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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Was werden die Hofräthe in Göttingen für Augen gemacht haben, als
ungerufen ein fremder Privatdocent mit Frau und zwölf Kindern in die vor¬
nehme Universitätsstadt einzog! Wie mögen sie die Köpfe geschüttelt haben über
den kleinen, hageren Mann mit den tiefen blauen Augen, der sich unter ihnen
eine Stätte zu gründen gedachte! Und wie mögen die vornehmen Professoren
die Nase gerümpft haben, als eines Tages die in ganz Europa gefeierte italie¬
nische Sängerin Catalani in Göttingen erschien, nicht um den berühmten Ver¬
tretern der Universität etwas vorzusingen, sondern nur, um mit dem armen
Privatdocenten Krause, der von wenigen beachtet wurde, einige Stunden in Musik
zu schwelgen; denn das sei der einzige Mensch in Göttingen, behauptete sie, der
Musik verstände! Aber einer war doch da, der ihn mit offenen Armen empfing
und ihm in jeder Weise behilflich war: Dr. Thorbecke, später in Europa ehren¬
voll bekannt als hervorragender Staatsmann und Minister Hollands; er wußte,
was Göttingen an Krause gewann. Und bald war er nicht mehr der einzige,
bald fand Krause auckMn Göttingen Freunde, wie Lasfert, Sartorius, Wede¬
meyer, Thibaut u. a.

Wir haben keine Aeußerung von Krause über seinen Göttinger Aufenthalt;
es wird ihm aber dort schwerlich sehr wohl geworden sein. Gleich im ersten Winter
konnte er, wie Lindemann sagt, keine Vorlesungen halten, weil er krank war?;
und Krankheit blieb fortan seine treueste Gefährtin. Dennoch zwang ihn die
Noth, möglichst viele, oft fünf, Vorlesungen zu halten und daneben noch Privat¬
unterricht zu ertheilen, denn sein Vater hatte ihm bis zur Erschöpfung seiner
Kräfte geholfen und ihm nur uoch die Uebersiedlung nach Göttingen ermöglichen
können; am 17. Februar 1825 brach sein treues Auge. Er hatte über 78 Jahre
gelebt und sein ganzes Leben dem Wohle seiner Kinder gewidmet; und doch
konnte er die alleinstehende Tochter nicht ohne Sorgen hinterlassen, und der
Sohn, an den er alles gewandt hatte, nannte neben der reichsten Gelehrsamkeit
eine zahlreiche Familie sein einziges Eigenthum! -- Außer den Vorlesungen
beschäftigte ihn und gewährte ihm EMenzmittel die Herausgabe verschiedener Werke,
die er unter den denkbar größten Hindernissen vollendete; die Aussicht auf eine
feste Anstellung mit einem Gehalte wurde ihm anch hier völlig verschlossen. Eine
in Leipzig erledigte Professur, auf die er sich Hoffnung gemacht, erhielt nicht
er, sondern Drobisch, und an Bouterweks Stelle, die ihm seine Freunde so sehr
gegönnt hätten, und für die ihn der am Eingange dieses Lebensbildes gegebene
Brief eines Freundes so warm empfahl, wurde ein Freund von ihm, Hofrath
Wendt aus Leipzig, berufen.

In dem genannten Briefe wurden hauptsächlich drei Gründe von Krauses
Mißgeschick angegeben: seine zahlreiche Familie, der Vorwurf, daß er Natur-
Philosoph sei, und sein Verhältniß zu den Freimaurern; und abgesehen davon


Was werden die Hofräthe in Göttingen für Augen gemacht haben, als
ungerufen ein fremder Privatdocent mit Frau und zwölf Kindern in die vor¬
nehme Universitätsstadt einzog! Wie mögen sie die Köpfe geschüttelt haben über
den kleinen, hageren Mann mit den tiefen blauen Augen, der sich unter ihnen
eine Stätte zu gründen gedachte! Und wie mögen die vornehmen Professoren
die Nase gerümpft haben, als eines Tages die in ganz Europa gefeierte italie¬
nische Sängerin Catalani in Göttingen erschien, nicht um den berühmten Ver¬
tretern der Universität etwas vorzusingen, sondern nur, um mit dem armen
Privatdocenten Krause, der von wenigen beachtet wurde, einige Stunden in Musik
zu schwelgen; denn das sei der einzige Mensch in Göttingen, behauptete sie, der
Musik verstände! Aber einer war doch da, der ihn mit offenen Armen empfing
und ihm in jeder Weise behilflich war: Dr. Thorbecke, später in Europa ehren¬
voll bekannt als hervorragender Staatsmann und Minister Hollands; er wußte,
was Göttingen an Krause gewann. Und bald war er nicht mehr der einzige,
bald fand Krause auckMn Göttingen Freunde, wie Lasfert, Sartorius, Wede¬
meyer, Thibaut u. a.

Wir haben keine Aeußerung von Krause über seinen Göttinger Aufenthalt;
es wird ihm aber dort schwerlich sehr wohl geworden sein. Gleich im ersten Winter
konnte er, wie Lindemann sagt, keine Vorlesungen halten, weil er krank war?;
und Krankheit blieb fortan seine treueste Gefährtin. Dennoch zwang ihn die
Noth, möglichst viele, oft fünf, Vorlesungen zu halten und daneben noch Privat¬
unterricht zu ertheilen, denn sein Vater hatte ihm bis zur Erschöpfung seiner
Kräfte geholfen und ihm nur uoch die Uebersiedlung nach Göttingen ermöglichen
können; am 17. Februar 1825 brach sein treues Auge. Er hatte über 78 Jahre
gelebt und sein ganzes Leben dem Wohle seiner Kinder gewidmet; und doch
konnte er die alleinstehende Tochter nicht ohne Sorgen hinterlassen, und der
Sohn, an den er alles gewandt hatte, nannte neben der reichsten Gelehrsamkeit
eine zahlreiche Familie sein einziges Eigenthum! — Außer den Vorlesungen
beschäftigte ihn und gewährte ihm EMenzmittel die Herausgabe verschiedener Werke,
die er unter den denkbar größten Hindernissen vollendete; die Aussicht auf eine
feste Anstellung mit einem Gehalte wurde ihm anch hier völlig verschlossen. Eine
in Leipzig erledigte Professur, auf die er sich Hoffnung gemacht, erhielt nicht
er, sondern Drobisch, und an Bouterweks Stelle, die ihm seine Freunde so sehr
gegönnt hätten, und für die ihn der am Eingange dieses Lebensbildes gegebene
Brief eines Freundes so warm empfahl, wurde ein Freund von ihm, Hofrath
Wendt aus Leipzig, berufen.

In dem genannten Briefe wurden hauptsächlich drei Gründe von Krauses
Mißgeschick angegeben: seine zahlreiche Familie, der Vorwurf, daß er Natur-
Philosoph sei, und sein Verhältniß zu den Freimaurern; und abgesehen davon


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[0331] Was werden die Hofräthe in Göttingen für Augen gemacht haben, als ungerufen ein fremder Privatdocent mit Frau und zwölf Kindern in die vor¬ nehme Universitätsstadt einzog! Wie mögen sie die Köpfe geschüttelt haben über den kleinen, hageren Mann mit den tiefen blauen Augen, der sich unter ihnen eine Stätte zu gründen gedachte! Und wie mögen die vornehmen Professoren die Nase gerümpft haben, als eines Tages die in ganz Europa gefeierte italie¬ nische Sängerin Catalani in Göttingen erschien, nicht um den berühmten Ver¬ tretern der Universität etwas vorzusingen, sondern nur, um mit dem armen Privatdocenten Krause, der von wenigen beachtet wurde, einige Stunden in Musik zu schwelgen; denn das sei der einzige Mensch in Göttingen, behauptete sie, der Musik verstände! Aber einer war doch da, der ihn mit offenen Armen empfing und ihm in jeder Weise behilflich war: Dr. Thorbecke, später in Europa ehren¬ voll bekannt als hervorragender Staatsmann und Minister Hollands; er wußte, was Göttingen an Krause gewann. Und bald war er nicht mehr der einzige, bald fand Krause auckMn Göttingen Freunde, wie Lasfert, Sartorius, Wede¬ meyer, Thibaut u. a. Wir haben keine Aeußerung von Krause über seinen Göttinger Aufenthalt; es wird ihm aber dort schwerlich sehr wohl geworden sein. Gleich im ersten Winter konnte er, wie Lindemann sagt, keine Vorlesungen halten, weil er krank war?; und Krankheit blieb fortan seine treueste Gefährtin. Dennoch zwang ihn die Noth, möglichst viele, oft fünf, Vorlesungen zu halten und daneben noch Privat¬ unterricht zu ertheilen, denn sein Vater hatte ihm bis zur Erschöpfung seiner Kräfte geholfen und ihm nur uoch die Uebersiedlung nach Göttingen ermöglichen können; am 17. Februar 1825 brach sein treues Auge. Er hatte über 78 Jahre gelebt und sein ganzes Leben dem Wohle seiner Kinder gewidmet; und doch konnte er die alleinstehende Tochter nicht ohne Sorgen hinterlassen, und der Sohn, an den er alles gewandt hatte, nannte neben der reichsten Gelehrsamkeit eine zahlreiche Familie sein einziges Eigenthum! — Außer den Vorlesungen beschäftigte ihn und gewährte ihm EMenzmittel die Herausgabe verschiedener Werke, die er unter den denkbar größten Hindernissen vollendete; die Aussicht auf eine feste Anstellung mit einem Gehalte wurde ihm anch hier völlig verschlossen. Eine in Leipzig erledigte Professur, auf die er sich Hoffnung gemacht, erhielt nicht er, sondern Drobisch, und an Bouterweks Stelle, die ihm seine Freunde so sehr gegönnt hätten, und für die ihn der am Eingange dieses Lebensbildes gegebene Brief eines Freundes so warm empfahl, wurde ein Freund von ihm, Hofrath Wendt aus Leipzig, berufen. In dem genannten Briefe wurden hauptsächlich drei Gründe von Krauses Mißgeschick angegeben: seine zahlreiche Familie, der Vorwurf, daß er Natur- Philosoph sei, und sein Verhältniß zu den Freimaurern; und abgesehen davon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/331>, abgerufen am 22.07.2024.