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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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genehmer war die Ueberraschung, als bekannt wurde, die einflußreichen Mit¬
glieder der liberalen Kammermehrheit erklärten sich gegen den Gesetzentwurf.
Man war selbst innerhalb der liberalen Partei geneigt, hinter dieser ablehnenden
Haltung denselben zum Radikalismus hinneigenden Doctrinarismns zu ver¬
muthen, der erst vor kurzem in der Steuer- und Zollfrage gerade die hervor¬
ragendsten liberalen Abgeordneten zur liberalen Partei in eine schiefe Stellung
gebracht hatte.

Da kam zuerst die Maßregelung eines "Amtsverkündigers", der es gewagt
hatte, den Gesetzentwurf ein "Coneordätle" zu nennen; der amtliche Charakter
wurde dem Blatte mitten im Quartal entzogen, um einem anderen, der Regie¬
rung dienstbereiteren Blatte übertragen zu werden. Zu gleicher Zeit verlautete
aus sehr guter Quelle, daß den "Amtsverkündigern" -- und das sind mit etwa
einem Dutzend Ausnahmen alle badischen Provinzialblätter -- ein Regieruugs-
erlaß zugegangen sei, der ihnen in Bezug auf ihre Haltung eine sehr bestimmte
Alternative stellte. Schon dies wirkte ungünstig und ließ hie und da den Ver¬
dacht aufkommen, als sei die Position des Ministers doch leine so gute, wie er
das Land glauben machen wollte. Augenscheinlich bestätigt wurden diese Muth¬
maßungen durch die badische Lcmdeszeituug, das einzige nationalliberale badische
Blatt; diese erklärte sich nach einiger Bedenkzeit trotz ihres gemäßigten Stand¬
punktes gegen die Vorlage und stellte aus angeblich sehr guter Quelle Be¬
hauptungen auf, die den Minister in seinem Vorgehen aufs stärkste zu compro-
mittiren geeignet waren. Der Minister trat hiergegen in der amtlichen Karls¬
ruher Zeitung mit einer langen Entgegnung hervor, in der er unter anderm
sagte, der Bisthumsverweser vou Freiburg habe "uuter Anrufung der Gro߬
muth der Regierung" gebeten, im Interesse seiner amtlichen Autorität nicht auf
Erfüllung des Verlangens nach Aufhebung des Dispensverbotes zu bestehen.
Dieser Bitte habe die großherzogliche Regierung nachgeben zu müssen geglaubt,
da sie selbst die Erfüllung jenes Wunsches im Interesse der Staatsautorität
nicht für unerläßlich gehalten habe. Im übrigen war die ministerielle Erklärung
ganz darnach angethan, die öffentliche Meinung sich günstig zu stimmen; sie
appellirte an die Gewissenhaftigkeit, Vaterlandsliebe :e. der Abgeordneten und
stellte schließlich der feindlichen Haltung der Kammermehrheit die unumwundene
Drohung der Kammerauflösung gegenüber. Die Wirkung blieb nicht aus, und es
fehlte wenig, so hatte die Regierung gewonnenes Spiel, da auch innerhalb der
liberalen Fraction genug Abgeordnete schwankend geworden zu sein schienen,
um der Regierung eine wenn auch nur schwache Mehrheit im Verein mit den
kühlen Herzens zustimmenden Ultramontanen zu sichern.

Die Commission aber, der man die Vorlage überwiesen hatte, und an
deren Spitze der früher leitende Minister Geh. Rath Lahmey stand, stellte


genehmer war die Ueberraschung, als bekannt wurde, die einflußreichen Mit¬
glieder der liberalen Kammermehrheit erklärten sich gegen den Gesetzentwurf.
Man war selbst innerhalb der liberalen Partei geneigt, hinter dieser ablehnenden
Haltung denselben zum Radikalismus hinneigenden Doctrinarismns zu ver¬
muthen, der erst vor kurzem in der Steuer- und Zollfrage gerade die hervor¬
ragendsten liberalen Abgeordneten zur liberalen Partei in eine schiefe Stellung
gebracht hatte.

Da kam zuerst die Maßregelung eines „Amtsverkündigers", der es gewagt
hatte, den Gesetzentwurf ein „Coneordätle" zu nennen; der amtliche Charakter
wurde dem Blatte mitten im Quartal entzogen, um einem anderen, der Regie¬
rung dienstbereiteren Blatte übertragen zu werden. Zu gleicher Zeit verlautete
aus sehr guter Quelle, daß den „Amtsverkündigern" — und das sind mit etwa
einem Dutzend Ausnahmen alle badischen Provinzialblätter — ein Regieruugs-
erlaß zugegangen sei, der ihnen in Bezug auf ihre Haltung eine sehr bestimmte
Alternative stellte. Schon dies wirkte ungünstig und ließ hie und da den Ver¬
dacht aufkommen, als sei die Position des Ministers doch leine so gute, wie er
das Land glauben machen wollte. Augenscheinlich bestätigt wurden diese Muth¬
maßungen durch die badische Lcmdeszeituug, das einzige nationalliberale badische
Blatt; diese erklärte sich nach einiger Bedenkzeit trotz ihres gemäßigten Stand¬
punktes gegen die Vorlage und stellte aus angeblich sehr guter Quelle Be¬
hauptungen auf, die den Minister in seinem Vorgehen aufs stärkste zu compro-
mittiren geeignet waren. Der Minister trat hiergegen in der amtlichen Karls¬
ruher Zeitung mit einer langen Entgegnung hervor, in der er unter anderm
sagte, der Bisthumsverweser vou Freiburg habe „uuter Anrufung der Gro߬
muth der Regierung" gebeten, im Interesse seiner amtlichen Autorität nicht auf
Erfüllung des Verlangens nach Aufhebung des Dispensverbotes zu bestehen.
Dieser Bitte habe die großherzogliche Regierung nachgeben zu müssen geglaubt,
da sie selbst die Erfüllung jenes Wunsches im Interesse der Staatsautorität
nicht für unerläßlich gehalten habe. Im übrigen war die ministerielle Erklärung
ganz darnach angethan, die öffentliche Meinung sich günstig zu stimmen; sie
appellirte an die Gewissenhaftigkeit, Vaterlandsliebe :e. der Abgeordneten und
stellte schließlich der feindlichen Haltung der Kammermehrheit die unumwundene
Drohung der Kammerauflösung gegenüber. Die Wirkung blieb nicht aus, und es
fehlte wenig, so hatte die Regierung gewonnenes Spiel, da auch innerhalb der
liberalen Fraction genug Abgeordnete schwankend geworden zu sein schienen,
um der Regierung eine wenn auch nur schwache Mehrheit im Verein mit den
kühlen Herzens zustimmenden Ultramontanen zu sichern.

Die Commission aber, der man die Vorlage überwiesen hatte, und an
deren Spitze der früher leitende Minister Geh. Rath Lahmey stand, stellte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/306>, abgerufen am 22.07.2024.