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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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durch vielfache verwandtschaftliche und geschäftliche Beziehungen unter einander
verbunden und sah so den Culturkampf von den Kanzeln und in der Presse sich
mehr abspielen, als daß es ihn selbst mit ausgefochten hätte. Anfangs fand es
-- wann und wo wäre das nicht der Fall? -- an der wilden Rauferei Ge¬
fallen, aber der Ueberdruß folgte bald genng nach, und heute wünscht man in
unserer wesentlich liberalen Bevölkerung nichts sehnlicher als Frieden mit der
Curie. Nur die radikaleren Parteiführer wollen sich dieser Ansicht noch nicht
anschließen, weil sie sich nicht die Mühe geben, das Volk und seine Wünsche
des näheren kennen zu lernen. Der parlamentarische badische Liberalismus hat
etwas Kirchenseindliches, die Grenzen seines religiösen Bewußtseins liegen viel¬
fach noch jenseits des Protestantenvereins, dem hier ja eine Reihe der einflu߬
reichsten Männer angehören. Das Volk aber ist doch noch nicht verflacht
genug, um an bloßen religiösen Phrasen ein Genügen zu finden. Das badische
Volk ist -- wie das deutsche Volk überhaupt -- viel religiös gesinnter, ja viel
"orthodoxer", als sich die Schulweisheit seiner bisherigen politischen Stimmführer
träumen läßt. Im Volke wird die Regierungsvorlage, durch welche der reli¬
giöse Frieden wieder hergestellt werden soll, eine freudige Aufnahme finden. Und
auch in der Presse dürfte das der Fall sein. Das einzige wirklich einflußreiche,
weil im ganzen Lande sehr verbreitete und angesehene Blatt, die "Badische
Landeszeitung", die wie 1866 in der deutschen Frage und 1878/79 in der Zoll¬
politik auch diesmal wieder die Stellung scheint einnehme,: zu wollen, die schlie߬
lich als die allein richtige und auch vom Volke in seiner Mehrheit gebilligte
sich erweist, brachte schon am 17. Januar Abends einen der Vorlage vollkommen
zustimmenden Artikel, der, obwohl man sonst das Blatt mit Unrecht für ein
offieiöses hält, diesmal doch in seinem Ursprünge Regierungskreisen nicht ganz
fern zu stehe" scheint. Das Blatt selbst knüpft zwar insofern eine Verwahrung
daran, als es seine eigene Stellung sich noch vorbehält, da die Zeit zur Prü¬
fung der Vorlage zu kurz gewesen; dies wird aber niemand auffällig finden,
der die eigenartigen Parteiverhältnisse Badens kennt. Die ultramontane Partei
wird mit ihrer Presse allen Anzeichen nach für den Gesetzentwurf eintreten, und
die Amtsverküudiger werden das sx ot'tivlo thun. Was dann noch bleibt, ist an
Einfluß, zum Theil sogar an Ansehen zu gering, um irgend etwas zu vermögen.

So wird, wie wir hoffen, die ausschlaggebende nationalliberale Partei dem
tief im Denken und Fühlen unseres Volkes begründeten allgemeinen Drängen
nach kirchlichem Frieden sich fügen und einer Vorlage ihre Zustimmung nicht
versagen, welche sich als das Resultat reiflicher Erwägung der Regierung, ein¬
gehender und ernster Unterhandlung zwischen beiden in Betracht kommenden
Gegnern und alles in allem als ein Act politischer Weisheit erweist. Das
wenigstens können wir nach bester Kenntniß der Sachlage mit Sicherheit vor-


durch vielfache verwandtschaftliche und geschäftliche Beziehungen unter einander
verbunden und sah so den Culturkampf von den Kanzeln und in der Presse sich
mehr abspielen, als daß es ihn selbst mit ausgefochten hätte. Anfangs fand es
— wann und wo wäre das nicht der Fall? — an der wilden Rauferei Ge¬
fallen, aber der Ueberdruß folgte bald genng nach, und heute wünscht man in
unserer wesentlich liberalen Bevölkerung nichts sehnlicher als Frieden mit der
Curie. Nur die radikaleren Parteiführer wollen sich dieser Ansicht noch nicht
anschließen, weil sie sich nicht die Mühe geben, das Volk und seine Wünsche
des näheren kennen zu lernen. Der parlamentarische badische Liberalismus hat
etwas Kirchenseindliches, die Grenzen seines religiösen Bewußtseins liegen viel¬
fach noch jenseits des Protestantenvereins, dem hier ja eine Reihe der einflu߬
reichsten Männer angehören. Das Volk aber ist doch noch nicht verflacht
genug, um an bloßen religiösen Phrasen ein Genügen zu finden. Das badische
Volk ist — wie das deutsche Volk überhaupt — viel religiös gesinnter, ja viel
„orthodoxer", als sich die Schulweisheit seiner bisherigen politischen Stimmführer
träumen läßt. Im Volke wird die Regierungsvorlage, durch welche der reli¬
giöse Frieden wieder hergestellt werden soll, eine freudige Aufnahme finden. Und
auch in der Presse dürfte das der Fall sein. Das einzige wirklich einflußreiche,
weil im ganzen Lande sehr verbreitete und angesehene Blatt, die „Badische
Landeszeitung", die wie 1866 in der deutschen Frage und 1878/79 in der Zoll¬
politik auch diesmal wieder die Stellung scheint einnehme,: zu wollen, die schlie߬
lich als die allein richtige und auch vom Volke in seiner Mehrheit gebilligte
sich erweist, brachte schon am 17. Januar Abends einen der Vorlage vollkommen
zustimmenden Artikel, der, obwohl man sonst das Blatt mit Unrecht für ein
offieiöses hält, diesmal doch in seinem Ursprünge Regierungskreisen nicht ganz
fern zu stehe» scheint. Das Blatt selbst knüpft zwar insofern eine Verwahrung
daran, als es seine eigene Stellung sich noch vorbehält, da die Zeit zur Prü¬
fung der Vorlage zu kurz gewesen; dies wird aber niemand auffällig finden,
der die eigenartigen Parteiverhältnisse Badens kennt. Die ultramontane Partei
wird mit ihrer Presse allen Anzeichen nach für den Gesetzentwurf eintreten, und
die Amtsverküudiger werden das sx ot'tivlo thun. Was dann noch bleibt, ist an
Einfluß, zum Theil sogar an Ansehen zu gering, um irgend etwas zu vermögen.

So wird, wie wir hoffen, die ausschlaggebende nationalliberale Partei dem
tief im Denken und Fühlen unseres Volkes begründeten allgemeinen Drängen
nach kirchlichem Frieden sich fügen und einer Vorlage ihre Zustimmung nicht
versagen, welche sich als das Resultat reiflicher Erwägung der Regierung, ein¬
gehender und ernster Unterhandlung zwischen beiden in Betracht kommenden
Gegnern und alles in allem als ein Act politischer Weisheit erweist. Das
wenigstens können wir nach bester Kenntniß der Sachlage mit Sicherheit vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/180>, abgerufen am 23.07.2024.