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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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also ihre Vorbereitung nicht selbst, wie er gewünscht hatte; aber er selbst war
überzeugt, auf dein rechten Wege zu sein. 1818 schreibt er an seinen Vater:
Ich habe zeither, wie stets, mein ganzes Leben durchgeprüft und nicht gefunden,
wie ich jemals hätte anders handeln gekonnt, als ich jedesmal nach reiflicher Ueber-
legung gehandelt habe. Ich habe mich stets bemüht, meinen Lebensberuf zu erkennen
und ihm treu zu leben. Dieses habe ich bisher, bei allen noch so großen Schwierig¬
keiten, mit möglichster Treue gethan, und muß es auch ferner thun, es gehe, wie
Gott wolle. Ich kann meinen Posten nicht treulos verlassen, und indem ich auf
dem Wege meiner Pflicht, von außen mit Dunkel umhüllt, vorwärts gehe, muß ich
Gott unbedingt und ganz, ohne allen Rückhalt, vertrauen, und ich vertraue ihm so,
auch wenn Tausende mich verschmähen, verfolgen, verkennen, auch wenn ein Freund
nach dem andern von mir abfallen sollte. Daß es mir äußerlich besser gehen möchte,
wünsche ich noch mehr um Ihrer willen, als um meiner selbst willen. Sie haben
von meiner Geburt an bis heute Vaterpflicht im vollen Sinne gegen mich erfüllt,
und mehr als Pflicht im gewöhnlichen Sinne; dadurch haben Sie das Aufkeimen
und Gedeihen des Guten auf Erden befördert, und ich danke Gott dafür. Sie
werden ferner thun, was Sie können, und Gott wird das Seine thun, wenn ich
fortwährend treu das Meine thue, mich auch äußerlich zu erhalten."

Schon die Resignation, die aus allen diesen Worten Klingt, zeigt, daß
seine äußere Lage immer hilfloser wurde. Einmal schrieb er sogar dem Vater,
daß sie seit längerer Zeit kein Fleisch mehr essen könnten. "Ich habe aber,"
fügt er hinzu, "die geringe Kost zeither sehr gut vertragen, und wir haben
unsere Grützsuppe und meistens trockenes Brod mit Heiterkeit und Danksagung
genossen." Dies rührte den Vater, der in praktischen Dingen ganz das Gegen¬
theil seines Sohnes war und bei jedem unklugen Schritte die schlimmen Folgen
vorausgesagt hatte. Er hätte ja seinen Sohn seit 1804 mit bedeutenden Geld¬
summen unterstützt, hatte zwei Drittel seines Einkommens dem Sohne geschickt,
alle Rathschläge ertheilt, die er ertheilen konnte; er hatte alles gethan. Wenn
manchmal sein Unmuth durchbrach, dem er dann in derben Worten Luft machte,
so machte ihn doch die Noth des Sohnes auch wieder weich. "Bedauernswerther
Sohn," antwortete er ihm auf obige Mittheilung. "Ach, so weit ists mit Euch
gekommen, daß Ihr mit trocknem Brode Euch sättigen müßt!! auch wol dieses
nicht allemal haben werdet. Leider ist von Zeit zu Zeit alles so erfolgt, wie
ich vorausgesehen." Wahrhaft rührend ist es, wie der alte, mehr als siebzigjährige
Mann nun immer und immer wieder dem Sohne zuredet: "Habe nur Muth!"
Bisher hatte der Sohn immer den Vater getröstet und überzeugungsvoll auf
den unausbleiblichen Erfolg seiner wissenschaftlichen Thätigkeit verwiesen; jetzt
schrieb derselbe Sohn:

"Es ist mir überaus schmerzlich, gerade, wo ich der Vollendung meiner größeren
Schriften und der Erziehung der Sophie so nahe bin, mich so unaussprechlich Hülflos


also ihre Vorbereitung nicht selbst, wie er gewünscht hatte; aber er selbst war
überzeugt, auf dein rechten Wege zu sein. 1818 schreibt er an seinen Vater:
Ich habe zeither, wie stets, mein ganzes Leben durchgeprüft und nicht gefunden,
wie ich jemals hätte anders handeln gekonnt, als ich jedesmal nach reiflicher Ueber-
legung gehandelt habe. Ich habe mich stets bemüht, meinen Lebensberuf zu erkennen
und ihm treu zu leben. Dieses habe ich bisher, bei allen noch so großen Schwierig¬
keiten, mit möglichster Treue gethan, und muß es auch ferner thun, es gehe, wie
Gott wolle. Ich kann meinen Posten nicht treulos verlassen, und indem ich auf
dem Wege meiner Pflicht, von außen mit Dunkel umhüllt, vorwärts gehe, muß ich
Gott unbedingt und ganz, ohne allen Rückhalt, vertrauen, und ich vertraue ihm so,
auch wenn Tausende mich verschmähen, verfolgen, verkennen, auch wenn ein Freund
nach dem andern von mir abfallen sollte. Daß es mir äußerlich besser gehen möchte,
wünsche ich noch mehr um Ihrer willen, als um meiner selbst willen. Sie haben
von meiner Geburt an bis heute Vaterpflicht im vollen Sinne gegen mich erfüllt,
und mehr als Pflicht im gewöhnlichen Sinne; dadurch haben Sie das Aufkeimen
und Gedeihen des Guten auf Erden befördert, und ich danke Gott dafür. Sie
werden ferner thun, was Sie können, und Gott wird das Seine thun, wenn ich
fortwährend treu das Meine thue, mich auch äußerlich zu erhalten."

Schon die Resignation, die aus allen diesen Worten Klingt, zeigt, daß
seine äußere Lage immer hilfloser wurde. Einmal schrieb er sogar dem Vater,
daß sie seit längerer Zeit kein Fleisch mehr essen könnten. „Ich habe aber,"
fügt er hinzu, „die geringe Kost zeither sehr gut vertragen, und wir haben
unsere Grützsuppe und meistens trockenes Brod mit Heiterkeit und Danksagung
genossen." Dies rührte den Vater, der in praktischen Dingen ganz das Gegen¬
theil seines Sohnes war und bei jedem unklugen Schritte die schlimmen Folgen
vorausgesagt hatte. Er hätte ja seinen Sohn seit 1804 mit bedeutenden Geld¬
summen unterstützt, hatte zwei Drittel seines Einkommens dem Sohne geschickt,
alle Rathschläge ertheilt, die er ertheilen konnte; er hatte alles gethan. Wenn
manchmal sein Unmuth durchbrach, dem er dann in derben Worten Luft machte,
so machte ihn doch die Noth des Sohnes auch wieder weich. „Bedauernswerther
Sohn," antwortete er ihm auf obige Mittheilung. „Ach, so weit ists mit Euch
gekommen, daß Ihr mit trocknem Brode Euch sättigen müßt!! auch wol dieses
nicht allemal haben werdet. Leider ist von Zeit zu Zeit alles so erfolgt, wie
ich vorausgesehen." Wahrhaft rührend ist es, wie der alte, mehr als siebzigjährige
Mann nun immer und immer wieder dem Sohne zuredet: „Habe nur Muth!"
Bisher hatte der Sohn immer den Vater getröstet und überzeugungsvoll auf
den unausbleiblichen Erfolg seiner wissenschaftlichen Thätigkeit verwiesen; jetzt
schrieb derselbe Sohn:

„Es ist mir überaus schmerzlich, gerade, wo ich der Vollendung meiner größeren
Schriften und der Erziehung der Sophie so nahe bin, mich so unaussprechlich Hülflos


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[0296] also ihre Vorbereitung nicht selbst, wie er gewünscht hatte; aber er selbst war überzeugt, auf dein rechten Wege zu sein. 1818 schreibt er an seinen Vater: Ich habe zeither, wie stets, mein ganzes Leben durchgeprüft und nicht gefunden, wie ich jemals hätte anders handeln gekonnt, als ich jedesmal nach reiflicher Ueber- legung gehandelt habe. Ich habe mich stets bemüht, meinen Lebensberuf zu erkennen und ihm treu zu leben. Dieses habe ich bisher, bei allen noch so großen Schwierig¬ keiten, mit möglichster Treue gethan, und muß es auch ferner thun, es gehe, wie Gott wolle. Ich kann meinen Posten nicht treulos verlassen, und indem ich auf dem Wege meiner Pflicht, von außen mit Dunkel umhüllt, vorwärts gehe, muß ich Gott unbedingt und ganz, ohne allen Rückhalt, vertrauen, und ich vertraue ihm so, auch wenn Tausende mich verschmähen, verfolgen, verkennen, auch wenn ein Freund nach dem andern von mir abfallen sollte. Daß es mir äußerlich besser gehen möchte, wünsche ich noch mehr um Ihrer willen, als um meiner selbst willen. Sie haben von meiner Geburt an bis heute Vaterpflicht im vollen Sinne gegen mich erfüllt, und mehr als Pflicht im gewöhnlichen Sinne; dadurch haben Sie das Aufkeimen und Gedeihen des Guten auf Erden befördert, und ich danke Gott dafür. Sie werden ferner thun, was Sie können, und Gott wird das Seine thun, wenn ich fortwährend treu das Meine thue, mich auch äußerlich zu erhalten." Schon die Resignation, die aus allen diesen Worten Klingt, zeigt, daß seine äußere Lage immer hilfloser wurde. Einmal schrieb er sogar dem Vater, daß sie seit längerer Zeit kein Fleisch mehr essen könnten. „Ich habe aber," fügt er hinzu, „die geringe Kost zeither sehr gut vertragen, und wir haben unsere Grützsuppe und meistens trockenes Brod mit Heiterkeit und Danksagung genossen." Dies rührte den Vater, der in praktischen Dingen ganz das Gegen¬ theil seines Sohnes war und bei jedem unklugen Schritte die schlimmen Folgen vorausgesagt hatte. Er hätte ja seinen Sohn seit 1804 mit bedeutenden Geld¬ summen unterstützt, hatte zwei Drittel seines Einkommens dem Sohne geschickt, alle Rathschläge ertheilt, die er ertheilen konnte; er hatte alles gethan. Wenn manchmal sein Unmuth durchbrach, dem er dann in derben Worten Luft machte, so machte ihn doch die Noth des Sohnes auch wieder weich. „Bedauernswerther Sohn," antwortete er ihm auf obige Mittheilung. „Ach, so weit ists mit Euch gekommen, daß Ihr mit trocknem Brode Euch sättigen müßt!! auch wol dieses nicht allemal haben werdet. Leider ist von Zeit zu Zeit alles so erfolgt, wie ich vorausgesehen." Wahrhaft rührend ist es, wie der alte, mehr als siebzigjährige Mann nun immer und immer wieder dem Sohne zuredet: „Habe nur Muth!" Bisher hatte der Sohn immer den Vater getröstet und überzeugungsvoll auf den unausbleiblichen Erfolg seiner wissenschaftlichen Thätigkeit verwiesen; jetzt schrieb derselbe Sohn: „Es ist mir überaus schmerzlich, gerade, wo ich der Vollendung meiner größeren Schriften und der Erziehung der Sophie so nahe bin, mich so unaussprechlich Hülflos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/296>, abgerufen am 23.07.2024.