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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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mag erwähnt werden, daß er alle Production, die materielle wie die geistige,
gleich achtet, während Smith den geistigen Arbeiten die Productivität abspricht.
Sah fand namentlich bei der Kaufmanns- und Börsenwelt Beifall, die großen
Zeitungen, meist den Interessen dieser Kreise dienstbar, wirkten kräftig für ihn,
und sein aus der Finanzwelt stammender Anhang verstärkte sich zugleich durch
jugendliche Schwärmer, die sich von der Phrase der wirthschaftlichen Freiheit
angezogen fanden. Erst als jüngere Kräfte seine Schule mit Geist und Witz
energisch angriffen, ging sein Stern unter.

Zu derselben Zeit, als Cobden den Manchesterverein gründete, welcher
Apostel des Freihandels in alle Welt aussandte und durch Broschüren, Zeitungen
und -- andere Mittel thätig war, tauchte in Deutschland als einer jener Apostel
der englische Sprachlehrer Prince-Smith auf und gründete wie Sah eine
Schule. Sein Evangelium bestand aus den Sätzen Ibisse!? t^iis -- die Con-
currenz sei frei -- das Gesetz der Nachfrage entscheide allein. Die Geschäfts¬
leute, die Judenschaft voran, begriffen sofort, daß dies eine gute, d. h. eine für
sie vortheilhafte Lehre und eine leicht zu lernende Wissenschaft sei. Die Presse
that, was sie konnte, um dieselbe zu verbreiten und anzupreisen; denn -- die
meisten Journalisten waren ja auch Geschäftsleute. Die liberalen Parteien
nahmen theils aus kurzsichtigen Eifer gegen die absolutistischen Regierungen,
theils aus Privatinteresse die "Principien" der Freihandelspolitik in ihre Pro¬
gramme auf. Volkswirtschaftliche Vereine und Congresse secundirten, und
mehrere Universitäten unterstützten die Agitation mit ihrem Ansehen.

In Deutschland predigten Prince-Smith und Genossen nun tapfer die All¬
macht des Kapitals, die gleichbedeutend ist mit der Ohnmacht des Staates. Da
hieß es ö. 1a Adam Smith: "Der Privatvortheil ist mit dem allgemeinen Nutzen
identisch." Dann sagte man mit kühler Würde: "Dem Besitzlosen ist nur da¬
durch zu helfen, daß er die Willenskraft hat, nicht länger jeder augenblicklichen
Noth rathlos gegenüberzustehen, nicht länger feine Nachkommen ohne einige
Ausstattung dem Lebenskampfe entgegenzuschicken. Wenn er das nicht zu thun
versteht, muß er seinen Verbrauch entsprechend einschränken und die Dürftigkeit
als natürliche Folge seiner beschränkten Productionsfähigkeit ertragen. Das ist
das Grundgesetz volkswirtschaftlicher Organisation, die einzig mögliche Bedin¬
gung, unter welcher der volkswirtschaftliche Zweck, Vermehrung und gerechte
Vertheiluug der Befriedigungsmittel, gesichert werden kann. Der Volkswirth-
schaftlichen Gemeinde ist jede Solidarität grundsätzlich fremd."

Also keine Solidarität, nur Freiheit: Freiheit der Concurrenz unter den
Geldsäcken erster, zweiter und dritter Klasse und Freiheit des Verhnngerns für
die Armen! I^isLW xasssr -- 1s. inisörs! I^is8si5 tairs ^ t" inorr! Dem
Staate kommt, wie Prince-Smiths Evangelium uns belehrt, keine andere Aufgabe


mag erwähnt werden, daß er alle Production, die materielle wie die geistige,
gleich achtet, während Smith den geistigen Arbeiten die Productivität abspricht.
Sah fand namentlich bei der Kaufmanns- und Börsenwelt Beifall, die großen
Zeitungen, meist den Interessen dieser Kreise dienstbar, wirkten kräftig für ihn,
und sein aus der Finanzwelt stammender Anhang verstärkte sich zugleich durch
jugendliche Schwärmer, die sich von der Phrase der wirthschaftlichen Freiheit
angezogen fanden. Erst als jüngere Kräfte seine Schule mit Geist und Witz
energisch angriffen, ging sein Stern unter.

Zu derselben Zeit, als Cobden den Manchesterverein gründete, welcher
Apostel des Freihandels in alle Welt aussandte und durch Broschüren, Zeitungen
und — andere Mittel thätig war, tauchte in Deutschland als einer jener Apostel
der englische Sprachlehrer Prince-Smith auf und gründete wie Sah eine
Schule. Sein Evangelium bestand aus den Sätzen Ibisse!? t^iis — die Con-
currenz sei frei — das Gesetz der Nachfrage entscheide allein. Die Geschäfts¬
leute, die Judenschaft voran, begriffen sofort, daß dies eine gute, d. h. eine für
sie vortheilhafte Lehre und eine leicht zu lernende Wissenschaft sei. Die Presse
that, was sie konnte, um dieselbe zu verbreiten und anzupreisen; denn — die
meisten Journalisten waren ja auch Geschäftsleute. Die liberalen Parteien
nahmen theils aus kurzsichtigen Eifer gegen die absolutistischen Regierungen,
theils aus Privatinteresse die „Principien" der Freihandelspolitik in ihre Pro¬
gramme auf. Volkswirtschaftliche Vereine und Congresse secundirten, und
mehrere Universitäten unterstützten die Agitation mit ihrem Ansehen.

In Deutschland predigten Prince-Smith und Genossen nun tapfer die All¬
macht des Kapitals, die gleichbedeutend ist mit der Ohnmacht des Staates. Da
hieß es ö. 1a Adam Smith: „Der Privatvortheil ist mit dem allgemeinen Nutzen
identisch." Dann sagte man mit kühler Würde: „Dem Besitzlosen ist nur da¬
durch zu helfen, daß er die Willenskraft hat, nicht länger jeder augenblicklichen
Noth rathlos gegenüberzustehen, nicht länger feine Nachkommen ohne einige
Ausstattung dem Lebenskampfe entgegenzuschicken. Wenn er das nicht zu thun
versteht, muß er seinen Verbrauch entsprechend einschränken und die Dürftigkeit
als natürliche Folge seiner beschränkten Productionsfähigkeit ertragen. Das ist
das Grundgesetz volkswirtschaftlicher Organisation, die einzig mögliche Bedin¬
gung, unter welcher der volkswirtschaftliche Zweck, Vermehrung und gerechte
Vertheiluug der Befriedigungsmittel, gesichert werden kann. Der Volkswirth-
schaftlichen Gemeinde ist jede Solidarität grundsätzlich fremd."

Also keine Solidarität, nur Freiheit: Freiheit der Concurrenz unter den
Geldsäcken erster, zweiter und dritter Klasse und Freiheit des Verhnngerns für
die Armen! I^isLW xasssr — 1s. inisörs! I^is8si5 tairs ^ t» inorr! Dem
Staate kommt, wie Prince-Smiths Evangelium uns belehrt, keine andere Aufgabe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/267>, abgerufen am 26.06.2024.