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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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alten Magister. Gewiß ist bei Ordnung des Stoffes vor allem das Streben
nach Ueberstchtlichkeit zu loben. Aber man muß dabei das rechte Maß inne¬
halten, man darf nicht jede Unterabtheilung wieder in Unterabtheilungen zerlegen
und die Zahl der Rubriken und Paragraphen ins Unendliche vermehren. Statt
die Begriffe in logischer Reihenfolge zu erörtern, löst man jeden wirklichen
oder vermeintlichen Gedanken mit mikroskopischer Genauigkeit in seine Theile
auf und preßt die einzelnen Theilstücke, um ihnen die nöthige wissenschaftliche
Folie zu geben, in Definitionen. Dabei wird nicht nur der Sprache in schauer¬
licher Weise Gewalt angethan, sondern auch alle Klarheit und Verständlichkeit
aus dem ,Systeri^ hinaufgearbeitet. So entstehen dickleibige Lehrbücher und
bandwurmartige Collegienhefte, welche die Studenten mit theueren Gelde be¬
zahlen müssen, während sie kaum eiuen einzigen fruchtbaren Gedanken enthalten."...
Sah hat das System Smiths wenigstens den Franzosen zurechtgemacht. Die
deutsche Schule aber hat es den deutschen Zuständen nicht angepaßt. Den
kosmopolitischen Tendenzen hat sie eine kleine Dosis Patriotismus zugesetzt und
die Vvlkswirthschaftspolitik in eine büreaukratische Schablone umgeformt. Daneben
sind trotz der angeblichen Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode immer
neue scholastische Probleme aufgetaucht. Selbst Röscher, in dem die histo¬
rische Schule ihren Meister verehrt, gesteht: "Wer eine längere Reihe von
solchen Schriften durchmustert, dem wird gewiß nichts mehr darin auffalle"
als die ungeheuren Verschiedenheiten, ja Widersprüche, in dem, was die Theo¬
retiker als wünschenswert!) und nothwendig bezeichnen. Fast kein erheblicher
Punkt, wo sich nicht die gewichtigsten Autoritäten für und wider allführen ließen.
Man hat diesen Uebelstand wohl zu verdecken gesucht, man hat namentlich den
Socialisten gegenüber wohl gemeint, in den Hauptfragen sei die Nationalöko¬
nomie doch ebenso einig wie die Naturwissenschaft. So gern ich dies in Bezug
auf Fragen nach dem Sein der Dinge zugebe, so entschieden stelle ich es in
Abrede, wo es sich um das Seinsollen handelt. Wir dürfen darüber unser
Auge nicht verschließen." Der Kampf der Geister ist auf diesem Gebiete viel¬
fach zu bloßer Wortklauberei ausgeartet, bei der man sich mit den Künsten der
Sophistik meist um ganz unwesentliche Dinge streitet, die Menge der Bücher
und Broschüren aber derart anwächst, daß man Mühe hat, sich noch darin
zurechtzufinden.

Dabei scheint aber, wie bemerkt, die herrschende Schule sich nicht einmal
recht deutlich gemacht zu haben, was Volkswirthschaft und was die Aufgabe der
ökonomischen Wissenschaft ist. Adam Smith und Sah haben die Aufgabe der
Volkswirthschaft darin erblickt,' daß sie Reichthümer schaffe, die Fähigkeit dazu
nur den Individuen zuerkannt und deshalb für dieselben die größte Freiheit der
Bewegung verlangt. Das Interesse der Einzelnen fällt nach ihnen mit dem


alten Magister. Gewiß ist bei Ordnung des Stoffes vor allem das Streben
nach Ueberstchtlichkeit zu loben. Aber man muß dabei das rechte Maß inne¬
halten, man darf nicht jede Unterabtheilung wieder in Unterabtheilungen zerlegen
und die Zahl der Rubriken und Paragraphen ins Unendliche vermehren. Statt
die Begriffe in logischer Reihenfolge zu erörtern, löst man jeden wirklichen
oder vermeintlichen Gedanken mit mikroskopischer Genauigkeit in seine Theile
auf und preßt die einzelnen Theilstücke, um ihnen die nöthige wissenschaftliche
Folie zu geben, in Definitionen. Dabei wird nicht nur der Sprache in schauer¬
licher Weise Gewalt angethan, sondern auch alle Klarheit und Verständlichkeit
aus dem ,Systeri^ hinaufgearbeitet. So entstehen dickleibige Lehrbücher und
bandwurmartige Collegienhefte, welche die Studenten mit theueren Gelde be¬
zahlen müssen, während sie kaum eiuen einzigen fruchtbaren Gedanken enthalten."...
Sah hat das System Smiths wenigstens den Franzosen zurechtgemacht. Die
deutsche Schule aber hat es den deutschen Zuständen nicht angepaßt. Den
kosmopolitischen Tendenzen hat sie eine kleine Dosis Patriotismus zugesetzt und
die Vvlkswirthschaftspolitik in eine büreaukratische Schablone umgeformt. Daneben
sind trotz der angeblichen Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode immer
neue scholastische Probleme aufgetaucht. Selbst Röscher, in dem die histo¬
rische Schule ihren Meister verehrt, gesteht: „Wer eine längere Reihe von
solchen Schriften durchmustert, dem wird gewiß nichts mehr darin auffalle»
als die ungeheuren Verschiedenheiten, ja Widersprüche, in dem, was die Theo¬
retiker als wünschenswert!) und nothwendig bezeichnen. Fast kein erheblicher
Punkt, wo sich nicht die gewichtigsten Autoritäten für und wider allführen ließen.
Man hat diesen Uebelstand wohl zu verdecken gesucht, man hat namentlich den
Socialisten gegenüber wohl gemeint, in den Hauptfragen sei die Nationalöko¬
nomie doch ebenso einig wie die Naturwissenschaft. So gern ich dies in Bezug
auf Fragen nach dem Sein der Dinge zugebe, so entschieden stelle ich es in
Abrede, wo es sich um das Seinsollen handelt. Wir dürfen darüber unser
Auge nicht verschließen." Der Kampf der Geister ist auf diesem Gebiete viel¬
fach zu bloßer Wortklauberei ausgeartet, bei der man sich mit den Künsten der
Sophistik meist um ganz unwesentliche Dinge streitet, die Menge der Bücher
und Broschüren aber derart anwächst, daß man Mühe hat, sich noch darin
zurechtzufinden.

Dabei scheint aber, wie bemerkt, die herrschende Schule sich nicht einmal
recht deutlich gemacht zu haben, was Volkswirthschaft und was die Aufgabe der
ökonomischen Wissenschaft ist. Adam Smith und Sah haben die Aufgabe der
Volkswirthschaft darin erblickt,' daß sie Reichthümer schaffe, die Fähigkeit dazu
nur den Individuen zuerkannt und deshalb für dieselben die größte Freiheit der
Bewegung verlangt. Das Interesse der Einzelnen fällt nach ihnen mit dem


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[0271] alten Magister. Gewiß ist bei Ordnung des Stoffes vor allem das Streben nach Ueberstchtlichkeit zu loben. Aber man muß dabei das rechte Maß inne¬ halten, man darf nicht jede Unterabtheilung wieder in Unterabtheilungen zerlegen und die Zahl der Rubriken und Paragraphen ins Unendliche vermehren. Statt die Begriffe in logischer Reihenfolge zu erörtern, löst man jeden wirklichen oder vermeintlichen Gedanken mit mikroskopischer Genauigkeit in seine Theile auf und preßt die einzelnen Theilstücke, um ihnen die nöthige wissenschaftliche Folie zu geben, in Definitionen. Dabei wird nicht nur der Sprache in schauer¬ licher Weise Gewalt angethan, sondern auch alle Klarheit und Verständlichkeit aus dem ,Systeri^ hinaufgearbeitet. So entstehen dickleibige Lehrbücher und bandwurmartige Collegienhefte, welche die Studenten mit theueren Gelde be¬ zahlen müssen, während sie kaum eiuen einzigen fruchtbaren Gedanken enthalten."... Sah hat das System Smiths wenigstens den Franzosen zurechtgemacht. Die deutsche Schule aber hat es den deutschen Zuständen nicht angepaßt. Den kosmopolitischen Tendenzen hat sie eine kleine Dosis Patriotismus zugesetzt und die Vvlkswirthschaftspolitik in eine büreaukratische Schablone umgeformt. Daneben sind trotz der angeblichen Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode immer neue scholastische Probleme aufgetaucht. Selbst Röscher, in dem die histo¬ rische Schule ihren Meister verehrt, gesteht: „Wer eine längere Reihe von solchen Schriften durchmustert, dem wird gewiß nichts mehr darin auffalle» als die ungeheuren Verschiedenheiten, ja Widersprüche, in dem, was die Theo¬ retiker als wünschenswert!) und nothwendig bezeichnen. Fast kein erheblicher Punkt, wo sich nicht die gewichtigsten Autoritäten für und wider allführen ließen. Man hat diesen Uebelstand wohl zu verdecken gesucht, man hat namentlich den Socialisten gegenüber wohl gemeint, in den Hauptfragen sei die Nationalöko¬ nomie doch ebenso einig wie die Naturwissenschaft. So gern ich dies in Bezug auf Fragen nach dem Sein der Dinge zugebe, so entschieden stelle ich es in Abrede, wo es sich um das Seinsollen handelt. Wir dürfen darüber unser Auge nicht verschließen." Der Kampf der Geister ist auf diesem Gebiete viel¬ fach zu bloßer Wortklauberei ausgeartet, bei der man sich mit den Künsten der Sophistik meist um ganz unwesentliche Dinge streitet, die Menge der Bücher und Broschüren aber derart anwächst, daß man Mühe hat, sich noch darin zurechtzufinden. Dabei scheint aber, wie bemerkt, die herrschende Schule sich nicht einmal recht deutlich gemacht zu haben, was Volkswirthschaft und was die Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft ist. Adam Smith und Sah haben die Aufgabe der Volkswirthschaft darin erblickt,' daß sie Reichthümer schaffe, die Fähigkeit dazu nur den Individuen zuerkannt und deshalb für dieselben die größte Freiheit der Bewegung verlangt. Das Interesse der Einzelnen fällt nach ihnen mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/271>, abgerufen am 23.07.2024.