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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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besser, als dieser erkannte, daß Carl wirklich unermüdlich fleißig und durchaus
unverdorben war, und den ganzen Sommer 1801 verbrachte der Sohn im
väterlichen Hause zu Nobiz. Als sich zu Anfang des Jahres 1801 eine Gele¬
genheit zu einer "Hofmeisterstelle" in der Beustschen Familie in Altenburg bot,
setzte der Vater alle Annehmlichkeiten derselben in das schönste Licht, und ohne
gerade zu drungen, legte er doch dein Sohne nahe, wie lieb es ihm sein würde,
wenn derselbe die Stelle annähme; allein Carl schlug es ab und gab folgende
Gründe für seine Entscheidung an:

1) Ich könnte mich nicht verbindlich machen, länger als ein Jahr zu bleiben; --
das müßte ich, als ehrlicher Mann, dein andern eontrahicrenden Theile unverhohlen
sagen; daß ich aber unter dieser Bedingung nicht reussiren würde, wissen Sie so
gut, wie ich. -- 2) Käme der Contract zu Stande, so müßte ich ihn halten, d. h.
ich müßte ganz der Bildung meines Zöglings und gar nicht meiner eignen leben,
denn die Erziehung leidet keine Allotria, -- und wer weiß, was für ein schweres
Werk meiner warten könnte -- auf dessen Vollendung doch meine Ehre beruhte! --
3) Ich liebe zwar Gesellschaft und der Umgang mit meinem Principal würde mir
allerdings nicht nur ehrenvoll, sondern auch zu Zeiten angenehm sein, doch gewiß
nicht immer und nicht anhaltend; -- denn meine Stimmung ist einmal für die
ruhige Einsamkeit, aus der allein Harmonie und Gründlichkeit hervorgeht. Ich
kenne die Welt, wie sie sein sollte, und es lohnt sich in der That
wenig der Mühe, sie zu finden, wie sie ist; wenigstens würde ich sie in
jener eonstsUstion nur zu oft finden, wie sie nicht sein sollte. Ich empfinde schon
zuvor die Langeweile, die Mutlosigkeit und die Sehnsucht, die mich in die Welt
zurückängstigen würden, für die ich allein leben kann.'-- 4) Gute Besoldung, gute
Kost und dergleichen Annehmlichkeiten locken mich nicht! - Und was die mancherlei
Connexionen betrifft, in die ich dann kommen könnte, so würden sie für mich bei
allem ihren etwaigen Glänze sehr zeittödtend und uninteressant sein. Mein eigner
Werth soll mich empfehlen, so gering er auch sein mag, oder ich
will nicht empfohlen sein; und wie unsicher ist eine Rechnung für die Zukunft, die
auf Menschen gestellt ist; Menschenleben und Menschengunst sind gar veränderliche
Größen. -- 5> Meine Studien leiden schlechterdings keine Zerstreuung, sie verlangen
die anhaltendste Anstrengung, die ohne die völligste Gemüthsruhe unmöglich ist.
Diese Jahre sind gerade für meinen künftigen Werth die entscheidendsten. Wenigstens
noch ein Jahr lang wird mich die Mathematik ununterbrochen beschäftigen --
wozu ein sehr unbeträchtlicher Kostenaufwand gehören wird; ich weiß, wie wenig
oder viel ich hierin werde leisten können, und ich glaube, diese Wissenschaft soll
mir bald den ersten Unterhalt bringen. Sollte ich zumal, wenn es anders Ihren
Wünschen gemäß ist, ein Jahr oder wenigstens ein halbes Jahr bei Ihnen in
Nobitz leben können, so würde der Aufwand noch geringer und mein Studium
noch ungestörter werden. -- Ich weiß Wohl, in mancher Augen urtheile ich und handle


besser, als dieser erkannte, daß Carl wirklich unermüdlich fleißig und durchaus
unverdorben war, und den ganzen Sommer 1801 verbrachte der Sohn im
väterlichen Hause zu Nobiz. Als sich zu Anfang des Jahres 1801 eine Gele¬
genheit zu einer „Hofmeisterstelle" in der Beustschen Familie in Altenburg bot,
setzte der Vater alle Annehmlichkeiten derselben in das schönste Licht, und ohne
gerade zu drungen, legte er doch dein Sohne nahe, wie lieb es ihm sein würde,
wenn derselbe die Stelle annähme; allein Carl schlug es ab und gab folgende
Gründe für seine Entscheidung an:

1) Ich könnte mich nicht verbindlich machen, länger als ein Jahr zu bleiben; —
das müßte ich, als ehrlicher Mann, dein andern eontrahicrenden Theile unverhohlen
sagen; daß ich aber unter dieser Bedingung nicht reussiren würde, wissen Sie so
gut, wie ich. — 2) Käme der Contract zu Stande, so müßte ich ihn halten, d. h.
ich müßte ganz der Bildung meines Zöglings und gar nicht meiner eignen leben,
denn die Erziehung leidet keine Allotria, — und wer weiß, was für ein schweres
Werk meiner warten könnte — auf dessen Vollendung doch meine Ehre beruhte! —
3) Ich liebe zwar Gesellschaft und der Umgang mit meinem Principal würde mir
allerdings nicht nur ehrenvoll, sondern auch zu Zeiten angenehm sein, doch gewiß
nicht immer und nicht anhaltend; — denn meine Stimmung ist einmal für die
ruhige Einsamkeit, aus der allein Harmonie und Gründlichkeit hervorgeht. Ich
kenne die Welt, wie sie sein sollte, und es lohnt sich in der That
wenig der Mühe, sie zu finden, wie sie ist; wenigstens würde ich sie in
jener eonstsUstion nur zu oft finden, wie sie nicht sein sollte. Ich empfinde schon
zuvor die Langeweile, die Mutlosigkeit und die Sehnsucht, die mich in die Welt
zurückängstigen würden, für die ich allein leben kann.'— 4) Gute Besoldung, gute
Kost und dergleichen Annehmlichkeiten locken mich nicht! - Und was die mancherlei
Connexionen betrifft, in die ich dann kommen könnte, so würden sie für mich bei
allem ihren etwaigen Glänze sehr zeittödtend und uninteressant sein. Mein eigner
Werth soll mich empfehlen, so gering er auch sein mag, oder ich
will nicht empfohlen sein; und wie unsicher ist eine Rechnung für die Zukunft, die
auf Menschen gestellt ist; Menschenleben und Menschengunst sind gar veränderliche
Größen. — 5> Meine Studien leiden schlechterdings keine Zerstreuung, sie verlangen
die anhaltendste Anstrengung, die ohne die völligste Gemüthsruhe unmöglich ist.
Diese Jahre sind gerade für meinen künftigen Werth die entscheidendsten. Wenigstens
noch ein Jahr lang wird mich die Mathematik ununterbrochen beschäftigen —
wozu ein sehr unbeträchtlicher Kostenaufwand gehören wird; ich weiß, wie wenig
oder viel ich hierin werde leisten können, und ich glaube, diese Wissenschaft soll
mir bald den ersten Unterhalt bringen. Sollte ich zumal, wenn es anders Ihren
Wünschen gemäß ist, ein Jahr oder wenigstens ein halbes Jahr bei Ihnen in
Nobitz leben können, so würde der Aufwand noch geringer und mein Studium
noch ungestörter werden. — Ich weiß Wohl, in mancher Augen urtheile ich und handle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/157>, abgerufen am 25.08.2024.