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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ters, ihr Götter" (34) und "Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der
meine" (35); namentlich das erste, worin der Dichter selbst sich seines zur Mei¬
sterschaft entwickelten Talentes "deutsch zu schreiben" rühmt und beklagt, daß er
dies Talent in den "Venetianischen Epigrammen" an einem so wohlfeilen Stoffe
vergeude -- die Worte "schlechtester Stoff" find bekanntlich von vielen, selbst
von Klopstock, mißverständlich auf die deutsche Sprache bezogen worden! --, ge¬
hört durchaus in den Umkreis der vorliegenden Sammlung. Unbekannt geblieben
ist wohl dem Herausgeber das kleine Preislied auf Goethe von M. Carriere:
"Es steht ein Haus zu Frankfurt am Main" (vgl. Bindewald, Poetische Welt¬
geschichte II1107), desgleichen das meisterhafte Epigramm, das Hermann Grimm
seinem Essay über Schiller und Goethe als Motto vorangestellt hat:


Muthvoll drang er hinauf zum wolkenverhülleten Gipfel,
Und der olympischen Burg Thore, sie sprangen ihm auf;
Aber der andere ruhte gelassen am Fuße des Berges;
Sieh, und es kamen zu ihm alle die Götter herab.

Auf Hölderlin hat Ludwig Pfau ein schönes Sonett gedichtet: "Ja, treulich hat
dein Schutzgott dich bewacht", das ebenfalls Aufnahme verdiente. Etwas emsiger
hätten endlich auch die Genien ausgebeutet werden können; vor allem müßte
die Xenienreihe dasein, die Schiller später unter der Ueberschrift "Shakespeare's
Schatten" zu einem Ganzen verbunden hat. Das bürgerliche Schauspiel Ifflands
und Kotzebue's ist ja nirgends so prächtig gegeißelt worden wie in diesen Epi¬
grammen. Wir vermuthen, daß Jmelmann diese Tenienreihe, die er, wie eine
Anmerkung auf S. 601 beweist, natürlich gekannt hat, deshalb ausgelassen hat,
weil sie sich nicht auf einen einzelnen bestimmten Namen, sondern auf eine
durch mehrere Namen vertretene Gattung bezieht. Aber ist nicht dasselbe der
Fall mit den Gedichten "Naturpoesie" und "Volkslied" (S. 64), "Die beiden
Musen" (S. 163), "Die deutsche Muse" (S. 227) u. a.?

Hiermit berühren wir überhaupt eine Klasse von Gedichten, die Jmelmann
principiell -- oder nein, nicht principiell, denn es finden sich eben Ausnahmen
von seiner Sammlung ausgeschlossen zu haben scheint, die aber doch recht
eigentlich in eine derartige "Deutsche Literaturgeschichte in poetischer Form"
gehören; wir meinen diejenigen Dichtungen, die, ohne daß man sie auf einen
bestimmten Namen fixiren könnte, sich doch auf wichtige Vorgänge in der Ent¬
wicklung unserer Natwnalliteratur beziehen. Hierher gehören z. B. die Gedichte,
in denen die Bestrebungen Ausdruck finden, vor allem die deutsche Sprache zu
heben und der Gallomanie ein Ende zu machen, Bestrebungen, die ja mit den
auf die Neubelebung der Poesie gerichteten im 17. und 18. Jahrhundert un¬
trennbar Hand in Hand gingen; ferner diejenigen, welche die Aufnahme fremder
Dichtmigsformeu und die daran sich knüpfenden Controversen behandeln; wir


ters, ihr Götter" (34) und „Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der
meine" (35); namentlich das erste, worin der Dichter selbst sich seines zur Mei¬
sterschaft entwickelten Talentes „deutsch zu schreiben" rühmt und beklagt, daß er
dies Talent in den „Venetianischen Epigrammen" an einem so wohlfeilen Stoffe
vergeude — die Worte „schlechtester Stoff" find bekanntlich von vielen, selbst
von Klopstock, mißverständlich auf die deutsche Sprache bezogen worden! —, ge¬
hört durchaus in den Umkreis der vorliegenden Sammlung. Unbekannt geblieben
ist wohl dem Herausgeber das kleine Preislied auf Goethe von M. Carriere:
„Es steht ein Haus zu Frankfurt am Main" (vgl. Bindewald, Poetische Welt¬
geschichte II1107), desgleichen das meisterhafte Epigramm, das Hermann Grimm
seinem Essay über Schiller und Goethe als Motto vorangestellt hat:


Muthvoll drang er hinauf zum wolkenverhülleten Gipfel,
Und der olympischen Burg Thore, sie sprangen ihm auf;
Aber der andere ruhte gelassen am Fuße des Berges;
Sieh, und es kamen zu ihm alle die Götter herab.

Auf Hölderlin hat Ludwig Pfau ein schönes Sonett gedichtet: „Ja, treulich hat
dein Schutzgott dich bewacht", das ebenfalls Aufnahme verdiente. Etwas emsiger
hätten endlich auch die Genien ausgebeutet werden können; vor allem müßte
die Xenienreihe dasein, die Schiller später unter der Ueberschrift „Shakespeare's
Schatten" zu einem Ganzen verbunden hat. Das bürgerliche Schauspiel Ifflands
und Kotzebue's ist ja nirgends so prächtig gegeißelt worden wie in diesen Epi¬
grammen. Wir vermuthen, daß Jmelmann diese Tenienreihe, die er, wie eine
Anmerkung auf S. 601 beweist, natürlich gekannt hat, deshalb ausgelassen hat,
weil sie sich nicht auf einen einzelnen bestimmten Namen, sondern auf eine
durch mehrere Namen vertretene Gattung bezieht. Aber ist nicht dasselbe der
Fall mit den Gedichten „Naturpoesie" und „Volkslied" (S. 64), „Die beiden
Musen" (S. 163), „Die deutsche Muse" (S. 227) u. a.?

Hiermit berühren wir überhaupt eine Klasse von Gedichten, die Jmelmann
principiell — oder nein, nicht principiell, denn es finden sich eben Ausnahmen
von seiner Sammlung ausgeschlossen zu haben scheint, die aber doch recht
eigentlich in eine derartige „Deutsche Literaturgeschichte in poetischer Form"
gehören; wir meinen diejenigen Dichtungen, die, ohne daß man sie auf einen
bestimmten Namen fixiren könnte, sich doch auf wichtige Vorgänge in der Ent¬
wicklung unserer Natwnalliteratur beziehen. Hierher gehören z. B. die Gedichte,
in denen die Bestrebungen Ausdruck finden, vor allem die deutsche Sprache zu
heben und der Gallomanie ein Ende zu machen, Bestrebungen, die ja mit den
auf die Neubelebung der Poesie gerichteten im 17. und 18. Jahrhundert un¬
trennbar Hand in Hand gingen; ferner diejenigen, welche die Aufnahme fremder
Dichtmigsformeu und die daran sich knüpfenden Controversen behandeln; wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/251>, abgerufen am 23.07.2024.