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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ermöglicht es nun, die Bessemer Birne, den Bessemer-Converter, auch mit phos-
phorhaltigem Eisen beschicken und doch brauchbaren Stahl bez. brauchbares
Schmiedeeisen aus ihm erhalten zu können. -- Wie wird das erreicht? -- Wie
alles Große, Epochemachende, so ist auch diese Erfindung schließlich wunderbar
einfach:

Das Futter der Birne, zu welchem bisher ausschließlich feuerfester, kiesel-
säurehaltiger Thon verwendet wurde, wird jetzt aus Kalkstein hergestellt. - Der
Phosphor des Eisens geht bei der hohen Temperatur zum Kalkstein, verbindet
sich mit dem Kalk zu phosphorsaurem Kalk, Und das Eisen wird von Phos¬
phor frei. , .

Wie einfach ist dieser chemische Proceß! Wie einfach klingt auch der tech¬
nische Erfolg, welcher unmittelbar aus ihm resultirt: Von nun an ist aus
jedem Noheisenmaterial ein fehlerfreies Endproduct zu erzeugen! Schwer und
niederdrückend aber find die socialen Folgen, welche die neue Erfindung mit
einer gewissen Naturnothwendigkeit nach sich ziehen zu wollen scheint.

Es sind noch nicht 25 Jahre verflossen, seit Henry Bessemer durch seine
Erfindung der Stahlbereitung ohne Brennstoff die ganze Eisenindustrie zwang,
von Grund auf sich umzugestalten. stählerne Dampfkessel, stählerne Panzer¬
platten, Eisenbahnschienen, Schiffs- und Brückenbaumaterialien, Ketten, Geschirre
und tausend Utensilien, welche das tägliche Leben bedarf, fertigt man jetzt aus
Stahl; bei der geringen Preisdifferenz haben die Vorzüge des Stahls das Eisen
immer mehr verdrängt. Wurde auch dem mit Ungestüm andringenden Neuling
der zäheste und hartnäckigste Widerstand von den renommirtesten Eisenwerken ent¬
gegengesetzt, so konnten doch schließlich auch diese die übermächtige Concurrenz
nicht abweisen und waren gezwungen, ganze Reihen von Puddelöfen, welche
Millionen gekostet hatten, zu demoliren und durch Bessemer-Converter zu ersetzen.
Hand in Hand damit ging die Nothwendigkeit, durch kräftigere Walzwerke,
schwerere Hämmer und complicirtere Hilfsmafchinen die alten, weniger leistungs¬
fähigen zu ersetzen; dies kostete aber weitere Millionen. Endlich -- und das
war das Folgenschwerste -- drängte sich die Nothwendigkeit zur Sicherung der
geeigneten Erzgewinnung gebieterisch in den Vordergrund, denn für den Besse-
merproceß sind nur phosphorfreie, wenigstens phosphorarme Erze brauchbar.
Treffend charakterisirte daher der Sachverständige für die Eisenenguete-Com¬
mission, Commerzienrath Baare, in der Vernehmung am 28. und 29. November
1878 die Folgen dieser Umwälzung durch den Bessemerproceß mit folgenden
Worten:

"Ich würde es als ein großes Unglück für die deutsche Eisenindustrie be¬
trachten, wenn wieder neue Erfindungen gemacht würden, die zum Umsturz des
Bestehenden führten, wie die Bessemer-Erfindung, denn wir haben unsere Kräfte


ermöglicht es nun, die Bessemer Birne, den Bessemer-Converter, auch mit phos-
phorhaltigem Eisen beschicken und doch brauchbaren Stahl bez. brauchbares
Schmiedeeisen aus ihm erhalten zu können. — Wie wird das erreicht? — Wie
alles Große, Epochemachende, so ist auch diese Erfindung schließlich wunderbar
einfach:

Das Futter der Birne, zu welchem bisher ausschließlich feuerfester, kiesel-
säurehaltiger Thon verwendet wurde, wird jetzt aus Kalkstein hergestellt. - Der
Phosphor des Eisens geht bei der hohen Temperatur zum Kalkstein, verbindet
sich mit dem Kalk zu phosphorsaurem Kalk, Und das Eisen wird von Phos¬
phor frei. , .

Wie einfach ist dieser chemische Proceß! Wie einfach klingt auch der tech¬
nische Erfolg, welcher unmittelbar aus ihm resultirt: Von nun an ist aus
jedem Noheisenmaterial ein fehlerfreies Endproduct zu erzeugen! Schwer und
niederdrückend aber find die socialen Folgen, welche die neue Erfindung mit
einer gewissen Naturnothwendigkeit nach sich ziehen zu wollen scheint.

Es sind noch nicht 25 Jahre verflossen, seit Henry Bessemer durch seine
Erfindung der Stahlbereitung ohne Brennstoff die ganze Eisenindustrie zwang,
von Grund auf sich umzugestalten. stählerne Dampfkessel, stählerne Panzer¬
platten, Eisenbahnschienen, Schiffs- und Brückenbaumaterialien, Ketten, Geschirre
und tausend Utensilien, welche das tägliche Leben bedarf, fertigt man jetzt aus
Stahl; bei der geringen Preisdifferenz haben die Vorzüge des Stahls das Eisen
immer mehr verdrängt. Wurde auch dem mit Ungestüm andringenden Neuling
der zäheste und hartnäckigste Widerstand von den renommirtesten Eisenwerken ent¬
gegengesetzt, so konnten doch schließlich auch diese die übermächtige Concurrenz
nicht abweisen und waren gezwungen, ganze Reihen von Puddelöfen, welche
Millionen gekostet hatten, zu demoliren und durch Bessemer-Converter zu ersetzen.
Hand in Hand damit ging die Nothwendigkeit, durch kräftigere Walzwerke,
schwerere Hämmer und complicirtere Hilfsmafchinen die alten, weniger leistungs¬
fähigen zu ersetzen; dies kostete aber weitere Millionen. Endlich — und das
war das Folgenschwerste — drängte sich die Nothwendigkeit zur Sicherung der
geeigneten Erzgewinnung gebieterisch in den Vordergrund, denn für den Besse-
merproceß sind nur phosphorfreie, wenigstens phosphorarme Erze brauchbar.
Treffend charakterisirte daher der Sachverständige für die Eisenenguete-Com¬
mission, Commerzienrath Baare, in der Vernehmung am 28. und 29. November
1878 die Folgen dieser Umwälzung durch den Bessemerproceß mit folgenden
Worten:

„Ich würde es als ein großes Unglück für die deutsche Eisenindustrie be¬
trachten, wenn wieder neue Erfindungen gemacht würden, die zum Umsturz des
Bestehenden führten, wie die Bessemer-Erfindung, denn wir haben unsere Kräfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/301>, abgerufen am 23.07.2024.