eines artistischen Programms, welches keine
Spitzen, keinen idealen Aufschwung, keine Jsolirung eines Individuums von der
Menge duldet. Der Naturalismus Courbets sucht die Totalität, die Allgemein¬
heit der Natur zu erfassen, indem er sich nicht zu den höchsten Schöpfungen,
zu den reinsten Gebilden der Natur emporschwingt, sondern dieselbe in ihren
niedrigsten und unvollkommensten Offenbarungen aufsucht. Indem er dieses
Princip durchführte, konnte Courbet für sich geltend machen, daß er die In¬
tentionen der Natur viel richtiger und besser treffe und wiedergebe als die Ro¬
mantiker und Idealisten. Denn die Natur producirt ungleich mehr Häßliches
und Gemeines, niedriges und Unvollkommenes, Lächerliches und Unharmonisches
als Edles und Erhabenes. Der demokratische, oppositionelle Gmndzug seines
Wesens wirkte freilich schon von Anfang an bestimmend auf seine künstlerische
Richtung ein. Noch ganz erfüllt von dem Rausche, welchen die Revolution von
1848 unter dem jungen Frankreich hervorgerufen, vollendete er die ersten Bil-


ersten Ranges anzusehen, und versuche nicht Widersprechendes vereinigen zu
wollen. Wir jedoch bleiben bei unsrer Voraussetzung: der Künstler dieses
Werkes erscheint so sehr als ein wahrhaft großer, daß seinem Werke die innere
Folgerichtigkeit nicht abgesprochen werden darf, und weisen demnach die typischen
Grgänzungs- und Erklärungsversuche als mit dem Grundcharakter des Werkes
in Widerspruch stehend zurück.

(Schluß folgt.)




Die Hauxtströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
2. Tärt Gussow und der Naturalismus.

Der Vater jener revolutionären Bewegung in der Kunst, die mau am
kürzesten und besten als Naturalismus bezeichnen kann, ist der Franzose Gustav
Courbet, ein Mann, dessen Knnstprincip allmählich sein ganzes Denken und
Fühlen derartig durchdrungen hatte, daß seine Lebensführung und seine politische
Richtung am Ende auf denselben extremen Standpunkt gerieth, den seine Kunst
von Anbeginn eingenommen. Die von Courbet ins Werk gesetzte Zerstörung
der Vendomesäule, auf den Werth des Kunstwerks allein hin betrachtet übrigens
kein allzu vandalischer Act, war nicht die rasche That eines wahnwitzigen Mo¬
ments, sondern die letzte CvnseqNenz eines artistischen Programms, welches keine
Spitzen, keinen idealen Aufschwung, keine Jsolirung eines Individuums von der
Menge duldet. Der Naturalismus Courbets sucht die Totalität, die Allgemein¬
heit der Natur zu erfassen, indem er sich nicht zu den höchsten Schöpfungen,
zu den reinsten Gebilden der Natur emporschwingt, sondern dieselbe in ihren
niedrigsten und unvollkommensten Offenbarungen aufsucht. Indem er dieses
Princip durchführte, konnte Courbet für sich geltend machen, daß er die In¬
tentionen der Natur viel richtiger und besser treffe und wiedergebe als die Ro¬
mantiker und Idealisten. Denn die Natur producirt ungleich mehr Häßliches
und Gemeines, niedriges und Unvollkommenes, Lächerliches und Unharmonisches
als Edles und Erhabenes. Der demokratische, oppositionelle Gmndzug seines
Wesens wirkte freilich schon von Anfang an bestimmend auf seine künstlerische
Richtung ein. Noch ganz erfüllt von dem Rausche, welchen die Revolution von
1848 unter dem jungen Frankreich hervorgerufen, vollendete er die ersten Bil-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145963"/>
          <p xml:id="ID_78" prev="#ID_77"> ersten Ranges anzusehen, und versuche nicht Widersprechendes vereinigen zu<lb/>
wollen. Wir jedoch bleiben bei unsrer Voraussetzung: der Künstler dieses<lb/>
Werkes erscheint so sehr als ein wahrhaft großer, daß seinem Werke die innere<lb/>
Folgerichtigkeit nicht abgesprochen werden darf, und weisen demnach die typischen<lb/>
Grgänzungs- und Erklärungsversuche als mit dem Grundcharakter des Werkes<lb/>
in Widerspruch stehend zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_79"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Hauxtströmungen in der bildenden Kunst der<lb/>
Gegenwart.<lb/>
2. Tärt Gussow und der Naturalismus. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Der Vater jener revolutionären Bewegung in der Kunst, die mau am<lb/>
kürzesten und besten als Naturalismus bezeichnen kann, ist der Franzose Gustav<lb/>
Courbet, ein Mann, dessen Knnstprincip allmählich sein ganzes Denken und<lb/>
Fühlen derartig durchdrungen hatte, daß seine Lebensführung und seine politische<lb/>
Richtung am Ende auf denselben extremen Standpunkt gerieth, den seine Kunst<lb/>
von Anbeginn eingenommen. Die von Courbet ins Werk gesetzte Zerstörung<lb/>
der Vendomesäule, auf den Werth des Kunstwerks allein hin betrachtet übrigens<lb/>
kein allzu vandalischer Act, war nicht die rasche That eines wahnwitzigen Mo¬<lb/>
ments, sondern die letzte CvnseqNenz eines artistischen Programms, welches keine<lb/>
Spitzen, keinen idealen Aufschwung, keine Jsolirung eines Individuums von der<lb/>
Menge duldet. Der Naturalismus Courbets sucht die Totalität, die Allgemein¬<lb/>
heit der Natur zu erfassen, indem er sich nicht zu den höchsten Schöpfungen,<lb/>
zu den reinsten Gebilden der Natur emporschwingt, sondern dieselbe in ihren<lb/>
niedrigsten und unvollkommensten Offenbarungen aufsucht. Indem er dieses<lb/>
Princip durchführte, konnte Courbet für sich geltend machen, daß er die In¬<lb/>
tentionen der Natur viel richtiger und besser treffe und wiedergebe als die Ro¬<lb/>
mantiker und Idealisten. Denn die Natur producirt ungleich mehr Häßliches<lb/>
und Gemeines, niedriges und Unvollkommenes, Lächerliches und Unharmonisches<lb/>
als Edles und Erhabenes. Der demokratische, oppositionelle Gmndzug seines<lb/>
Wesens wirkte freilich schon von Anfang an bestimmend auf seine künstlerische<lb/>
Richtung ein. Noch ganz erfüllt von dem Rausche, welchen die Revolution von<lb/>
1848 unter dem jungen Frankreich hervorgerufen, vollendete er die ersten Bil-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] ersten Ranges anzusehen, und versuche nicht Widersprechendes vereinigen zu wollen. Wir jedoch bleiben bei unsrer Voraussetzung: der Künstler dieses Werkes erscheint so sehr als ein wahrhaft großer, daß seinem Werke die innere Folgerichtigkeit nicht abgesprochen werden darf, und weisen demnach die typischen Grgänzungs- und Erklärungsversuche als mit dem Grundcharakter des Werkes in Widerspruch stehend zurück. (Schluß folgt.) Die Hauxtströmungen in der bildenden Kunst der Gegenwart. 2. Tärt Gussow und der Naturalismus. Der Vater jener revolutionären Bewegung in der Kunst, die mau am kürzesten und besten als Naturalismus bezeichnen kann, ist der Franzose Gustav Courbet, ein Mann, dessen Knnstprincip allmählich sein ganzes Denken und Fühlen derartig durchdrungen hatte, daß seine Lebensführung und seine politische Richtung am Ende auf denselben extremen Standpunkt gerieth, den seine Kunst von Anbeginn eingenommen. Die von Courbet ins Werk gesetzte Zerstörung der Vendomesäule, auf den Werth des Kunstwerks allein hin betrachtet übrigens kein allzu vandalischer Act, war nicht die rasche That eines wahnwitzigen Mo¬ ments, sondern die letzte CvnseqNenz eines artistischen Programms, welches keine Spitzen, keinen idealen Aufschwung, keine Jsolirung eines Individuums von der Menge duldet. Der Naturalismus Courbets sucht die Totalität, die Allgemein¬ heit der Natur zu erfassen, indem er sich nicht zu den höchsten Schöpfungen, zu den reinsten Gebilden der Natur emporschwingt, sondern dieselbe in ihren niedrigsten und unvollkommensten Offenbarungen aufsucht. Indem er dieses Princip durchführte, konnte Courbet für sich geltend machen, daß er die In¬ tentionen der Natur viel richtiger und besser treffe und wiedergebe als die Ro¬ mantiker und Idealisten. Denn die Natur producirt ungleich mehr Häßliches und Gemeines, niedriges und Unvollkommenes, Lächerliches und Unharmonisches als Edles und Erhabenes. Der demokratische, oppositionelle Gmndzug seines Wesens wirkte freilich schon von Anfang an bestimmend auf seine künstlerische Richtung ein. Noch ganz erfüllt von dem Rausche, welchen die Revolution von 1848 unter dem jungen Frankreich hervorgerufen, vollendete er die ersten Bil-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/34>, abgerufen am 03.07.2024.